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ALTERNATIVENGIPFEL

AUFRUF NACH WIEN


In Wien wird im Mai 2006 im Rahmen der EU-Präsidentschaft Österreichs zum vierten Mal seit 1999 ein Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union (EU), der Staaten Lateinamerikas und der Karibik stattfinden, welches das wichtigste Forum für die Vertiefung der politischen Beziehungen zwischen beiden Kontinenten darstellt. Parallel zu diesem offiziellen Gipfel werden soziale Bewegungen, Nicht-Regierungsorganisationen und andere AkteurInnen den Alternativengipfel "Enlazando Alternativas 2" (Alternativen verknüpfen) abhalten.

Durch die mehr als drei Jahrhunderte andauernde koloniale Ausbeutung hat Europa eine historische Schuld in Bezug auf Lateinamerika und die karibischen Staaten, welche neben dem Genozid einer Vielzahl indigener Völker auch die Plünderung der Reichtümer des Subkontinentes beinhaltet. Trotz der unzähligen Kämpfe und Widerstandsbewegungen, welche die Geschichte Lateinamerikas und der Karibik prägen, ist die Souveränität der  Völker und Nationalstaaten schwächer als je zuvor. Die Demokratisierungsprozesse im "neuen Kontinent" sind nach wie vor sehr fragil und unzureichend. Die Mehrheit der Bevölkerung lebt in extremer Armut und ist Opfer von Marginalisierung, Ausbeutung und Repression. Während es für die Verbrechen der MachthaberInnen und Eliten vielfach Straffreiheit gibt, werden die sozialen Proteste kriminalisiert.

In dieser Realität Lateinamerikas zeigt sich auch die Geschichte der Dominanz des Nordens, in welcher die europäischen Regierungen - und jene der USA - große Verantwortung für die von ihnen geförderte Abhängigkeit und die Ungleichheit in den Beziehungen haben. Dies geschah vielfach in enger Komplizenschaft mit den lokalen Regierungen in Lateinamerika und der Karibik. Heute findet dieses Ungleichgewicht seine Fortsetzung in den bi-regionalen und bilateralen Freihandelsabkommen, welche Freiheit für Investitionen, Handel und Finanzflüsse garantieren, während Menschenrechte und demokratische Werte zwar in den offiziellen Erklärungen vorkommen, aber meist nicht mehr als Lippenbekenntnisse bleiben.

Ein Jahr nach der Erweiterung der Europäischen Union um zehn neue Mitgliedstaaten hat diese mit einer der größten Krisen in ihrer Geschichte zu kämpfen. Im Zuge dieses Erweiterungsprozesses wurde die Chance vergeben, das politische Projekt EU mit einer  sozialen und solidarischen Perspektive neu auszurichten und die Notwendigkeit des Schutzes der fundamentalen Rechte der MigrantInnen und Flüchtlinge zu unterstreichen.

Im vorliegenden Verfassungsentwurf, welcher von allen Mitgliedsstaaten ratifiziert werden muss, stehen Unternehmens-, Handels-, Finanz- und militärische Sicherheitsinteressen im Vordergrund. Das "Nein", mit dem die Bevölkerung Frankreichs und der Niederlande gegen den Verfassungsvertrag gestimmt hat, verdeutlicht die tiefe Kluft zwischen den Hoffungen und Erwartungen der Bevölkerung und dem gegenwärtigen Wirtschaftsmodell, dem die EU sowohl im Innern, als auch in ihren Beziehungen zu anderen Regionen folgt. Nach dem Scheitern des Referendums in Frankreich und den Niederlanden, fehlt den politischen FührerInnen Europas ein Projekt des Wandels und der Neuorientierung. Stattdessen verfolgen sie weiterhin die "Lissabon Agenda", die aus dem gleichen neoliberalen Blickwinkel heraus wirtschaftliche und politische Richtlinien durchsetzen möchte, welche die Krise im "alten Kontinent" noch verstärken werden.

