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EU-MERCOSUR-VERHANDLUNGEN

EU-Kommission, vertreten durch DG Trade, fordert weiterhin Liberalisierung des brasilianischen Wassermarktes, weitere Zugeständnisse bei Dienstleistungen, Investitionen und Öffentlichem Beschaffungswesen

 

29.05.2004

 

"DEREGULIERUNG NATIONALER MÄRKTE DURCH REGULIERUNG INTERNATIONALER HANDELSREGIME"

Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika e.V. (FDCL), Berlin

EU-MERCOSUR und DOHA-AGENDA

Anfang Mai hatten sich EU und MERCOSUR zum nunmehr dreizehnten BNC zusammengefunden (XIII MERCOSUR - EUROPEAN UNION BI-REGIONAL NEGOTIATIONS COMMITTEE, 3 - 7 May, Brussels, Belgium), nachdem der ursprünglich anvisierte Zeitrahmen (Austausch der "verbesserten Maktöffnungsangebote" zum 15.April 2004) sich mehrmals verschoben hatte, es dann zwischenzeitlich beim Austausch der Dokumente zur formalen Beteuerung der Europäer kam, es handele sich bei ihrem Angebot um ein enorm verbessertes Angebot, aber da sie dem Prinzip folgten, sie hätten "nur eine Tasche" ("single pocket"), aus welcher sie etwas anzubieten sich in der Lage sähen, so beschränkten sich die Europäer auf Quotenerhöhung für die im Hauptinteresse des MERCOSUR liegenden Agrarprodukte und auf die Erweiterung des Angebots auch auf verarbeitete Agrarprodukte. Dabei beharrt die EU darauf, dass sie insgesamt nur einmal etwas "anbieten" könne.

Zwar gilt in Fragen grenzüberschreitender Handelsregeln für alle WTO-Mitglieder: "WTO rules!", aber nach Art XXIV GATT 1947 können bis zu einem gewissen Grad Regionale Freihandelszonen geschaffen werden, ohne dass die darin getroffenen Regelungen und handelsbezogenen Vergünstigungen gegen WTO-Recht verstießen. Folgereichtig gilt auch die Meistbegünstigungsklausel ("Most Favoured Nation-Principle", MFN) nicht für Regionale Freihandelszonen. Aber dennoch gilt in Fragen des Verhandlungspokers zwischen EU und MERCOSUR, laut EU-Kommission, die Spielregel des jeweiligen Angebots in EU-MERCOSUR und WTO in relativer Abhängigkeit voneinander: 50 Prozent der "Zugeständnisse" im Rahmen von EU-Mercosur, 50 Prozent im Rahmen der WTO.

Dem Prinzip der "Einen Tasche" entsprechend präsentierte sich die EU-Kommission mit ihrem Angebot vom April inhaltlich wie formal zurückhaltend, unter dem verhandlungstaktischen Status eines sogenannten "No-Paper", um zuerst abzuwarten, was die andere Seite vorzulegen habe, - ein Umstand, der bei der MERCOSUR-Verhandlungsseite auf komplettes Unverständnis stiess.

Die verhandlungstaktischen Momente im Abgleich zwischen EU-MERCOSUR und der eher zähflüssigen Doha-Agenda sowie das machtpolitische Kalkül der Europäer, die agrarexportierenden Staaten des MERCOSUR über auf Quotenerhöhung basierende Angebote im Rahmen des EU-MERCOSUR-Verhandlungsprozesses zu "bestechen" (FT, 15. Apr. 2004), um dergestalt die G-20 zu schwächen und ggf. zu spalten, sind bislang nicht aufgegangen.

Zwar betonten die Staats- und Regierungschefs auf dem III.Gipfeltreffen Lateinamerika, Karibik und Europa (offizielle Seite unter www.alcue.org erreichbar) wiederholt ihre Absicht, bis Oktober das EU-MERCOSUR-Abkommen zu schliessen, doch nach wie vor zeigen sich beide Seiten "enttäuscht": Die MERCOSUR-Staaten erwarten weitere Zugeständnisse in Fragen des Martkzugangs für ihre Agrarprodukte (ganz im Sinne des Agrobusiness'), die Europäer erwarten das gleiche in Fragen von Investitionen, Dienstleistungen und Öffentliches Auftragswesen (ganz im Sinne europäischer transnationaler Konzerne). Dass über den aktuellen Verhandlungsstand so gut wie nichts bekannt ist, liegt an der gänzlichen Abwesenheit von Transparenz in den Verhandlungen. Die aktuellsten Verhandlungsangebote von Mitte Mai sind bislang nicht durchgesickert.

