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"Atom für Carioca und Caramba". Brasiliens Ausbau des Atomprogramms

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Uran in Brasilien: Prospektion, Abbau, Anreicherung

 

Von Christian Russau, Mitarbeiter im Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika (FDCL) und Vorstandsmitglied der Kooperation Brasilien (KoBra)

Berlin, 7. September 2008

 

Angesichts steigender Weltmarktpreise weitet Brasilien seine Uranproduktion massiv aus. Die möglicherweise immensen Uranvorkommen sowie die von der Marine entwickelte Zentrifugentechnik stehen dabei im Zentrum des Interesses. Dabei betont Brasilien stets, Uran nur bis zur Grenze von vier Prozent anzureichern. Doch vielleicht darf es sogar ein bisschen mehr sein?



Ausbau von Uranprospektion und -abbau

Im Juli hatte die brasilianische Regierung den Startschuss für den Uranabbau in der gemischten Uran- und Phosphatmine bei Santa Quitéria im Bundesstaat Ceará gegeben. Angesichts gleichzeitig explodierender Weltmarktpreise für Uran und Düngemittel lohnt sich die Ausbeutung dort doppelt: Das Privatunternehmen Galvani Mineração soll die geschätzten nahezu neun Millionen Tonnen Phosphat bei einem anfänglichen Produktionsvolumen von jährlich 120.000 Tonnen abbauen, um den boomenden Agrarsektor Brasiliens - so der explizite Wunsch der Regierung Lula - mit einheimischen Rohstoffen für die Düngemittelproduktion zu bedienen. Zur Zeit importiert Brasilien 75 Prozent seines jährlichen Düngemittelbedarfs.


Gleichzeitig wird die staatliche Atomfirma Indústrias Nucleares do Brasil (INB) in der Uranmine Itataia bei Santa Quitéria jährlich zunächst 800 Tonnen Uranoxid abbauen. Angestrebt wird die doppelte Produktion. Das gesamte Uranvorkommen der Mine soll sich - so der Präsident Atomfirma INB, Alfredo Tranjan Filho - auf 142 Tausend Tonnen Uranoxid (U3O8) belaufen. Tranjan Filho geht davon aus, dass der Uranabbau reibungslos und ohne Schäden für Mensch und Umwelt verlaufen werde. An dem Ort selbst werde nur der Abbau des Urans erfolgen, erläuterte er. Dass Uranabbau hingegen keine 'saubere Sache' ist, wie gerne behauptet wird, davon zeugten schon die Erfahrungen mit der so genannten Schneeberger Krankheit, benannt nach der Stadt Schneeberg im sächsischen Erzgebirge. Diese Krankheit ist eine Form des Lungenkrebs, hervorgerufen durch das Einatmen radioaktiver Stoffe aus den Uran-Zerfallsreihen. Kein großes Gesprächthema scheinen auch die weiteren Gefahren für Mensch und Umwelt wie Grundwasser- und Bodenverseuchung durch den Uranbergbau zu sein.


Dennoch rüstet sich Brasilien für den massiven Ausbau seiner Uranproduktion. Das Land verfügt derzeit über die sechstgrößten Uranvorkommen der Welt, wobei erst ein Drittel der Landesfläche untersucht wurde - und diese Untersuchungen basieren auf Erhebungen aus der 1970er Jahren. Schätzungen des Präsidenten der Brasilianischen Nuklearvereinigung (ABEN), Francisco Rondinelli, zufolge könnte Brasilien über die zweitgrößten Uranreserven der Welt verfügen. "Wir haben bereits 310.000 Tonnen entdeckt, die für 25 weitere produktgleiche Atomkraftwerke wie Angra 2, bei einer Betriebsdauer von 60 Jahren, reichen würden", hob er im Juni dieses Jahres hervor.

 

Weitere Vorkommen von jeweils 130-150 Tausend Tonnen Uranoxid werden auch an den Lagerstätten Rio Cristalino im Bundesstaat Pará und Pitinga im Bundestaat Amazonien vermutet. Unbestätigten Gerüchten zufolge soll sich die größte Uranmine der Welt im Bundesstaat Roraima, ausgerechnet in dem zur Demarkation ausgewiesenem Gebiet der Raposa Serra do Sol, befinden. So könnte der seit geraumer Zeit schwelende Konflikt zwischen Reis-Fazendeiros und Indigenen um die Raposa Serra do Sol, in den sich auch Militärs, unter dem Argument der bedrohten "nationalen Sicherheit" angesichts der Grenzlage zu Venezuela und Guyana einmischen, vielleicht eine weitere sehr brisante Dimension gewinnen - sollten sich die Gerüchte bestätigen. Der Oberste Gerichtshof (Supremo Tribunal Federal - STF) hatte für Ende August 2008 eine Entscheidung über die Raposa Serra do Sol angekündigt, doch die Entscheidung zunächst vertagt.


