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Christian Russau (FDCL): Durchsetzung internationaler Handelsregime zwischen Europäischer Union (EU) und dem Gemeinsamen Markt des Südens (Mercosur)? Ausländische Direktinvestitionen als Gegenstand der Freihandelsverhandlungen im Spannungsfeld von Investorenrechten, Entwicklung und Menschenrechten, FDCL: EU-MERCOSUR-Info-Bulletin N°1, Januar 2004

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Kapitel 3

3. Europäische Auslandsinvestitionen: Chance für Entwicklung und Menschenrechte?

3.1 Europäische Auslandsinvestitionen in Lateinamerika und geostrategische Handelskonkurrenz

 

Im Jahr 2001 befanden sich unter den fünfzehn größten nicht-lateinamerikanischen multinationalen Unternehmen, die in Lateinamerika tätig sind, fünf aus der Europäischen Union, - dabei waren vier von diesen fünf auf den ersten fünf Plätzen: 1. Telefónica (Span), 2. Coca Cola (USA), 3. VW (D), 4. Daimler-Chrysler (D), 5. Endesa (Span).

Definiert man transnational agierende Konzerne nach ihrem Herkunftsland, wo sie ihren Stamm- und Führungssitz haben, dann findet sich die BRD an dritter, Spanien an zweiter und die USA an erster Stelle der Auslandsinvestitionen in Lateinamerika:

"Unter Berücksichtigung der Reinvestitionen und der Investitionen über Drittländer nimmt Deutschland mit einem Investitionsbestand von US$ 42 Mrd. nach den USA und Spanien den 3. Platz in der Rangliste der Investitionspartner Lateinamerikas ein [...,ü]ber 85 % der deutschen Lateinamerika-Investitionen sind in der verarbeitenden Industrie konzentriert [...] und das Produktionsvolumen der deutschen Tochterunternehmen in Lateinamerika [überstieg] im Jahr 2001 mit ca. 65,3 Mrd den gesamten deutschen Export in die Region (ca 16 Mrd) um mehr als das vierfache".

Laut Zahlen der "Lateinamerika-Konferenz der deutschen Wirtschaft" unterhalten über 10.000 deutsche Unternehmen Wirtschaftsbeziehungen nach und mit Lateinamerika, rund 2.800 deutsche Unternehmen haben eigene Vertretungen, Niederlassungen oder Produktionsstätten in Lateinamerika. Rösler vom BDI-nahen Ibero-Amerika Verein kommt in seinem jährlichen Bericht zu dem Schluß:

"[d]ie deutschen Direktinvestitionen in Lateinamerika spielen eine wichtigere Rolle, als anhand der Angaben zum Bestand der Direktinvestitionen erkennbar ist. Unabhängig von der Frage, wie hoch die deutschen Direktinvestitionen in Lateinamerika tatsächlich sind, bleibt diese Region von strategischer Bedeutung für die deutsche Wirtschaft. Außerhalb Westeuropas ist Lateinamerika die einzige Weltregion, in der deutsche Unternehmen Schlüsselpositionen in bestimmten Industriesektoren innehaben. Beispiele dafür sind die Sektoren Kfz, Chemie, Pharmazie, Elektrotechnik und Maschinenbau."

 

Diese "Ungenauigkeit" über die Frage, "wie hoch die deutschen Direktinvestitionen in Lateinamerika tatsächlich sind", erklärt sich zum einen aus den Re-Investitionen bereits ansässiger Unternehmen, die per definitionem nicht durch die Kriterien ausländischer Investitionsflüsse erfasst werden, als auch durch Investitionsflüsse über Drittstaaten, so dass der eigentliche Ursprung des Kapitals nicht in den Statistiken erfaßt wird. Deutsche Direktinvestitionen in Lateinamerika, die von den FDI-Statistiken erfaßt werden, konzentrieren sich im wesentlichen auf Argentinien (7,9% der deutschen Auslandsinvestitionen in Lateinamerika), Mexiko mit 21,5% und an erster Stelle Brasilien mit 26,4%.

Spanische Konzerne konzentrieren seit der zweiten Hälfte der neunziger Jahre ihre Auslandsinvestitionen in Lateinamerika zum größten Teil auf die Länder Argentinien, Brasilien und Chile und dabei auf Übernahmen ehemals staatlicher Unternehmen in den Bereichen Dienstleistungen wie Telekommunikation und Banken, aber auch in den Industriebereichen Energie und Erdölindustrie in ganz Lateinamerika. Spanische Konzerne haben - im Gegensatz zu deutschen Konzernen beispielsweise - sich an der großen Privatisierungs- und Liberalisierungswelle der neunziger Jahre in Lateinamerika an vorderster Stelle beteiligt.