 

DIENSTLEISTUNGEN - ANALOG GATS: KOMMERZIALISIERUNG ÖFFENTLICHER DASEINSFÜRSORGE QUA INTERNATIONAL RECHTSKRÄFTIGEM VERTRAGSWERK

Von den wenigen bisher öffentlich gewordenen Verhandlungsdokumenten zeigt das Angebot Brasiliens vom 30. März im Bereich Dienstleistungen ("SERVICES - BRAZIL'S INITIAL OFFER MARCH 30, 2004"), laut Ansicht der EU-Kommission, noch weitestgehende Zurückhaltung. Das Angebot sah wie folgt aus:

 

"MERCOSUR-EU

BRAZIL'S INITIAL OFFER IN SERVICES

(Footnote: *Brazil's initial offer is subject to substancial progress in the agriculture negotiations*)

I. HORIZONTAL COMMITMENTS

ALL SECTORS INCLUDED IN THIS SCHEDULE

All modes of supply:

<typolist>

The Brazilian government reserves its right to suspend temporarily the commitments inscribed in this schedule of specific commitments in one(some) of the sector(s), sub-sector(s) or mode(s) of supply

Measures resulting from decisions adopted for ensuring competition are not to be considered incompatible with the specific commitments inscribed in the Brazilian schedule of specific commitments and therefore cannot be used as a basis for compensation claims for any adverse effects that they may cause to foreing services and/or services suppliers.

</typolist>

ALL SECTORS INCLUDED IN THIS SCHEDULE: LIMITATIONS ON MARKET ACCESS

Mode 1) Cross-border supply: Unbound

Mode 2) Consumption abroad: Unbound

Mode 3) Commercial Presence: In accordance with laws and regulations that rule foreign investments in Brazil, all foreign capital invested in Brazil must be registered with the Central Bank of Brazil to be eligible for remittances. The Central Bank establishes procedures related to the remittances and transfers of funds abroad. Foreign service suppliers wishing to supply a service as a juridical person must be organized as a legal entity foreseen by the Brazilian law, subject to the dispositions of the Brazilian Civil Code ("Código Civil"). The Brazilian law establishes for juridical persons a separate existence from the person of its holders, thus granting the juridical person with individual existence. Consequently, a juridical person has full title and responsibility for its patrimonial rights and obligations. An entity earns the condition of private law juridical person when the correspondent incorporation act (By-Laws and/or Articles of Association) is duly filed with the appropriate Entities` Public Registry (EPR). It is mandatory that the EPR records contain the following data on the juridical person: i) its denomination, purpose and location of head offices; ii) the description of its management, including active and passive, judicial and extra-judicial representation; iii) the process of amendment of the management provisions; iv) the provisions regarding the liability of the officers for its acts; and v) the provisions concerning its termination, including the destination of its assets. Juridical persons referred as "sole proprietorship" and "partnership" are not considered as such under Brazilian law. A joint venture may be accomplished by a capital association through the formation of any type of business organisation as set forth in the Brazilian law (usually a Private Limited Liability Company - "Limitada" - or a Corporation - "Sociedade Anônima"). A joint venture may also be carried out through a "consórcio", which is neither a juridical person nor a form of capital association. A "consórcio" is used mainly with major contracts for rendering of services. It is a contract of two or more enterprises for a joint accomplishment of one specific undertaking. Each associate in a "consórcio" maintain its respective organisational structure. Unbound for subsidies.

Mode 4) Presence of Natural Persons: Unbound" ["Mercosur - European Union - Services. Brazil's Initial Offer, March 30, 2004", S.4)

 

Die Europäische Kommission, vertreten durch DG Trade, hatte Anfang Mai auf der Sitzung des "XIII MERCOSUR - EUROPEAN UNION BI-REGIONAL NEGOTIATIONS COMMITTEE", in Reaktion auf diese "SERVICES - BRAZIL'S INITIAL OFFER MARCH 30, 2004", mit Nachdruck darauf bestanden, dass Brasilien in den Dienstleistungsverhandlungen umfassendere Zugeständnisse bei Marktzugang ("MA") und Inländergleichbehandlung ("NT") zu erbringen habe, - und dies in allen vier bekannten Dienstleistungsbereichen ("Modes") analog des GATS.

