de en es pt

Das geheime Archiv im brasilianischen Aussenministerium

Im Juli 2007 hatten Recherchen der brasilianischen Zeitung Correio Braziliense ergeben, dass ein der Öffentlichkeit bis dato nicht bekanntes geheimes Archiv in den Kellern des brasilianischen Aussenmisteriums lagere, - mit brisanten Unterlagen und Dossiers aus der Zeit der Militärdiktatur, den so genannten "anos de chumbo". Das vom brasilianischen Aussenministerium Itamaraty geleitete "Centro de Informações do Exterior" (Ciex) fungierte zwischen 1966 und 1985 als "Informationsagentur zur Überwachung der Gegner des Militärregimes im Ausland" und führte Akten und an die 8.000 Berichte über potentielle brasilianische Regimegegner im Ausland.

Die Ursprünge dieses ab 1966 mit direkten Mitteln des Aussenministeriums finanzierten Geheimarchivs des Ciex liegen nach Aussage des Gründers, des langjährigen, mittlerweile über 90jährigen ex-Diplomaten, Manoel Pio Corrêa, in seinen eigenen Erfahrungen in Uruguay. Pio Corrêa war kurz nach dem Militärputsch 1964 brasilianischer Botschafter in Montevideo. Dort widmete er sich, so seine Aussage gegenüber dem Correio Braziliense, der Aufgabe, die Aktionen vor allem der beiden wichtigsten brasilianischen Regimegegner, die in Uruguay Asyl gefunden hatten, des ehemaligen Präsidenten Goulart und seines Schwager, des ex-Gouverneur von Rio Grande do Sul, Leonel Brizola, zu überwachen und deren "Aktionen zu neutralisieren" (siehe "Die Schatten der Operation Condor erreichen Brasilien"). Zusammen mit seinem Militärattaché hat Pio Corrêa in Uruguay ein Netz von Informanten - Politiker, Militärangehörige, Richter, Polizisten, Farmer und Händler - um Goulart und Brizola herum aufgebaut. "Uruguay", so sagt Pio Corrêa, "wurde zum Pilotprojekt für die Gründung von Ciex."

Des weiteren bestätigte Pio Corrêa, dass das Archiv 1966 nach seiner Rückkehr ins Itamaraty auf seine Initiative hin gegründet wurde und dass er es einige Jahre leitete, erregte sich aber darüber, dass es später in solch dokumentierter Form, mit Eingangs- und Bearbeitungsstempeln, fein säuberlich sortiert, geführt wurde und existiert. "Diese ganze Dokumentation überrascht mich. Das sollte nicht existieren. Ein geheimes Archiv mit nummerierten Seiten und Stempeln ist widersinnig!", kritisiert er. Zu seiner Zeit, so berichtet er, lief das Archiv rein informell. Und es war für ihn Teil des Kampfes gegen den Kommunismus. Befragt über genauere Operationen in der Bekämpfung von Regimegegnern im Ausland, beruft er sich darauf, dass "gewisse Geschichten nicht erzählt werden dürften".

Im Zuge der "Entdeckung" dieses geheimen Archivs ist die für die brasilianische Öffentlichkeit dabei besonders brisante Information, dass die im Archiv des Ciex zusammengetragenen Informationen über RegimegegnerInnen im Ausland von unzähligen brasilianischen DiplomatInnen kamen. Bisher, so der Correio Braziliense, galt das brasilianische Außenministerium in den Zeiten der Militärdiktatur immer als honoriger Ort, gleichsam als „moralische Hüterin der Demokratie”in den so genannten „Bleiernen Jahren”der Militärdiktatur.

Die letztes Jahr aufgetauchten Beweise aus dem Archiv des Ciex zeigen nun vielmehr die aktive Rolle, die das Außenministerium und unzählige DiplomatInnen der Zeit bei Identifizierung und Festnahme Oppositioneller im Ausland spielte. Viele der RegimegegnerInnen wurden gefoltert oder sind „verschwunden”. In viermonatiger akribischer Analyse der Dokumente kam der Correio Braziliense zu der Analyse, dass „es niemals eine sichere Zuflucht für Gegner des Putsches von 1964 im Ausland gab”. Die Zeitung schlußfolgert: „Die Regimegegner wurden bei jedem ihrer Schritte überwacht, jedes Wort, jede Aktion oder Reise im Ausland wurde beobachtet, überall in Lateinamerika, auch in Europa, in der Sowjetunion oder in Nordafrika.”Von den 380 während der brasilianischen Militärdiktatur Ermordeten oder Verschwundenen finden sich 64 im Geheimarchiv der Ciex wieder. Das Identifizieren und Lokalisieren dieser 64 Personen ermöglichte, so der Bericht des Correio Braziliense, letztlich den anderen brasilianischen Geheimdiensten, RegimegegnerInnen zu lokalisieren und zu foltern und zu ermorden. Auf der Basis dieses umfassenden Archivs beruht - wie die Vermutung naheliegt - demnach auch ein Großteil der operationellen Fähigkeiten der späteren "Operation Condor", der länderübergreifenden und systematischen Koordination südamerikanischer Militärdiktaturen der 1970er Jahre zur Überwachung, Kontrolle, Repression und Ermordung Oppositioneller. - Die Öffnung dieses Archivs - wie auch aller anderen nach wie vor geheimen Archive - könnte endlich einen Teil der nach wie vor ungeklärten Schicksale Betroffener aufzuklären wie auch Einblicke in die systematische Repressionsstruktur der Operation Condor zu gewähren helfen.

Christian Russau (FDCL)
März 2008

Siehe weitere Informationen in "Die Schatten der Operation Condor erreichen Brasilien. Das Amnestiegesetz zur Militärdiktatur könnte wieder zur Diskussion stehen" und "Streng geheim!" - seit dem Krieg mit Paraguay. Die mangelnde Öffnung der geheimen Archive Brasiliens".