Telefónica beispielsweise ist laut dem Ranking für 2002 der Zeitschrift AméricaEconomia der größte ausländische Konzern Lateinamerikas: rechnet man die in den einzelnen Ländern aktiven Töchterunternehmen der Telefónica zusammen, kommt die spanische Mutterfirma Telefónica auf Gesamtinvestitionen in Lateinamerika in Höhe von über dreißig Milliarden Euro, mit denen sie einunddreißig Prozent ihres weltweiten Umsatzes erzielt. Telefónicas Schwerpunkt liegt dabei in Brasilien, wo in den letzten fünf Jahren 17 Mrd. $ investiert wurden.

Am brasilianischen Geschäft profitiert Telefónica, nach Gesamtunternehmenszahlen weltweit für das Jahr 2003, schwerpunktmäßig, und das offensichtlich nicht zuletzt auch durch Tatsachen wie beispielsweise im Bundesstaat São Paulo, wo die von der Telesp bis zur Übernahme durch Telefónica in São Paulo geübte Praxis, gegen Leistungsschwankungen im Netz stets eine Kapazitätsschwankungsreserve von 20 Prozent zu halten, aus Kostengründen gestrichen wurde, so dass es im Großraum São Paulo, wo Telesp, mittlerweile in spanischer Hand, der einzige Festnetzanbieter ist, zu erheblichen Versorgungslücken und in Folge davon zu einer eigenen Parlamentarischen Untersuchungskommission, Commissão Parlamentar de Inquérito, CPI, kam. Telefónicas Tochter Telesp hat im Jahr 2002 nach Zahlen des Ranking500 von AméricaEconomia einen Umsatz von 2,855 Mrd.US-Dollar und dabei einen Reingewinn von 304,5 Mio. US-Dollar erzielt. Telefónica ist nicht nur im Telekommunikationgeschäft tätig, sondern auch über ihre Tochter Atento Brasiliens größter Telemarketing-Dienstleister, der unter anderem alle Telefonberatungsdienstleistungen für FIAT in Brasilien übernommen hat, laut dem Estado de São Paulo vom 27.Okt.2003 plant, diese Telephondienstleistungen der Call-Center auf den Weltmarkt zu exportieren und im übrigen von der Gewerkschaft der Telemarketing-Angestellten Sintratel wegen untertariflicher Bezahlung in Höhe von nur 83 Prozent des brancheninternen Vergütungssystem und Nicht-Einhaltung der Arbeitsgesetze 1999 in mehreren Fällen vor die Arbeitsjustiz gerufen wurde.

Die Banco Santander Central Hispano (BSCH) ist in Brasilien die drittgrößte Privatbank mit einem Reingewinn 2001 von über einer Milliarde Reais, ist die größte spanische Bank, die zweitgrößte Europas, mit einer Marktkapitalisierung von 31,185 Milliarden €, Stand 31.Dezember 2002, weltweit 104.000 Angestellten, von denen fünfundsechzig Prozent außerhalb Spanien beschäftigt sind,und in Brasilien war entgegen den Vereinbarungen mit den Gewerkschaften nach dem Boomjahr 2001 Anfang 2002 einer der ersten Schritte ihrer Tochter Santander Banespa Stellenabbau. Die Banco Santander Central Hispano (BSCH) und die Banco Bilbao Vizcaja Argentaria (BBVA) investierten ca. 25 Mrd. Euro und wurden somit Ende der neunziger Jahre zur größten bzw. drittgrößten ausländischen Bank Lateinamerikas, eine Position, die die BSCH mittlerweile an die Citigroup abgegeben hat, da diese in Mexiko für 12,5 Mrd. US-$ die Banamex übernahm. Lag noch 1990 der Anteil ausländischer Banken in Argentinien bei zehn Prozent, in Brasilien bei sechs, in Mexiko bei null Prozent, so erreichten ausländische Banken im Jahr 2001 in Argentinien einen Marktanteil von 61 Prozent, in Brasilien von 49 Prozent und in Mexiko 90 Prozent.