So forderte die EU von der brasilianischen Verhandlungsdelegation im April eine grundlegende Korrektur bei Mode 1 ("cross-border supply") und Mode 2 ("consumption abroad"): in dem brasilianischen Marktöffnungsangebot im Bereich Dienstleistungen vom 30. März 2004 seien diese Bereiche horizontal ausgenommen, so bedauert es die EU-Kommission:

 

"Brazil: Horizontal unbound on mode 1 and 2." ["Minimum requirements for Mercosur offer on Services", S.1]

 

Die Kommission führte im April weiter aus:

 

"The coverage of mode 1 is very limited for this important mode of supply, in particular for Brazil (no commitments) and for Paraguay. It is essential to extend the coverage of mode 1, in particular with regard to: computer related services; other business services; telecommunications; financial services." ["Minimum requirements for Mercosur offer on Services", S.1]

 

Außerdem sieht die EU-Kommission in Mode 3 ("commercial presence") zu viele "Restriktionen", vor allem von brasilianischer Seite, - dass diese "Restriktionen" ohnehin sehr limitiert sind (ausländischen Investoren wird qua brasilianischer Verfassung gleiches Recht wie inländischen Investoren zugesprochen, Kapitalverkehrskontrollen gibt es keine, Gewinntransfers können jederzeit, nach der Online-Registrierung über SISBACEN der brasilianischen Zentralbank, überwiesen werden, steuerfrei bis zu der Höhe der ursprünglich getätigten Investition, und für darüberhinausgehende Beträge ergibt sich kein Anfall einer Extrasteuer, allerdings erfolgt eine Besteuerung durch die ohnehin fällige Quellensteuer in Höhe von 15 Prozent) und nur den letzten Rettungsanker darstellen (so ist z.B. der brasilianische Vorbehalt, dass es eben der brasilianischen Zentralbank obliege, die Regelungen für den grenzüberschreitenden Kapitaltransfer festzulegen, um im Fall drohender Finanzkrisen beispielsweise angemessene Massnahmen gegen abrupte Kapitalflucht treffen zu können, zu interpretieren.) hindert die EU-Kommission nicht, die komplette Deregulierung einzufordern.

Nun war Mode 4 ("Presence of Natural Persons") durch die brasilianische Seite ebenfalls in "SERVICES - BRAZIL'S INITIAL OFFER MARCH 30, 2004" horizontal ausgenommen, aber dieser Bereich wird von der Kommission als zu sensibel betrachtet, als dass man ihn pauschal liberalisieren wollte. Die Kommission verfolgt in Mode 4 lieber die Strategie der zielgerichteten Auswahl:

 

"Mode 4. The EU considers that the commitments of Mercosur countries should cover the categories of intra-corporate transfers, business visitors and contractual service suppliers as defined in the EU request to Mercosur." ["Minimum requirements for Mercosur offer on Services", S.1]

 

 

WASSER

Ein weiterer Dorn im Auge der EU-Kommission ist das beschränkte Angebot der vier MERCOSUR-Staaten im Bereich:

 

"Environmental services. The improved offer only includes some limited commitments of Uruguay. There should be comprehensive commitments by all Mercosur countries in all modes of supply." ["Minimum requirements for Mercosur offer on Services", S.1]

 

"Environmental services" beinhalten neben Abwasser, Müllentsorgung, sanitären Einrichtungen und Anlagen auch den höchst sensiblen Bereich "Trinkwasser", den die EU-Kommission, ganz im Sinne der weltweit operierenden, europäischen Wassermultis, grenzüberschreitend liberalisieren möchte. Gekoppelt mit umfassenden Regelungen bei Investitionen ("Rechtssicherheit für Investoren" erfüllt hierbei die Funktion der qua internationalem Vertragswerk festgeschriebenen Verwertungslogik) wird so das Grundrecht auf Wasser, als elementares Mittel zum Leben, durchgängig der Marktlogik unterworfen.