Alles in industrieller Massenproduktion: Uran zu yellowcake zu UF6 zu UO2. In Zukunft brasilianisch-argentinische Connection?

Auch Argentinien war in den 1970er Jahren schon mit Deutschland dick im Bombengeschäft. Photo: FDCL / LN 1981

Angesichts dieser Aussichten, zweitgrößter Produzent von Uran zu werden, kommt die brasilianische Regierung ins Träumen: Denn obwohl Brasilien die gesamte Produktionskette von Uranabbau und Anreicherung technologisch beherrscht, erfolgt diese noch nicht auf industrieller Großprodution.

 

Bislang verarbeitet Brasilien pro Jahr die 400 Tonnen Uran aus der Mine Lagoa Real / Caetité im Bundesstaat Bahia zu so genanntem "Gelbkuchen" ("yellowcake") und verschifft diesen nach Kanada zur Weiterverarbeitung zu Uranhexafluorid (UF6) durch die kanadische Firma Cameco. Das UF6 wird von dort zur Anreicherung und Verarbeitung zu gasförmigen Urandioxid (UO2) nach Europa zur britisch-niederländisch-deutschen Urenco geschickt, bevor es dann in Brasilien, in den beiden Reaktoren im Atomkomplex Almirante ”?lvaro Alberto in Angra dos Reis im Bundestaat Rio de Janeiro, in Form von Brennstäben zur Stromgewinnung eingesetzt wird.


Um in Zukunft die gesamte Produktionskette in industriellem Maßstab selbst durchführen zu können, investiert Brasilien massiv in die gesamte Kette: Uranprospektion, -abbau und -anreicherung. Der Präsident der Atomfirma INB, Alfredo Tranjan Filho, geht davon aus, dass im Jahr 2010 der Uranbedarf von Angra 1 und 2 zu 60 Prozent bedient, 2012 zu 100 Prozent und im Jahre 2014 auch der dann fertiggestellte Meiler Angra 3 komplett mit aus in Brasilien verarbeitetem Uran versorgt wird. Und der Bundesminister für Bergbau und Energie, Edison Lobão, jubelt: "Wir haben alles, um mit der Produktion von Nuklearenergie Erfolg zu haben!" Lobão schwebt dabei langfristig auch der Export von überschüssigem Uran ins Ausland vor - angesichts steigender Weltmarktpreise ein Bombengeschäft.


Darüberhinaus planen laut Auskunft der Regierungschefs Brasiliens und Argentiniens, Lula und Kirchner, beide Staaten die Gründung einer binationalen Atomfirma. Des weiteren kündigten sie an, dass bis zum Jahr 2030 neben Brasilien und Argentinien auch in Chile, Uruguay, Peru, Venezuela und möglicherweise auch in Bolivien und Ecuador zwölf bis fünfzehn Atomkraftwerke gebaut werden könnten.

 

In einem Protestbrief vom 6. September dieses Jahres geißeln Nichtregierungsorganisationen und soziale Bewegungen aus mehreren südamerikanischen Ländern diesen "Versuch der Nuklearisierung Südamerikas" als "megalomanisch" und werfen der Regierung Lula vor, dem "Delirium der so genannten 'Nukleoboys' (eine merkwürdige Verbindung von Funktionären der Staatsfirmen des Nuklearsektors mit einigen sehr reaktionären Militärs sowie einer unzeitgemäßen linken Minderheit, die die Atombombe als etwas für das Land Essentielles ansieht) nachzugeben".


Die brasilianisch-argentinische Connection rechnet sich angesichts steigender Weltmarktpreise für Uran erhebliche Chancen aus - allerdings legte Brasilien explizit Wert darauf, dass die von der brasilianischen Marine entwickelte Anreicherungstechnologie und die Zentrifugen nicht Bestandteil der binationalen Atomkooperation sein sollen.