Deregulierung, Privatisierung und Freier Handel sind das Credo des Neoliberalismus, der ein "Entwicklungsmodell" propagiert, das die Souveränität der Nationalstaaten in Bezug auf die Gestaltung der Entwicklungs- und Sozialpolitik beschneidet und das auf Widerstand seitens der Bevölkerung mit Repression reagiert.
Obgleich dieses Modell in beiden Kontinenten um sich greift, führt es insbesondere  in vielen Ländern Lateinamerikas und der Karibik dazu, dass weite Bevölkerungsteile ihrer fundamentalen Menschenrechte beraubt werden, indem ihnen der Zugang zu Wasser, Bildung, Arbeit, Nahrung und einem funktionierenden Gesundheitswesen erschwert bzw. verwehrt wird, worunter besonders Frauen und Kinder zu leiden haben.
Zugleich werden unzählige natürliche Ressourcen - Quellen der Energie und des Lebens -  von transnationalen Konzernen rücksichtslos ausgebeutet. Zu den GewinnerInnen dieses Prozesses zählen - neben US-amerikanischen - vor allem europäische Großunternehmen, die sich sowohl an den Privatisierungen öffentlicher Dienstleistungen (insbesondere dem Wassersektor)  als auch an den "liberalisierten" Sektoren wie beispielsweise Energie und natürliche Ressourcen, Finanzinstitutionen und Telekommunikation bereichern.

Im Laufe der letzten zehn Jahre haben sowohl die EU, als auch ein Großteil der Regierungen Lateinamerikas eine Reihe weitreichender bi-regionaler und bilateraler Verträge vorangetrieben, mit denen den transnationalen Konzernen ein rechtlicher Rahmen gegeben wird, mit dem sie ihre Aktivitäten absichern können. Wenngleich diese Verträge auch Bereiche wie Kooperation und Entwicklung beinhalten, sind diese doch den Wirtschafts- und Handelsinteressen der europäischen Konzerne untergeordnet. Dies zeigt sich speziell in den so genannten "Assoziierungsabkommen" zwischen EU-Mexiko, EU-Chile, sowie in den laufenden Verhandlungen zwischen der EU und dem Mercosur. Diese Abkommen spiegeln primär die Wünsche der europäischen transnationalen Konzerne wider, indem in den Bereichen Handel, Investitionen, geistige Eigentumsrechte und Dienstleistungen Regelungen getroffen werden, die eine weitere Liberalisierung dieser Bereiche vorantreiben. Dadurch wird die nationale Gesetzgebung untergraben und unter der Prämisse "Wettbewerbsfähigkeit" eine enorme Rivalität zwischen ArbeitnehmerInnen erzeugt.
 "Handel, nicht Hilfe", "politischer Dialog", und "Kooperation" lauten die Schlagwörter, mit denen die EU einen "Kapitalismus mit menschlichem Gesicht" zu etablieren vorgibt. Hinter der Rhetorik der Forderung nach "nachhaltiger Entwicklung", "Menschenrechten" und "internationaler Kooperation" verbergen sich jedoch die Interessen  europäischer Konzerne  und großer lateinamerikanischer Unternehmungen des Exportsektors, die insbesondere in den Bereichen Agrarhandel, Investitionen und Dienstleistungen nicht bereit sind zurückzustecken. Letztlich werden mit dieser Art von Freihandelsverträgen die asymmetrischen Beziehungen zwischen den Kontinenten zementiert.

Soziale Bewegungen und zivilgesellschaftliche Organisationen in Lateinamerika und Europa haben sich in den letzten Jahren vehement gegen die Ausbreitung dieses neoliberalen Modells gewendet.  Seit Mai 2004, als in Guadalajara/Mexiko der erste Alternativengipfel "Enlazando Alternativas" abgehalten wurde, haben sich soziale Bewegungen und Organisationen  zusammengetan, um bi-regionale Aktivitäten gegen die neoliberale Agenda der Regierungen voranzutreiben.


Heute wie damals sind wir davon überzeugt, dass es notwendig ist, dass die Menschen und Völker in Lateinamerika und Europa gemeinsam neue Wege der Solidarität beschreiten, um:

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Eine bi-regionale politische Bewegung aufzubauen, die soziale und entwicklungspolitische Netzwerke, NGOs, kirchliche Gruppen, Menschenrechts-organisationen, globalisierungskritische Bewegungen,  Solidaritätsgruppen, Gewerk-schaften, Land- und Arbeitslose, Campesinos, politische, indigene und ökologische Organisationen, StudentInnen, Intellektuelle und KünstlerInnen beider Kontinente vereinen soll. Diese Bewegung möchte die gegenwärtigen Kämpfe, Widerstandsaktivitäten und alternative Visionen zusammenführen und die soziale Unzufriedenheit öffentlich sichtbar machen.