Staatlich auferlegte Preisobergrenzen für Wasser, im Falle von beispielsweise akuten Finanzkrisen wie in Argentinien im Jahr 2001, wären - sollte die EU-Kommission die Liberalisierung der Marktzugänge, das Prinzip der Inländergleichbehandlung für ausländische Investoren und unumgängliche Liberalisierungsregelungen bei Gewinntransfers, etc. in den Verhandlungen durchsetzen - qua international gültigem Vertrag verboten.

In Freihandelsverträgen, die in Ausgestaltung, Form und Inhalt an die WTO angelehnt sind, rangieren die Prinzipien der Inländergleichbehandlung vor nationalstaatlicher, regionaler oder lokaler Politikgestaltung: Jede handelsrelevante Regelung muss nach dem "necessity test" (*s.u. ERRATA) zuerst nachweisen, dass sie die am wenigstens "den Handel diskriminierende" war (laut GATS Article VI Domestic Regulation: "not more burdensome than necessary to ensure the quality of the service"). Damit wird das innerhalb der EU selbst so verbal hochwertgeschätzte Vorsorgeprinzip de jure und de facto ausgehoben:

 

"The precautionary principle is not defined in the [Amsterdam] Treaty, where it is explicitly mentioned only in the context of environmental protection. However, the Commission, in line with the case law of the European Court of Justice, considers that the precautionary principle is of general scope and that it is therefore applicable to all situations with a consumer health dimension. Hence the scope is wider than the environment and extends to human, animal and plant health. Nonetheless the Commission does not propose a legal definition of the precautionary principle and prefers to explain pragmatically how and in what circumstances it may be relied on. [...]"

 

Öffentliches Beschaffungswesen

Im Bereich des Öffentlichen Auftragswesens ("government procurement" engl., "compras governamentales" port.) wird die Kommission nicht müde, "Transparenz" und "Marktzugang" zu den Öffentlichen Ausschreibungen in den vier MERCOSUR-Staaten zu fordern. Vor allem die brasilianische Verhandlungsseite hatte sich geweigert, ein Angebot zu unterbreiten, welches über "Transparenz" hinausgehen sollte.

Nun meint "Transparenz", so wie sie die EU-Kommission versteht, nicht etwa "demokratische Kontrolle öffentlicher Ausgaben", sondern das Interesse der EU-Kommission ist wiederum gerichtet auf die Erschliessung neuer lukrativer Märkte für ihre europäischen Konzerne. Sie fordert:

 

"The EC indicated which sectors are considered of key interest in an eventual future Mercosur offer. These are procurement by entities operating in the water, transport and energy sectors, indistinctively of their position at central or subcentral level. In general terms, contracts (including public works concessions) related to infrastructure are a priority for the EC." ["Thirteenth Meeting of the MERCOSUR - EUROPEAN UNION BI-REGIONAL NEGOTIATIONS COMMITTEE, 3 - 7 May 2004, Brussels - Belgium, Final Conclusions", ungekürzte Version]

 

Zwar beteuert die EU stets auf Neue (so auch schon wortgetreu in den GATS-2000 Requests an 72 Staaten), dass sie keinesfalls den Abbau Öffentlicher und Kommunaler Dienste von den vier MERCOSUR-Staaten verlange,

 

"the EC is not seeking the dismantling of public policies or the privatisation of state owned companies" ["Investment. Request from the EC and its Member States (hereinafter the EC) to MERCOSUR, 22.04.04"].

 

Aber dies fällt zum einen unter die Priorität der Austeritätspolitiken des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank, und andererseits bedeutet die oben genannte Aufforderung nach Liberalisierung des Öffentlichen Beschaffunsgwesen nichts anderes als die Aufforderung, einem international bindenden Rechtskontrukt zuzustimmen, nach welchem jede öffentliche Ausgabe, ab einer gewissen Höhe, nach "nicht-marktdiskrimierenden Regeln" international ausgeschrieben werden muss: Äusserst fragwürdig, wie ein solches Prinzip zur Ausschreibungsvergabe an alle am internationalen Markte operierenden Anbieter nun gerade nicht "the dismantling of public policies or the privatisation of state owned companies" befördern solle?

