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Agroenergiepflanzen-Glossar

Photo: Kurt Damm (FDCL)

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Glossar zu Agroenergiepflanzen

Verfaßt von Sandra Schuster und Franziska Löschner

FDCL - Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika

Berlin, Ende 2008                                                                                                           

 

 


Einleitung und Vorwort

Einleitung und Vorwort

Biomasse aus nachwachsenden Rohstoffen wie Ölpflanzen, Getreide, Holz oder Stroh ist inzwischen vielfach als Agrotreibstoff in die Kritik geraten. Gleichzeitig wird Biomasse nach wie vor als ein Energieträger der Zukunft diskutiert: Sofern „nachhaltig”produziert, gelten die pflanzlichen Rohstoffe als ein klima- und umweltfreundlicher Ersatz für die sich erschöpfenden Erdölvorräte zur Erzeugung von Strom, Wärme und Kraftstoff. Eine Reihe von Förderinstrumenten und Regelungen sind auf den Weg gebracht worden, die von diesen Prämissen ausgehend die neuen Pflanzenenergien als „klimaschonende Alternative”implementieren. Ein Beispiel sind obligatorische Beimischungsquoten für Agrarsprit, wie das in der Europäischen Union beschlossene Ziel von 10 Prozent bis 2020,[1] wodurch Anteile des fossilen Kraftstoffverbrauchs durch Pflanzensprit ersetzt werden sollen. Zugleich sind mit den Zielmarken wichtige Anreize für ein Volumenwachstum der Produktion von Agrartreibstoffen geschaffen worden. Denn die Quoten generieren eine steigende Mindestnachfrage, die größtenteils nur durch Importe gedeckt werden kann.
Unter Wirkung dieser Förderinstrumente, die ähnlich auch in anderen Industriestaaten sowie einer Reihe von Schwellen- und Entwicklungsländern umgesetzt wurden, entwickeln sich Agroenergien zu einem neuen und gefragten Zweig an den internationalen Energiemärkten. Der Handel mit Biomasse verspricht ein lukratives Geschäft zu werden, gleichwohl die weltweite Wirtschafts- und Finanzkrise, der fallende Ölpreis und projektbezogene Finanzierungsengpässe den einsetzenden Boom drosseln. Gerade die sogenannte Dritte Welt gilt als ein wichtiger Energielieferant der Zukunft: hier liegen die Anbauflächen, die zur Deckung der Nachfrage nach Energiepflanzen notwendig werden. Viele Länder des Südens verfügen über eine reiche Vielfalt an Pflanzen. Zudem gibt es einige Anbausorten, die aufgrund der klimatischen Bedingungen und niedrigen Herstellungskosten nur oder überwiegend dort angebaut werden wie Soja, Zuckerrohr, Ölpalme, Rizinus, Maniok, Eukalyptus, Bambus oder Jatropha. Darunter sind auch essenzielle Nahrungsmittel wie Weizen, Mais oder Reis, die ins Visier der Agroenergiebranche geraten sind. An das „grüne Gold”der Landwirtschaft knüpfen sich in Produzentenländern des Südens große Hoffnungen. Besonders von Seite der Regierungen wird häufig die Aussicht auf Arbeit und Exporteinnahmen wie auch ein möglicher Transfer von Wissen und Technologie hervorgehoben. Einige Befürtworter_innen sehen darüber hinaus Möglichkeiten, die Energieversorgung in ländlichen Räumen voranzubringen.