Der spanische Energieversorger Endesa hat mittlerweile dreiundzwanzig Tochterunternehmen in Lateinamerika, ist größter Produzent und Lieferant von Strom in ganz Lateinamerika und macht vierzig Prozent seines weltweiten Umsatzes in Lateinamerika.

"ENDESA is one of the largest private electrical groups in the world, with a total installed capacity of 42,000 MW, 133,600 GWh distributed capacity and more than 20.5 million customers in 12 countries. ENDESA´s strategy is focused on the profitability, on the electricity business and on customer service."

Endesa hat in den ersten neun Monaten 2003 weltweit einen Umsatz von 11,995 Milliarden Euro erzielt, "[d]er Gewinn vor Zinsen und Steuern (EBIT) stieg um 1,4 Prozent auf 2,295 Milliarden Euro."

Endesa ist in Chile größtes Privatunternehmen: Die chilenische Tochter der spanische Mutter Endesa, Enersis, hatte im Jahr 2002 einen Jahresumsatz von 3,45 Mrd. US-Dollar, und hat in Chile eine Tochter, die wiederum unter dem Namen der spanischen Mutter, Endesa, agiert und 2002 einen Umsatz von 1,3 Mrd. US-Dollar erzielt hatte. Endesa ist seit Jahren Umweltschützern und den chilenischen Mapuche wegen der sechs (teils geplanten, teil vollendeten) Wasserkraftwerke in der Biobío-Region genauso ein Dorn im Auge, wie Endesa es im brasilianischen Bundesstaat Goiás ist, wo im Jahr 2003 auch eine Parlamentarische Untersuchungskommission, CPI, zu dem Schluß kam, dass der Verkauf des Wasserkraftwerkes Cachoeira Dourada und der darauf folgende exklusive Energieabnahmevertrag zwischen Bundesstaat und Endesa, der nach Ansicht der CPI nicht nur illegal, sondern als Knebelvertrag einzustufen sei, dem Bundesstaat Goiás einen Schaden von 715 Millionen Reais beschert hat. Im April hatte ein Gericht diesen Vertrag ausgesetzt, da dieser monatliche Kosten für den abzunehmenden Strom auf 17,5 Millionen Reais festschrieb, obgleich der Durchschnittspreis zu dieser Zeit bei 7 Millionen Reias für die gleiche Menge lag.

Auch die spanische Repsol hat sich durch den Kauf der ehemals staatlichen argentinischen Erdölfirma YPF für 15,2 Mrd. US-Dollar gleichfalls auf die vorderen Plätze katapultiert, und muss sich zur Zeit gerichtlich mit den Mapuche-Indianern auseinandersetzen, die von YPF Repsol 445 US-Dollar Schadenersatz fordern. In Brasilien hat sich der luxemburgische Stahlgigant Arcelor, der größte Stahlproduzent der Welt, wirtschaftlich gut positioniert: Arcelor hat in Brasilien weitreichende Ambitionen und betrachtet "Brasilien als strategisches Ziel":

"Brasilien gilt vielen großen Stahlherstellern als Schlüsselregion für Investitionen - teils wegen der langfristig guten wirtschaftlichen Aussichten der Region, aber auch wegen der geringen Arbeitskosten, durch die viele der dortigen Stahlwerke hoch profitabel sind."

Arcelor hält über seine Stamm- und Vorzugsaktien einen Anteil von 28 Prozent an der Companhia Siderúrgica de Tubarão (CST), deren Marktwert eine Mrd. US-Dollar beträgt, und 55 Prozent Anteile an einem anderen großen Stahlhersteller, Belgo Mineira, das 2002 mit einem Umsatz von 896,4 Mio. US-Dollar einen satten Reingewinn von zehn Prozent, 89,8 Mio. US-Dollar erzielen konnte. Arcelor produziert in Brasilien aktuell (2003) neun Millionen Tonnen Stahl jährlich und beabsichtigt bis 2006 diese Zahl auf 12 Millionen Tonnen Stahl zu erhöhen, "[a]llerdings stehen die Expansionsbemühungen in Konflikt mit dem Ziel der staatlichen brasilianischen Entwicklungsbank BNDES, über eine Fusion aller wichtigen brasilianischen Stahlhersteller einen großen Teil der Branche in brasilianischem Besitz zu halten." Im Jahr 2003 hat sich Arcelor wegen Umweltzerstörung durch Auslaufens von Chromsäure in der sensiblen Region der Mata Atlântica den Zorn von Umweltschützern und Justiz zugezogen. Chromsäure besteht aus sogenanntem hexavalenten Chrom und wird in der schwermetallverarbeitenden Industrie genutzt: Hexavalentes Chrom wird von der International Agency for Research on Cancer (IARC), einer Organisation der Weltgesundheitsorganisation WHO, als krebserregend eingestuft: "Trockene oder nasse Chromsäure greift Augen und Hautgewebe an. Selbst kleinste Mengen an Staub oder Sprühnebel können bei Augenkontakt zu schwerwiegenden Verbrennungen führen. Hautkontakt kann schwerwiegende Verbrennungen, die Bildung externer Geschwüre sowie die Vereiterung von Hautrissen hervorrufen."