 

INVESTITIONEN UND HANDELSRELEVANTE POLITIKGESTALTUNG

Der Bereich Investitionen, als eines der Lieblingsthemen der Europäer in den aktuellen Verhandlungen, kommt anscheinend nicht so ganz im Sinne der Kommission voran: Nun hat beispielsweise Brasilien mittlerweile (Angebot Mai 2004) angeboten, neben den Automobilsektor nun auch noch Fischerei und Bergbau als eigenständige Investitionskapitel in den Bereich Güter, sowie Telekommunikation und den Finanzsektor in den Bereich Dienstleistungen aufzunehmen, gleichwohl sah die Kommission zumindest noch im April erheblichen Handlungsbedarf (es ist nicht klar, wie das verbesserte MERCOSUR-Angebot vom Mai aussieht: es ist bislang nicht durchgesickert.)

Aus der "Brazil's Initial offer, march 30" aus dem Bereich Dienstleistungen läßt sich der für Investitionen wichtige Bereich (Mode 3: "commercial presence") herauslesen. Doch die EU-Kommission ist damit alles andere als zufrieden. In den EU-MERCOSUR-Verhandlungen ist es vor allem immer wieder Brasilien, an das die Kommission ihre Forderungen gesondert richtet. Hier das Beispiel "Finanzsektor":

 

"Brazil: There are minor improvements for Brazil compared to GATS which do not even include the outcome of the 1998 GATS further negotiations. With regard to insurance, two elements must be included in the offer: a) commit with regard to the whole Maritime and transport (MAT) on mode 1 and 2; 2) commit on re-insurance and retrocession on mode 1, 2 and 3. With regard to the banking, the possibility to authorise on a case by case basis the establishment of foreign banks devoids commitments of much of its value and legal certainty and must be eliminated." ["Minimum requirements for Mercosur offer on Services", S.1)

 

Und im Bereich Investitionen forderte die EU noch im April mit aller ihr zur Verfügung stehenden Vehemenz:

 

"Specific Sectors

[...]

Brazil

Fishing, Mining and Manufacturing of motor vehicles, Electricity, gas and water production are completely unbound.

EC request: to take commitments on these sectors. These are key sectors of interest to European investors."

["Investment. Request from the EC and its Member States (hereinafter the EC) to MERCOSUR, 22.04.04", S.2]

 

Unzweideutiger als mit der Formulierung "These are key sectors of interest to European investors" lässt sich das Anliegen der EU-Verhandlungsführung kaum ausdrücken, - und bedarf keines weiteren Kommentars.

Nun wurden laut (vor allem brasilianischen) Pressemeldungen offensichtlich Angebote von brasilianischer Seite in den Bereichen Fischerei und Bergbau ebenso wie bei Finanzdienstleistungen und Telekommunikation gemacht, gleichwohl scheinen der Kommission noch weitergehende Rechtszugeständnisse vorzuschweben. So hat sich nach dem Austausch der "verbesserten Angebote" vom 21.-22. Mai die EU-Kommission enorm enttäuscht gezeigt (Folha de São Paulo: Proposta do Mercosul não agrada à UE, 25.05.2004). Denn das Angebot des MERCOSUR im Bereich Investitionen und handelsbezogener Politikgestaltung bezog sich bislang nur auf die Bundesebene, die Kommission hatte dies schon Ende April bedauert:

 

"It is also understood that for the EC it is an important condition that the sub-federal level of government and tax measures are not excluded from the provisions of the agreement and from each Party's schedule of investment commitments." ["Investment. Request from the EC and its Member States (hereinafter the EC) to MERCOSUR, 22.04.04", S.2]

 

Denn wenn es um die international gültige Festschreibung von dem Markt unterworfenen Verwertungslogiken, auf dem realen Parket konkurrenzbeflügelten Weltmarktes, geht, dann stellt natürlich handelsrelevante Politikgestaltung auf allen Ebenen kommunaler, regionaler oder föderaler Ebene für die neoliberale Marktlogik die Gefahr dar, dass die "Rechtssicherheit" des neoliberalen Marktkonzept unterwandert werden könnte. Die Ausschaltung der Möglichkeit von handelsrelevanter Politikgestaltung, die beispielsweise Steuerungselemente für lokale oder regionale Entwicklung einzusetzen oder im Falle akuter Finanzkrisen Kapitalverkehrskontrollen oder anderweitige Beschränkungen und Auflagen anzuwenden versucht, ist dem neoliberalen Politikverständnis Hauptanliegen.