In die anfängliche Euphorie über die Nutzung von Agroenergien als alternative, grüne Energieform mischen sich zunehmend Zweifel. Für Schlagzeilen hatte vor allem die Verfeuerung von „schmutzigem”Palmöl in Pflanzenölkraftwerken gesorgt. So äußerten sich Abgeordnete im Deutschen Bundestag Ende 2007 beispielsweise empört über die Begleiterscheinungen der Produktion dieses Rohstoffs, wie insbesondere über die Abholzung von Tropen- und Regenwäldern, um Flächen für den wachsenden Bedarf an Palmölplantagen zu schaffen.[2] Breite Wellen hat aus der Rückschau betrachtet insbesondere ein Bericht der internationalen NGO Wetlands International geschlagen, der im Vorfeld des UN-Klimagipfels auf Bali veröffentlicht wurde. Auf der Grundlage von Schätzungen über Kohlenstoffemissionen, die beim Palmölanbau jährlich durch das Abbrennen von Torffeldern entstehen, wurde in Anbetracht der hierdurch freigesetzten Mengen an CO2 der klimapoltische Nutzen von Palmöl als Kraftstoff offen in Frage gestellt.[3] In Kampagnen hatten zudem europäische Umweltschützer, aber auch klassische Artenschutzorganisationen wie die Borneo Orang Utan Survival Foundation die Palmindustrie für die Vernichtung von Regenwald und das Aussterben der letzten Orang-Utans verantwortlich gemacht.[4]
Neben Palmöl sind aber auch andere Anbausorten in die Kritik geraten. In Brasilien hat unter anderem die massive Ausweitung der Produktion von Zuckerrohr-Ethanol für große Auseinandersetzung weit über die Grenzen des Landes hinaus gesorgt. Zwar betont die brasilianische Regierung, dass das von ihr für „saubere Energie”beanspruchte Zuckerrohr weit entfernt von Amazonas-Regenwald angebaut wird. Zahlreiche Umwelt- und Naturschützer halten dem jedoch entgegen, dass durch den wachsenden Anbau von Energiepflanzen in vielen Gegenden Brasiliens die Flächen für den Anbau von Nahrungsmitteln knapp werden. Dieses Problem wird zudem durch den ausgedehnten Anbau von weltweit stark nachgefragtem Tierfutter, vor allen Dingen Soja, zusätzlich erschwert. Als Folge von Landknappheit und der sog. „indirekten Verdrängung”der landwirtschaftlichen Produktion mahnen BeobachterInnen an, dass die illegalen Rodungen von Amazonas-Urwald weiter zunehmen. Des Weiteren stark gefährdet sind Savannenlandschaften (wie z.B. der brasilianische Cerrado), die von natürlichen Ökosystemen bewachsen sind und dessen weitere Erschließung nun droht. Denn gerade diese wertvollen Gras-, Busch- oder Trockenwaldlandschaften, die sich neben Amerika in größerem Maßstab zudem in Asien, Australien und Afrika finden, werden als vermeintlich „ungenutzte”Landflächen betrachtet, die u.a. für den Anbau von Pflanzensprit nutzbar gemacht werden könnten. Kritische Stimmen zeigen beispielsweise für Brasilien auf, dass paradoxerweise die Erschließung des Cerrado mit der Rettung des Amazonas begründet wird.[5] Des Weiteren haben brasilianische Nicht-Regierungsorganisationen und soziale Bewegungen für Umwelt und Entwicklung in Feldstudien festgestellt, dass ViehfarmerInnen im Cerrado ihr Land zunehmend an die Zuckerrohrproduzenten verkaufen und den Erlös in neue Viehweiden in Amazonien investieren.[6]