Transnationale Konzerne, auch europäische, scheinen mit ihrem Engagement in den Ländern Lateinamerikas nicht, wie so publicitywirksam behauptet, ihre vorrangige Erfüllung im Beitrag der "freien Wirtschaft" an nachhaltiger Entwicklung der jeweiligen Länder und Regionen zu sehen. Auch die Frage der Menschenrechte in ihrer Unteilbarkeit, die nicht "nur" die bürgerlich-politischen Rechte des "Zivilpaktes", sondern auch die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte beinhaltet, scheinen transnationalen europäischen Konzernen kein grundlegendes Leitbild ihres Handelns abzugeben.

Das wirtschaftliche Interesse Europas an den Ländern Lateinamerikas ist nicht einheitlich: Haben sich vor allem in den letzten Jahren die spanischen Konzerne im Schwange von Privatisierung und Liberalisierung ehemals staatlicher Unternehmen in ganz Lateinamerika durch Käufe an der Übernahme mitunter ganzer Wirtschaftsbereiche versucht, so haben beispielsweise deutsche Konzerne, die traditionell vergleichsweise stark in den lateinamerikanischen Binnenmärkten präsent sind, sich an dieser Übernahmewelle weniger beteiligt. Niederländische Konzerne hingegen, die sich in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre - zwar in geringerem Maße als die spanischen Konzerne, so aber dennoch signifikant - an Übernahmen in den Märkten Lateinamerikas beteiligt hatten, ziehen sich zum Teil wieder zurück, der in Zahlungsschwierigkeiten geratenen niederländische Einzelhandelskonzern Ahold sei hier nur ein Beispiel. Auch andere europäische Konzerne haben sich von ihrem Engagement in Lateinamerika wieder zurückgezogen, so die französische Crédit Agricoles oder die ScotiaBank, die sich in Folge der Argentinienkrise aus dem argentinischen Markt verabschiedeten. Dieser Rückgang ist gleichwohl im Zusammenhang mit dem weltweiten Rückgang ausländischer Investitionsflüsse zu sehen.

Die internationalen Kapitalflüsse ausländischer Direktinvestitionen erklären sich zum Großteil aus Zahlungsflüssen für den Bereich M&A (Mergers and Aquisitions), Fusionen und Übernahmen. In ganz Lateinamerika hat der Markt für Übernahmen und Fusionen (M&A) im ersten Halbjahr 2003 deutliche Zeichen offenbart, dass sich vermehrt lateinamerikanische Unternehmen (62,5% bis Ende Juni 2003, lt. Zahlen von Thomson Financial) positionieren, was aber eher dem Rückzug der europäischen und nordamerikanischen Unternehmen zuzuschreiben ist, wobei noch erwähnt werden muss, dass Re-Investitionen durch gewonnenen cash-flow bereits im Lande ansässiger Unternehmen statistisch nicht als Kapital ausländischer Herkunft erfasst wird, genauso wie die ländergetreue Erfassung der FDI-Flüsse über sogenannte Steueroasen nicht möglich ist:

"Es fällt auf, dass nach Angaben der Zentralbanken und Fachministerien Lateinamerikas ein Fünftel der ausländischen Direktinvestitionen aus anderen Ländern, d.h. hauptsächlich aus Steueroasen, kam. Die Steueroasen scheinen aber lediglich Durchgangsstationen für die Investitionen der Unternehmen der Industrieländer zu sein. Denn die Statistiken der Industrieländer nennen ähnlich hohe Beträge für die Direktinvestitionen ihrer Unternehmen in den Steueroasen der Karibik."

