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Bedrohung kleinbäuerlicher und familiärer Landwirtschaft im «Sojagürtel». Konflikte um Land und Ernährungssouveränität in Paraguay

Christian Russau (FDCL), März 2008

"Sojarepublik" Paraguay?
Steigende Nachfrage nach Soja: Ausweitung des Anbaus und Infrastrukturausbau
Landkonflikte und Ernährungssouveränität in Paraguay


"Sojarepublik" Paraguay?

Paraguay zählt zu den in Lateinamerika am meisten von der Landwirtschaft geprägten Ländern: Fast 40 Prozent der Bevölkerung arbeitet in der Landwirtschaft, die mit 24,9 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt beiträgt. Dabei weist Paraguay mit etwa 80 Prozent der landwirtschaftlich nutzbaren Flächen im Besitz von nur 2 Prozent der Bevölkerung eine der höchsten Landkonzentrationen auf. Kleinbauern und Frauen sind die Hauptleidtragenden dieser Besitzkonzentration: Erhebungen zufolge beträgt der prozentuale Anteil von Land im Besitz von Frauen, bezogen auf die nominal gezählten Landtitel, gerade einmal zehn Prozent, ein Ausdruck der bestehenden patriarchalischen Strukturen in der Titelvergabe für Land (LN 393). Paraguay liegt mit einem Wert von 0,757 an 91. Stelle des Human Development Index 2006 (HDI 2006) sowie mit einem HPI-1-Rank von 8,3 Prozent an 14. Stelle des Human Poverty Index for developing countries 2006 (HPI-1 ranks for 102 developing countries and areas). Die Armutsquote auf dem Land liegt bei 35 Prozent, die aber als Folge der massiven Landflucht seit 1997 von der Armut in städtischen Zonen übertroffen wird (LN 393).

Die Sojabohne ist mit Abstand nicht nur das wichtigste Exportprodukt des Landes, sondern mit 38 Prozent der gesamten landwirtschaftlichen Produktion auch der zentrale Pfeiler der paraguayischen Wirtschaft. Paraguays hauptsächliche Sojaanbaugebiete liegen im Osten und Süden des Landes, sind somit direkt Teil des 50 Millionen Hektar umfassenden so genannten "Sojagürtels Südamerikas", der des weiteren den Süden Brasiliens, Nord-Argentinien sowie das östliche Bolivien umfaßt. Rund 70 Prozent der in Paraguay angebauten Soja besteht aus der gentechnisch veränderten Monsanto-Sorte Roundup Ready. Das Land ist mit ca. 4 Millionen Tonnen der weltweit sechst größte Produzent und mit ca. 2,5 Millionen Tonnen viertgrößter Exporteur von Soja, wobei sich durch den Export verarbeiteter Produkte der Exportanteil auf bis zu 80 Prozent des gesamten produzierten Sojas steigert. Die Regierung Paraguays setzt vor allem auf den Export der Soja, so im Nationalen Plan für landwirtschaftliche und ländliche Entwicklung (2004 bis 2008), der die oberste Priorität auf die Steigerung der Agrarexporte, vor allem Soja, setzt (LN 393). Das immense Interesse vor allem auch ausländischer Investoren an Land für Sojaanbau in Paraguay ist auch den dort vorteilhaften Böden zuzuschreiben: Der durchschnittliche Hektarertrag liegt, vor allem im Osten und Süden des Landes, je nach Saison zwischen 1.700 kg/ha (2006) bis 2.600 kg/ha (2001), ca. 5-10 Prozent über den vergleichbaren durchschnittlichen Erträgen im benachbarten Argentinien. All diese Umstände sowie eine Regierungspolitik, die mit aller Entschlossenheit darauf ausgerichtet ist, massive Deviseneinahmen über den Export der Bohne zu generieren und dabei "Kolateralschäden" (siehe Abschnitt Landkonflikte und Ernährungssouveränität in Paraguay) wissentlich zu billigen bis politisch gewollt in Kauf zu nehmen, lassen Paraguay nicht zuletzt in den Augen ausländischer Investoren in ihrem Run auf Land wie ein "Paradies" erscheinen.