Ferner hat die ökologische Diskussion der Agrostreibstoffe als Hot Spot und neuen paradigmatischen Auswuchs industrieller Landwirtschaft nicht zuletzt am Modell intensiver exportorientierter Agrarwirtschaft selbst angesetzt. Bemerkenswert ist, dass Teilaspekte jener grundlegenden Kritik, die u.a. von Bauernbewegungen, Menschenrechtsorganisationen, UmweltaktivistInnen, landwirtschaftlichen NGOs und Netzwerken sowie von kirchlichen Hilfswerken vorgebracht wird, dabei bis in den medialen Mainstream vorgedrungen sind.[7] Zu den thematisierten Gefahren gehören zusammengefasst der Anbau und die Ausbreitung von Monokulturen samt dem vermehrten Einsatz von Pestiziden und Düngemitteln und den damit entstehenden Belastungen für Wasser und Grundwasser, Böden, Biodiversität und menschliche Gesundheit. Mediale Präsenz erzielten des Weiteren wissenschaftliche Forschungen, die im Zuge der Umwelt- und Klimabilanzierung stärker und differenzierter die landwirtschaftliche Produktion als wesentlichen Faktor mit einbeziehen. Einigen Wirbel hatten beispielsweise Forscher um den deutschen Chemie-Nobelpreisträger Paul Crutzen entfacht.[8] Sie stellten heraus, dass durch Stickstoff in Düngemitteln, bzw. dessen Verarbeitung im Boden durch Mikrobakterien, Lachgas freigesetzt wird, das für das Klima etwa 300-fach so gefährlich wie Kohlendioxid ist. Die Treibhausgasbelastung von biogenem Kraftstoff aus Mais oder Benzin kann daher weit höher ausfallen als die von herkömmlichem Benzin.
Angesichts der sogenannten „Hungerrevolten”, zu denen es seit Beginn 2008 in vielen Ländern des Südens infolge massiver Preissteigerungen für Grundnahrungsmittel aber auch gestiegener Lebenshaltungskosten insgesamt gekommen war, bestimmen zunehmend soziale und menschenrechtliche Fragen die Debatte. Jean Ziegler, der frühere UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, hatte bereits im Oktober 2007 ein fünfjähriges Moratorium für Agrotreibstoffe gefordert, weil er eine Verteuerung von Lebensmitteln befürchtete. Seine rigoros ablehnende Haltung gegenüber der „Verbrennung von Nahrungsmitteln als Verbrechen gegen die Menschlichkeit”[9] hatte für große Aufmerksamkeit gesorgt. Über die Preissteigerungen und den durch Agrotreibstoffe verursachten Anteil wurde indes viel spekuliert – bis schließlich ein zunächst zurückgehaltener Bericht der Weltbank die „große Zunahme der Biokraftstoffproduktion aus Getreide und Ölsaaten in den USA und der EU”[10] als wichtigsten Faktor der Verteuerung herausstellt. Zwischen 70 und 75 Prozent werden demnach hierauf und auf damit verbundene Konsequenzen wie verringerte Getreide- und Maisvorräte, Änderungen der Landnutzung, Spekulation auf den Rohstoffmärkten sowie die von manchen Regierungen verhängten Ausfuhrverbote für Getreide zurückgeführt.[11]
Eine Vielzahl von Veranstaltungen, Tagungen und Kongressen mit Titeln wie „Tank oder Teller?”oder „Hungern für die Tankfüllung?”haben das Spannungsfeld von Klimaschutz und Ernährungssicherung aufgegriffen. Die kontrovers geführte Debatte, ob Agrotreibstoffe für Länder des Südens wirkliche Chancen eines Abbaus von Armut eröffnen oder im Gegenteil, das Problem der Nahrungsunsicherheit aufgrund der Flächenkonkurrenz einschließlich des mangelnden Aufbaus lokaler Nahrungsmärkte und Anbieterstrukturen weiter verschärfen, reißt nicht ab.
Hier setzt dieses Glossar an und stellt wichtige Energiepflanzen vor, die als Rohstoffmaterial zur Herstellung von biogenen Kraftstoffen (Agrobenzin, -diesel) der „ersten Generation”sowie zur Erzeugung von Strom und Wärme genutzt und erforscht werden.
Die Steckbriefe zu den einzelnen Nutzpflanzen geben Informationen und Überblick zu grundlegenden Eigenschaften und agrarwirtschaftlichen Anforderungen. In Zusammenhang der aktuellen öffentlichen Diskussion um Agrotreibstoffe dokumentieren sie die ökologischen, sozialen und ökonomischen Implikationen des Anbaus, des Handels und der energetischen Nutzung nachwachsender Rohstoffe. Die einzelnen Einträge bilden sowohl zahlenerfasste Entwicklungen und Dimensionen ab, spiegeln aber auch akteursbezogen verschiedene Einschätzungen, Positionen und Perzeptionen wider.
Die zu den einzelnen Pflanzen erstellten Steckbriefe verstehen sich als Bestandteil kritischer Informations- und Öffentlichkeitsarbeit. Ziel ist es, möglichst anwendungsorientiert wichtige Grundlageninformationen zur Verfügung zu stellen, die aus einer entwicklungspolitischen Perspektive heraus die Problematik der Agroenergien reflektieren. Dies geschieht nicht zuletzt auch in Verbindung mit dem Anliegen, Unzulänglichkeiten vermeintlich „neutraler”Fachinformationen, die seitens Industrielobbygruppen zur Verfügung gestellt werden, aufzudecken.
Nichtdestotrotz sei an dieser Stelle angemerkt, dass das Glossar als solches trotz umfangreicher Recherche und Auswertung einer breiten Materialbasis keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt.
Inhaltlich und in Hinblick auf das Raster stellt beispielsweise der Wasserverbrauch von Biopflanzen ein grundlegendes Problem dar, das nicht weiter ausdifferenziert, geschweige denn für alle aufgeführten Pflanzen erfasst werden konnte. Aufgrund der spezifischen regionalen klimatischen Unterschiede, ist es hier schwierig, verallgemeinernde Aussagen zu treffen. Enorme Unterschiede hinsichtlich des Verbrauchs ergeben sich zudem aus der Art der Bewässerung (maschinelle Bewässerungssysteme, manuelle Bewässerung oder Regenbewässerung).