 

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Erstens wurde der Europäischen Union von der Welthandelsorganisation WTO im langjährigen Streit zwischen EU und den USA über die von den USA geführte Praxis der indirekten Exportsubventionierung amerikanischer Konzerne über sogenannte "Foreign Sales Companys" (FSC) das Recht zugesprochen, handelspolitische Strafmaßnahmen wie Importzölle auf us-amerikanische Handelswaren in Höhe von bis zu vier Milliarden US-$ zu erheben, was den höchsten aller bisherigen Strafzölle darstellt. Die von diesen Maßnahmen betroffenen Produkte sind nicht äquivalente Produkte, sondern die Europäische Union kann im Rahmen der "cross retaliation" auch andere Produkte mit Zöllen belegen. Die Europäische Union verzichtete zunächst auf diese Strafzölle mit dem Hinweis, man wolle den multilateralen Verhandlungsprozess der WTO nicht scheitern lassen und dessen Verlauf abwarten, bis dann

zweitens im September die fünfte WTO-Ministerkonferenz im mexikanischen Cancún scheiterte,

drittens der WTO-Dispute Settlement Body am 10.November 2003 auch die us-amerikanischen Importzölle für ausländischen Stahl für rechtswidrig erklärte und der Europäischen Union erneute "cross retaliation" in Höhe von bis zu 2,242 Milliarden US-$ erlaubte und

viertens die Europäische Union am 22. September, - kurz nach dem Scheitern von Cancún - das drei Jahre alte WTO-Strafverfahren gegen die USA im sogenannten US 1916 Anti-Dumping Act reaktivierte, um auch in diesem Fall "Straf und Schutzmaßnahmen" zu ergreifen.

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Nach dem "Scheitern" von Cancún, als klar wurde, dass die multilateralen Verhandlungen der WTO nicht mehr im Zeitplan der Doha-Agenda zu Ende gebracht werden, konnten sowohl die USA wie die Europäische Union die Lippenbekenntnisse für einen "echten Multilateralismus" mehr und mehr fallen lassen, so dass nun eine rege Aktivität bilateraler Verhandlungen über Freihandelsabkommen beginnen konnte, sowohl von Seiten der USA mit ausgewählten Ländern ihres Interesses, als auch von Seiten der Europäischen Union.

Es ist weder ein thematischer noch zeitlicher Zufall, sondern Ausdruck der Konkurrenz von USA und Europa in handelspolitischen Fragen, dass die Europäische Union - nach dem Scheitern von Cancún sowie der zunehmend drohenden außenwirtschaftlichen Schwächung Europas durch den fallenden Dollar und steigenden Euro - die ihr von der WTO zugesprochenen Strafzölle im Fall der "Foreign Sales Companys" anwenden sowie den WTO-Streitfall des "US 1916 Anti-Dumping Act" erneut in Bewegung setzen will, - auch um den drohenden Importzuwächsen aus den USA, die sich durch einen weiter fallenden Dollar erhöhen würden, schlicht den europäischen Zollriegel soweit als nur möglich vorzuschieben. Zwar ist die Durchsetzung des WTO-Richterspruch insofern fraglich, als der laut Kläger entstandene "materielle Schaden" nicht zwangsläufig ersetzt, sondern dessen Umsetzung von den handelspolitischen Gegenmaßnahmen abhängt, so ist dennoch die politische Dimension des Vorgangs nicht zu unterschätzen.

 

Der zunehmend offen geführte handelspolitische Konkurrenzkampf zwischen den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union hat sich damit der Schwelle zu einem offenen Handelskrieg bedeutend angenähert. Buchstäblich in letzte Minute hob im Streitfall des "Steel Safeguard Case" Präsident Bush jun. die Zölle auf, um der cross retaliation durch die EU und andere Staaten zu entgehen. – Dies kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass dieser Wirtschaftskonflikt zwischen USA und Europa latent ist, und mithin auch die Währungskonkurrenz von Dollar und Euro betroffen ist. Diese Konkurrenz Europas und der Vereinigten Staaten um die Märkte spiegelt sich auch in Lateinamerika wieder, - die bilaterale Strategie Europas, Freihandelsabkommen - nach Mexiko und Chile - nun auch mit dem Mercosur, möglichst noch vor dem Abschluß der amerikanischen "Freihandelszone von Alaska nach Feuerland", ALCA, zu schließen, ist davon letztlich auch Ausdruck:

"Das Rennen [zwischen USA und Europa] wird nicht nur in Lateinamerika weitergehen, aber es ist das Spielfeld, auf dem sich mit ALCA und mit dem EU-Mercosur-Vorhaben die Konkurrenz zwischen Euro und Dollar am deutlichsten widerspiegelt."