Und vor allem Brasilien hat noch diese Möglichkeit handelsrelevanter Politikgestaltung, ohne die Zementierung international rechtskräftiger Verträge. Es nimmt (noch) einen Sonderstatus ein: Brasilien hat zwar über ein Dutzend bilaterale Investitionsabkommen (BIT) geschlossen, aber vom brasilianischen Kongress ("Câmara dos Deputados") wurde bislang kein einziges BIT ratifiziert, - ein Umstand, der vor allem der hartnäckigen Opposition der PT zu verdanken war, so dass im Verlauf des Jahres 2001-02 der parlamentarische Verhandlungsprozess über die zu ratifizierenden BITs temporär eingefroren wurde. Nun allerdings ist die PT nicht nur Regierungspartei, sondern mittlerweile verhandlungsführend auf dem Parkett internationalen Welthandels, sei es im Rahmen MERCOSUR, sei es in der G-20. So nimmt es nicht wunder, wenn die Kommission die Gelegenheit beim Schopfe ergreift, vor allem von der brasilianischen Seite das Maximalmögliche zu fordern, sie unter Druck zu setzen, wohlwissend, wie wenig die brasilianische Koalitionsregierung eine Einheit darzustellen vermag, und wie stark der Druck beispielsweise des brasilianischen Agrobusiness' ist, alsbaldmöglich ein Freihandelsabkommen abzuschliessen. - Da liegt die Gefahr eines Kuhhandels nicht weit.

 

 

EU-MERCOSUR-ABKOMMEN: DEREGULIERUNG NATIONALER MÄRKTE DURCH REGULIERUNG INTERNATIONALER HANDELSREGIME ?

Es steht zu fürchten, dass im Rahmen der umfassenden Freihandelsagenda zwischen der Europäischen Union (EU) und dem Gemeinsamen Markt des Südens (Mercosur) Fragen von Entwicklung hinter dem Primat der Marktlogik genauso sekundär werden wie nationalsstaatliche Entscheidungs- und Handlungsspielräume für Entwicklung und handelsrelevante Politikgestaltung


a) durch das angestrebte Freihandelsabkommen (FTA),


b) sowie durch die vollzogenen oder noch anstehenden, zu ratifizierenden bilateralen Investitionsabkommen (BIT) mit ihren weitreichenden Investorenrechten und


c) nicht zuletzt auch durch die nach wie vor anhängige Doha "Development" Round der WTO

 


qua Vertrag eingeschränkt bis hin zu aufgelöst werden, genauso wie

 

d) die Bereitstellung öffentlicher Güter durch die entsprechenden Bestimmungen im sektoralen Abkommen GATS


e) und der Bereich des öffentlichen Auftragswesen als horizontalem Topic, im Rahmen von WTO und Freihandelsabkommen,

 

und nicht zuletzt durch


f) das Thema "Investitionen" als gleichfalls horizontalem Topic internationaler Handelsregime


unter die Maximen von Profit und Effizienz gestellt werden.

 

Es handelt sich hierbei um den Doppelpol von Regulierung und Deregulierung: Deregulierung des nationalen Markts durch Regulierung internationaler Handelsregime. So hätte sich dann auch hier im internationalen Vertragsgeflecht zwischen der Europäischen Union und Mercosur der komplett deregulierte Markt über umfassende Verrechtlichung des Handels im Rahmen von doppelt bis dreifach abgesicherten internationalen Verträgen erneut sein ideales Terrain für länderübergreifende Profitsicherung und -maximierung, für die umfassende Kommerzialisierung aller nur erdenklichen Lebensbereiche geschaffen. - Die freien Kräfte des Marktes werden es schon richten, so als würde aus der Summe aller marktvermittelten Egoismen in der Tat Gemeinwohl geboren.

 

Christian Russau, 29.Mai 2004

FDCL

 

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O

 

*ERRATA! An obiger Stelle befand sich in der ursprünglichen Version ein ominöser Verweis auf den sog. "economic needs test", in Verwechslung mit dem "necessity test". A. bittet um Vergebung ob solch unsachgemäßer Verwendung.

[01.06.2004]