Endnoten:
[1]  Vgl. die im Dezember 2008 beschlossenen EG-Richtlinie über Erneuerbare Energien, KOM(2008) 19 endgültig, „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zu Förderung der Nutzung von Energie aus erneuerbaren Quellen”, URL eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do.

[2]  Vgl. Das Parlament, Nr. 48 / 26.11.2007, „Brot oder Sprit”von Karl-Otto-Sattler.

[3]  Vgl. Hooijer, Aljosja / Sivinus, Marcel / Wösten, Henk / Page, Susan (2006), “PEAT-CO2, Assessment of CO2 emissions from drained peatlands in SE Asia”, URL www.wetlands.org/LinkClick.aspx

[4]  Vgl. The Guardian, 4/4/2007, “Palm oil: The biofuel of the future is driving an ecological disaster now”, URL www.guardian.co.uk/environment/2007/apr/04/energy.indonesia

[5]  Vgl. "Der Klimaschutz ist nur vorgeschoben. Biotreibstoff stimuliert das Agrarbusiness und die Umweltzerstörung", Interview mit Klemens Laschefski, FDCL-Themenbeilage zu den Lateinamerika Nachrichten Nr. 396 / Juni 2007.)

[6] Vgl. QGT Energia do FBOMS – Fórum Brasileiro de ONGs e Movimentos Sociais para Meio Ambiente e Desenvolvimento, “Agribusiness and biofuels: an explosive mixture. Impacts of monoculture expansion on bioenergy production in Brazil”, URL www.natbrasil.org.br/Docs/biocombustiveis/biocomb_ing.pdf

[7]  Siehe hierzu Pia Eberhard, „Nahrungsmittelkrise: Zwischen Technikgläubigkeit und Ernährungssouveränität”, in: Z.-Zeitschrift Marxistische Erneuerung,  Nr. 76, Dezember 2008, S. 51-62.

[8]  Vgl. Zeit Online 2/11/2007, „Biosprit. Ernüchternde Klimabilanz”, URL
www.zeit.de/online/2007/39/Biosprit

[9]  Jean Ziegler zitiert n. BBC News 27/10/2007, „Biofuels `crime against humanity´”, URL news.bbc.co.uk/2/hi/7065061.stm

[10]  World Bank, 2008, Note on Rising Food Prices, Policy Research Working Paper 4682, Donald Mitchell, July 2008, S. 16.

[11]  Für die verbleibenden 25-30% des Preisanstiegs werden neben der Dollarschwäche vor allem die hohen Energiepreise (Rohöl) und die damit verbundenen höheren Ausgaben für Düngemittel und Transport herangezogen. Vgl. ebd., S. 17.




Gefördert von der Deutschen Behindertenhilfe - Aktion Mensch e.V., der Europäischen Union und der InWEnt GmbH aus Mitteln des BMZ.


 

 

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