 

Laut einem Bericht der Zeitschrift der Informationsstelle Lateinamerika, ila, Bonn, hat das Konkurrenzgefühl zwischen den USA und Europa um die Absatzmärkte in Lateinamerika, der "Wettlauf mit den USA", mittlerweile die kritische Masse erreicht:

"Deutsche Wirtschaftsbeamte sehen einer möglichen gesamtamerikanischen Freihandelszone mit Unbehagen entgegen".

 

Und die neue, mittlerweile vierte Generation der regionalen Handelsabkommen zielt in ihrer hauptsächlichen Zielsetzung auf Durchsetzung europäischer Handels- und Wirtschaftsinteressen:

"Die EU hat bislang nicht überzeugend demonstrieren können, daß die umfassende Agenda der neuen Generation von Handelsabkommen eine breite sozial gerechte und ökologisch verträgliche Entwicklung im Süden fördert. In der europäischen Handelspolitik macht ein anderer Ton die Musik: Der Gemeinschaft geht es um die Ausweitung ihrer Exporte in die Länder des Südens und der Sicherung neuer Absatzmärkte, besonders im Hinblick auf Hochtechnologien und Dienstleistungen, aber auch um die Vergrößerung des Flusses an Direktinvestitionen im verarbeitenden Bereich, für Privatisierungsprogramme und für Investitionen in extraktive Industrien. Strategisch ist die EU darauf aus, durch rasche Fortführung der Verhandlungen mit dem Mercosur und mit den afrikanischen AKPStaaten, der Handelsmacht USA, die mit neuen Pan-Amerikanischen Freihandelszone (FTAA) und dem "African Growth and Opportunity Act" (vgl. W&E 1/2003) auf die gleichen Märkte schielt, ein handelspolitisches Gegengewicht entgegenzusetzen. Eine entwicklungsförderliche und differenzierte Behandlung der schwächeren Wirtschaftspartner im Süden erscheint da von zweitrangiger Bedeutung. Zwar lassen einige der neuen Abkommen sowohl im Hinblick auf den Liberalisierungszeitplan als auch auf deren Umfang Elemente einer Asymmetrie während der Übergangsphase erkennen, doch wird letztendlich der wirtschaftlich stärkere Verhandlungsblock den größten wirtschaftlichen Nutzen ziehen."

 

 

3.2 Europäische Auslandsinvestitionen im Mercosur

 

Das wirtschaftliche Interesse Europas am Gemeinsamen Markt des Südens, dem Mercosur, liegt begründet in den erzielten und erwarteten Profiten, dies im Bereich sowohl des Außen-, wie des Binnenhandels, der über die ansässigen Konzerne Europas geführt wird. Im Außenhandel konnte die EU von 1990 bis 1994 ihre Exporte in die Staaten des Mercosur "mehr als verdoppeln", wohingegen die Importe nur eine leichte Steigerung erfuhren: "eine Folge der einseitigen Liberalisierung seitens der MERCOSUR-Staaten. Vor allem Brasilien, das zwischen 1990 und 1995 seine Außenzölle von durchschnittlich 52 Prozent auf 14 Prozent senkte, avancierte zum begehrten Absatzmarkt."

Zwischen 1995-2002 verzeichnete die EU mit Brasilien einen Überschuss in der Leistungsbilanz von 4,2 Mrd. US$. Deutschland verzeichnete dabei allein, laut dem bundesdeutschen BDI,

"[...]since 1995, in its trade with Brazil, Germany has been benefiting from surpluses averaging approximately 1,5 billion dollars a year."

Die Europäische Union als Wirtschaftsblock ist der hauptsächliche Außenhandelspartner des Mercosur. Dabei ergibt sich für die Handelsbilanz folgendes Bild. (siehe hierzu in der pdf-datei)

 

 

Die größten Bilanzdefizite erwirtschaftet der Mercosur im Handel mit Dienstleistungen, die Europäische Union dementsprechend Gewinne:

Der Außenhandel Europas mit dem Mercosur ist zur Zeit offenkundig immer noch ein lukratives Geschäft für europäische Konzerne, auch wenn diese in Folge der Krisensituationen im Mercosur, beispielsweise in Argentinien 2001/2002 wegen der abrupten Peso-Abwertung, nicht durchgängig in erwarteter Höhe ausfielen mochten.