Zentrifugen und Urananreicherung in Brasilien

Präsident Lula besichtigt das Marineforschungszentrum Aramar. Photo: Agência Brasil

In Brasilien steht vor allem der Ausbau der Urananreicherung in industriellem Maßstab seit Jahren ganz oben auf der Agenda: Dazu wurde die unter der Aufsicht der INB stehende und auf industrielle Produktion ausgelegte Urananreicherungsanlage von Resende im Bundesstaat Rio de Janeiro weiter ausgebaut. Vor allem die Zentrifugen zur Urananreicherung in Resende stehen dabei im Mittelpunkt.

 

Im Jahr 2004 waren die Zentrifugen Gegenstand diplomatischer Unstimmigkeiten zwischen Brasilien, den USA und der internationalen Atomenergiebehörde IAEA. Brasilien hatte den IAEA-Kontrolleuren den Zugang zur Anlage mit dem Verweis auf technologische Betriebsgeheimnisse und die Gefahr der Wirtschaftsspionage verweigert. Die in den Zentrifugen angewandte Technik soll - so KritikerInnen - mutmaßlich eine Weiterentwicklung der britisch-niederländisch-deutschen Urenco-Technik sein, Brasilien hingegen betont stets, einzig eigene Technik zu verwenden und fürchtet das Ausspionieren brasilianischer Forschungserfolge. Der ausgehandelte Kompromiß sah vor, dass Brasilien die Zentrifugen mit kleineren Tüchern als vorgesehen verhängen durfte. Offiziell wurde nie bestätigt, dass dieser Kompromiß nur zu Stande gekommen sei, weil Brasilien sich 2004 im Gegenzug zur Übernahme der Leitung der UNO-Mission in Haiti, der MINUSTAH, bereit erklärt hatte.

 

Doch der eigentliche Schachzug im Ausbau des brasilianischen Atomprogramms wurde Ende Juli dieses Jahres bekannt. Zwischen März und Mai dieses Jahres haben die Techniker des Marineforschungszentrum Aramar in Iperó im Bundesstaat São Paulo zwei der neuesten Zentrifugen zur Urananreicherung an die Atombehörde INB in Resende übergeben. Laut der Zeitung Estado de São Paulo erfolgte "die Übergabe unter Geheimhaltung, in einem Konvoi ohne Kennzeichnung, geschützt durch bewaffnete Schützen". Diese Zentrifugen der neuen Generation "1/M2" arbeiten um fünfzehn Prozent effizienter als die der Vorgängergeneration, die ihrerseits eine Leistungssteigerung um 50 Prozent gegenüber der ersten vor zwanzig Jahren entwickelten Zentrifugen darstellten. Die dritte Zentrifuge dieser Generation soll 2009 übergeben und eine weitere neue Generation von Zentrifugen - mit noch einmal vierzig prozentiger Effektivitätssteigerung - soll im Jahre 2011 fertig sein.

 

So könnte die Anlage in Resende - zusammen mit der geplanten Anlage "Usina de Hexafluoreto de Urânio" (Usexa) im Marineforschungszentrum Aramar - die industrielle Urananreicherung für die drei Meiler von Angra gewährleisten. Das Uran soll dabei in industriellem Maßstab auf vier Prozent angereichert werden, um dann in den Atommeilern Angras und bei der Marine Verwendung zu finden. Im Streit mit der IAEA hatte Brasilien stets betont, nur diese vierprozentige Anreicherung anzustreben. Zu einer militärischen Nutzung in Form von Nuklearwaffen bedürfte es eines Anreicherungsgrades von mindestens neunzig Prozent. Brasilien hat den Atomwaffensperrvertrag 1997 unterzeichnet und wiederholt beteuert, das Atomprogramm zu rein zivilen Zwecken zu nutzen - weswegen auch nur eine Anreicherung von vier Prozent angestrebt werde. Doch entgegen dieser Beteuerung scheint es bei der vierprozentigen Anreicherung nicht zu bleiben. Technisch ist der Grad der Anreicherung eine Frage der Anzahl der hintereinander geschalteten Anreicherungsstufen, den "Kaskaden". Und die brasilianische Marine hat - indirekt gleichwohl - Bedarf an Uranbrennstäben mit einem höheren Anreicherungsgrad angemeldet: je höher der Anreicherungsgrad, desto mehr Energie läßt sich daraus gewinnen. Und Brasilien konkretisiert zur Zeit den alten Traum der brasilianischen Marine: ein Atom-U-Boot.

 

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