Im letzten Sojazyklus 2006/2007 wurde auf fast 2,6 Millionen Hektar Soja angebaut. Davon sind 80% in ausländischer Hand, meistens deutschstämmiger Brasilianer, den so genannten brasiguayos. Diese wurden seit Mitte der 1970er Jahre zuerst im Departamento Alto Paraná von der Diktatur Stroessner angesiedelt, auch um die nach dem blutig niedergeschlagenem Aufstand der Bauernguerillas systematisch von der Diktatur vertriebene Landbevölkerung zu ersetzen (LN 385/386).


Steigende Nachfrage nach Soja: Ausweitung des Anbaus und Infrastrukturausbau

 

Die weltweite Nachfrage nach Soja als Tierfutter und für Agrokraftstoffe treibt die Preise für Soja weiter nach oben. Soja-Unternehmen wandelten alleine im Jahr 2007 deshalb weitere 400.000 Hektar Land in Plantagen um. Die Soja-Lobby erwartet in den nächsten Jahren eine Ausdehnung der Sojanbaufläche auf 4 Millionen Hektar. Schätzungen des größten Sojaproduzenten des Landes, Colonias Unidas, zufolge, würden sich bis zu 7 Millionen Hektar landwirtschaftliche Flächen in Paraguay "problemlos" für den Sojaanbau eignen.

Hinzu kommt, dass wegen des Sojabooms nicht nur die Sojafarmer und die Regierung Paraguays, sondern auch die benachbarten Staaten, allen voran Brasilien, den massiven Ausbau der Infrastruktur für den Transport der Ressourcen der "Wunderbohne" vehement fordern und mittlerweile planen: Regelrechte Exportkorridore sollen trotz erheblicher ökologischer und sozialer Bedenken und Warnungen seitens der Zivilgesellschaft und sozialen Bewegungen eingerichtet werden durch den Ausbau von Straße und Schiene und vor allem der Wasserstraßen ("Eje Rio Paraguay - Rio Paraná" und "Eje Capricornio" im Rahmen der interregionalen Infrastrukturinitiative Südamerikas IIRSA). Hinzu kommen Großprojekte wie der Ausbau der Inlandshäfen - wie der von Cargill in Asuncíon - und der Übersee-Exporthäfen im Süden Brasiliens bis hin zu dem von Paraguays Regierung und Ethanolfarmern erwünschten Anschluß an eine der geplanten neuen brasilianischen Ethanol-Pipelines, Maringá - Paranaguá, die dann im Rahmen der so genannten "Ethanol-Allianz" mit Brasilien die ebenfalls rasant wachsenden Zuckerrohranbaugebiete im Osten Paraguays mit den südbrasilianischen Exporthäfen - und damit nicht zuletzt auch mit den Märkten europäischer Benzinschlucker verbinden soll (siehe "Sobre las trampas del agrocombustible y los servicios ambientales", 30-08-2007). - Es steht zu befürchten, dass kleinbäuerliche Landwirtschaft diesen massiven Ausbauplänen entgegensteht - und staatlich sanktioniert vertrieben wird.


Landkonflikte und Ernährungssouveränität in Paraguay

Die Folgen dieser massiven Expansion des großflächigen und in Monokultur erfolgenden Sojaanbaus sowie des damit verbundenen massiven Ausbaus der Transportinfrastruktur sind vielfältig: massive Entwaldung, die im Jahr 2007 in den größten Waldbränden seit Beginn der Aufzeichnungen gipfelte und somit nicht nur die Umwelt und Biodiversität bedroht, sondern auch klimaschädlich sich auswirkt; der großflächige Pestizid- und Herbizideinsatz, der existierende Umweltgesetze nicht respektiert, Krankheiten und sogar Todesfälle in der Landbevölkerung auslöst; die Auslaugung des Bodens und Wasserverschmutzung, die die Zukunft der lokalen Bevölkerung bedroht. All dies sowie die zunehmende Landexpansion für die Sojabohne bedroht auch die indigenen Gemeinschaften, die um ihr angestammtes Land vor Gericht kämpfen müssen. Da aber die Regierung Paraguays internationale Verwicklungen wegen bestehender bilateraler internationaler Investitionsverträge fürchtet, stand beispielsweise der Gemeinschaft der Sawhoyamaxa letztlich nur der justiziable Weg über den Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshofs offen. Paraguay wurde deshalb im März 2006 wegen schwerer Verletzung der Rechte auf Leben, auf körperliche Unversehrheit, Eigentum und anderer Rechte verurteilt.