Die USA hingegen bleiben im Mercosur hinter der EU zurück, sowohl im Außenhandel wie auch im Bereich der ausländischen Direktinvestitionen. Obwohl sie als Land immer noch größtes Direktinvestorland nach absoluten Zahlen sind, bilden die auf die EU zusammengerechneten Investitionen mit 60% der ausländischen Direktinvestitionen im Mercosur den Großteil ausländischer Kapitalzuflüsse.

Die FDI-Flows (die Summe der im Verlauf eines Jahres investierten Kapitals) Europas im Mercosur betrug im Jahr 1999 28,9 Mrd.€, im Jahr 2000 25 Mrd.€ und im Jahr 2001 16,4 Mrd.€, dementsprechend erhöhte sich der FDI-Stock (verrechneter Wert aller getätigten Investitionen) Europas im Mercosur von 89,1 Mrd.€ in 1999 auf 115,4 Mrd.€ in 2000, bis er schließlich im Jahr 2001 131,8 Mrd.€ betrug:

 

Europäische Auslandsinvestitionen im Mercosur hatten traditionell eher die interne Ausrichtung auf den jeweiligen Binnenmarkt und die dortige Positionierung im Blick als eine auf den Weltmarkt ausgerichtete Position, nach welcher über Ausnutzung "komparativer Kostenvorteile" schwerpunktmäßig Exportproduktion für den Weltmarkt betrieben worden wäre. Und die jeweiligen Binnenmärkte Argentiniens und Brasiliens waren dabei von vorrangigem Interesse europäischer Konzerne:

"Brazil and Argentina have since long been a focal point of FDI outside the OECD area by European companies. [...] Traditional FDI patterns were the result of European investors‘ preference for large and protected markets. Notably in the automobile and chemical industries, the size and growth of markets provided the major stimulus to FDI in the Mercosur region. Multinational companies used FDI mainly to overcome import barriers."

 

Waren noch 1991 unter den zehn größten Unternehmen Argentiniens nur drei europäische Konzerne vertreten, so waren es 1999 schon sieben: YPF Repsol, Telefónica, Telecom, Supermercados Norte, Shell, Supermercados Discos und Carrefour. Vor allem in den privatisierten und meist an ausländische Konzerne verkauften Unternehmensbereichen wie Telekommunikation, Luftfahrt, Wasser- und Abwassermarkt, Energie und Gas wurden in Argentinien im Anschluß an die Privatisierung die höchsten prozentualen Arbeitsplatzverluste durch Entlassungen und Auslagerung an Dritte durchgesetzt. Die Angestelltenzahlen von 1990 als Index mit 100 gesetzt, so war bis 1998 in der Telekommunikationsbranche der Index auf 51, in der Luftfahrt auf 44, bei Wasser und Abwasser auf 52, bei Gas auf 48 und in der Energiebranche auf 30 gesunken. Neue Arbeitsplätze durch ausländische Direktinvestitionen in Argentinien wurden in den neunziger Jahren demnach nicht geschaffen, sondern abgebaut.

Als besonders sensibler Bereich kristallisierte sich in den neunziger Jahren der liberalisierte Trinkwassermarkt heraus: Zwischen 1991 und 1999 wurde ein Drittel des argentinischen Trinkwassermarktes, der die Wasserversorgung von annähernd sechzig Prozent der Bevölkerung abdeckte, privatisiert. Die größte Übernahme war der Erwerb von Obras Sanitarias de la Nación (OSN) durch das Unternehmen Aguas Argentinas, an welchem unter anderen die französische Suez-Lyonnaise des Eaux zu 39,93 Prozent, Aguas de Barcelona zu 25,01 Prozent - an welcher wiederum Suez die Mehrheit hält, neben der spanischen Endesa mit 11,64 Prozent -, sowie die französische Vivendi zu 7,55 Prozent und die britische Anglian Water zu 4,25 Prozent beteiligt sind.

Aguas Argentinas hatte 1993 versprochen, vier Mrd. US-Dollar in Ausbau und Modernisierung ihres argentinischen Wassernetzes zu investieren, und hatte dafür im Gegenzug – vertraglich mit der argentinischen Regierung abgesegnet – 47 Prozent der Belegschaften entlassen.