Widerstand zu leisten gegen die Auswirkungen des neoliberalen Modells auf beiden Seiten des Atlantiks; insbesondere gegen die Wirtschaftspolitik der europäischen Konzerne und Regierungen in Lateinamerika und die Bestrebungen der EU-Kommission, welche die sozialen Errungenschaften sowohl in Lateinamerika als auch in Europa unterminieren. Dies beinhaltet die Forderung an die Regierungen, Menschenrechte als integralen Bestandteil von Entwicklung zu respektieren, wie es in der UN-Deklaration vom Jahr 1986 zum Ausdruck kommt. Dort ist festgehalten, dass jede Entwicklung zivile, politische, soziale, wirtschaftliche, kulturelle Rechte und das Recht auf eine saubere Umwelt ebenso einschließen muss, wie das gemeinsame Bekenntnis zu Frieden, Respekt für Selbstbestimmung und Souveränität der Staaten.

Eine positive Agenda zu entwickeln, mit gemeinsamen Projekten und Alternativen.

Eine breite Beteiligung an diesem Alternativengipfel zu ermöglichen und die sozialen Bewegungen beider Kontinente zusammenzuführen. Auf diese Weise sollen die Themen des offiziellen Gipfels ebenso bekannt gemacht und diskutiert werden wie die Alternativvorschläge zur Politik der EU und der lateinamerikanischen Regierungen.

Gemeinsame Räume für die Analyse der Beziehungen EU-Lateinamerika zu schaffen, speziell was die Aktivitäten der multinationalen Konzerne betrifft. In diesem Zusammenhang wird es ein "Tribunal der Völker" geben, welches das Verhalten der europäischen transnationalen Konzerne in Europa und Lateinamerika anprangert und öffentlichen Druck erzeugt.

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Im Mai 2006 werden während der vier Tage des Alternativengipfels in Wien die Freihandelsverträge zwischen Lateinamerika und der EU analysiert, deren Entwicklungspolitik und die Militarisierung in beiden Kontinenten in Frage gestellt und ein Tribunal der Völker veranstaltet, im Rahmen dessen die Machtmechanismen der europäischen transnationalen Konzerne in Lateinamerika und Europa untersucht werden sollen.

Den Abschluss dieser Großveranstaltung wird eine Demonstration am 13. Mai 2006 bilden, welche die Einheit in der Vielfalt der sozialen, politischen, feministischen, antirassistischen und ökologischen Kämpfe in Europa und Lateinamerika zum Ausdruck bringen soll.

Die unten genannten Organisationen laden alle AktivistInnen und SympathisantInnen sozialer und entwicklungspolitischer Netzwerke, globalisierungskritische Bewegungen, kirchliche Gruppen, Gewerkschaften, Land- und Arbeitslose, Indigene, KünstlerInnen und Intellektuelle Lateinamerikas und Europas ein,

von 10.- 13. Mai 2006 nach Wien

zum ALTERNATIVENGIPFEL zu kommen und sich an den Diskussionen um eine friedliche, demokratische und sozial gerechte transatlantische Allianz auf Grundlage der Menschenrechte und des Selbstbestimmungsrechts der Völker aktiv und solidarisch zu beteiligen.

Der Alternativengipfel Enlazando Alternativas 2 ist Teil eines breiteren Mobilisierungsprozesses, welcher den III.Gipfel der Völker Lateinamerikas im November 2005 in Mar del Plata/Argentinien, das Europäische Sozialforum im April 2006 in Athen/Griechenland und das Foro Social de las Americas im Januar 2006 in Caracas/Venezuela einschließt. Insbesondere an die dort beteiligten Organisationen und Netzwerke, deren Geist und Energie bereits die Vorbereitungen zu diesem ALTERNATIVENGIPFEL begleitet haben, ergeht dieser Aufruf!


EINE ANDERE WELT IST MÖGLICH!
Versuchen wir, sie gemeinsam aufzubauen!

September 2005

FDCL

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