Kleinbauern leiden massiv unter der Ausweitung des Sojaanbaus. Zehntausende Menschen werden von ihrem Land vertrieben: Allein 90.000 Familien während des letzten Jahrzehnts. Es handelt sich bei diesen Vertriebenen in der Regel um Kleinbauern, die mit ihrer familiären Landwirtschaft nicht mit den Sojafarmern konkurrieren können. Folgen dieser Vertreibung ist auch eine massive Landflucht der Vertriebenen in die Städte. Angesichts dieser Vertreibung hunderttausender Menschen nimmt es nicht wunder, daß sowohl auf dem Land wie in den Elendsvierteln der Städte die Konflikte rasant zunehmen. Die Folgen dieser sozialen Entwurzelung sind nicht zuletzt auch der Zerfall der Gemeinschaftsstrukturen wie auch der Familien. Frauen sind oft die Hauptleidtragenden dieser jüngeren Entwicklungen in Paraguay.

Allein in den letzten Jahren (2004-2007) wurden auch vermehrt Fälle von Einschüchterung, Bedrohung, Mord, massiven Landkonflikten und Menschenrechtsverletzungen verzeichnet (LN 385/386): In Anwesenheit korrumpierter Polizisten und Bezirksrichtern wurden Hütten der Kleinbauern verbrannt (2004). Die Vertreibung der kleinbäuerlichen und familiären Landwirtschaft durch die Sojafarmer wird auch oft von Militär und Polizei sowie angeheuerter Paramilitärs (Departement Caaguazú) als auch von Teilen korrumpierter staatlich Bediensteter gedeckt. So verzeichnet auch die eigentlich verfassungsgemäß durchzuführende Landreform (Enteignung großer unproduktiver Güter und unrechtmäßiger Landtransfers sowie die Lokalisierung der verbleibenden öffentlichen Ländereien) keine Fortschritte. Vielmehr zeigt sich, so die Kritik von sozialen Bewegungen wie u.a. von Via Campesina, Movimiento Agrario Popular del Paraguay (MAP), Movimiento Paraguayo Campesino (MCP), Coordinadora Nacional de Mujeres Rurales e Indígenas (Conamuri) oder der Organización de Lucha por la Tierra (OLT), dass in Folge des gegenwärtigen Sojabooms die seit den 1960er Jahren mit der Landreform beauftragte staatliche Institution INDERT (Instituto Nacional de Desarrollo Rural y de la Tierra - Nationales Institut für Landfragen und für die ländliche Entwicklung) sich zunehmend eher als "Grundstückmaklerin" für landsuchende Sojafarmer denn als Garantin der Durchführung der Landreform betätigt hat.

In Paraguay ist angesichts dieses aktuellen und hochbrisanten Sojabooms die Sicherung der Ernährungssouveränität der kleinbäuerlichen und familiären Landwirtschaft akut bedroht. Dabei ist Paraguay einer der weltweit 22 Staaten, deren Verfassung das Recht auf Nahrung, und somit auch den Zugang zu Land implizit verbrieft hat. Darüber hinaus hat Paraguay 1992 den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (WSK-Pakt) der Vereinten Nationen ratifiziert und verpflichtete sich dadurch, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um das Recht auf Nahrung durch den direkten Zugang zu Land umzusetzen (LN 393). Es gilt, den Widerstand der sozialen Bewegungen in Paraguay zu unterstützen in ihrem Kampf um Ernährungssouveränität, Land und Umweltgerechtigkeit.



Christian Russau (FDCL), März 2008


Photos: Reto Sonderegger

 

LESETIPP: Einen sehr guten, detaillierten wie auch umfassenden Überblick bietet die Studie

Repúblicas Unidas de la Soja

Freier Download auf englisch und spanisch unter: www.lasojamata.org