Fielen die durchschnittlichen Wasserpreise zunächst um 26,9 Prozent, so stiegen sie 2001 um satte 100 Prozent. Im Zeitraum 1993 – 2001, so die Firmenleitung, habe das Unternehmen 1,7 Mrd.US-Dollar investiert und dabei eine durchschnittliche Profitrate von 23 Prozent erzielt, - wohingegen die durchschnittliche Profitrate dieses Dienstleistungsbereiches zur Grundversorgung der Bevölkerung beispielsweise in den USA oder Großbritannien bei nur sieben bis acht Prozent liegt. Nach Unternehmensangaben habe Aguas Argentinas zwei Millionen Kunden ans Trinkwasser- und 1,15 Millionen ans Abwassernetz angeschlossen, wohingegen die Provinzregierung beanstandet, dass noch immer 3,5 Millionen Menschen im Einzugsbereich des Wasser- und Abwassernetzes von Aguas Argentinas über keinen Anschluß verfügten.

Im Zuge der argentischen Finanzkrise von 2001/2002 erfuhr der argentinische Peso durch das "Gesetz 25.561" eine Abwertung, und die Gewinne des Unternehmens konnten nicht mehr in Parität zum Dollar konvertiert werden, - ein Umstand, der die Mutterfirma Aguas Argentinas, die französische Suez, dazu bewog, umgehend Klage beim International Centre for Settlement of Investment Disputes (ICSID) auf Basis des französisch-argentinischen bilateralen Investitionsabkommens, paraphiert 3.7.1991, inkraftgetreten am 3.3.1993, einzureichen. Außerdem ist Argentinien, zeitgleich mit Chile und Bolivien, schon 1991 der ICSID-Convention beigetreten, was eine zusätzliche Rechtsbasis für ausländische Investoren bedeutet. Da aber auch der Ausgang einer vor internationalen ad-hoc-Schiedsgerichten eingereichten Klage einen gewissen Verfahrensaufwand bedeutet, sah sich Suez in seiner Konzernbilanz 2002 deshalb vorsorglich zu einer Verlustabschreibung in Höhe von 500 Millionen US-Dollar genötigt.

Auch die französische Vivendi hat wegen des Falles ihrer Tochter Compañia de Aguas del Aconquija S.A. aus der Region Tucuman Klage gegen die argentinische Republik beim ICSID (ICSID Case N° ARB/97/3) wegen "violations of the BIT’s provisions on fair & equitable treatment and against expropriation without compensation" eingereicht. Auch die Enron-Tochter Azurix hatte gegen die argentinische Republik wegen des Wasserkonzessionsvertrages beim ICSID am 23.Oktober 2001 Klage eingereicht (ICSID Case N° ARB/01/12).

Diese Klagewelle privater Investoren gegen die argentinische Republik beschränkt sich nicht allein auf den Bereich Wasserversorgung, sondern erstreckt sich auch auf Gas und Energie, wo beispielsweise der belgisch-französische Mischkonzern Total Fina Elf gegen die 2002 im Schwange der Argentinienkrise erfolgte Einfrierung der "hydrocarbons prices and derivates, plus the devaluation of the Argentine currency" vor dem ICSID eine Entschädigung in Höhe von einer Milliarde US-Dollar fordert, und auch Electricité de France, EDF, hat Klage gegen die Republik Argentinien eingereicht. Auch die deutsche Siemens fordert vom argentinischen Staat Entschädigungen: so meldet NfA, Nachrichten für Außenhandel:

"Siemens will 500 Mio USD von Argentinien

Berlin (vwd) - Die Siemens AG, München, fordert von Argentinien 500 Mio USD Schadenersatz für die Stornierung eines Auftrags. Wie aus einer Mitteilung an die US-Börsenaufsicht SEC vom Montag hervorgeht, hat das Unternehmen beim Internationalen Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten (ICSID) der Weltbank ein Schiedsgerichtsverfahren beantragt. Mit der Stornierung habe Argentinien gegen ein Investitionsabkommen mit Deutschland verstoßen, argumentiert Siemens."

 

Insgesamt haben sich auf Basis von bilateralen Investitionsabkommen beruhende Klagen von privaten Unternehmen gegen Staaten vor dem ICSID von fünf im Jahr 2000, über zwölf im Jahr 2001 auf fünfzehn im Jahr 2002 erhöht. Brisant ist bei diesen auf BITs beruhenden Klagen nicht nur, dass einerseits private Investoren nur aus dem jeweiligen Vertragsausland kommen und inländischen Anbietern dieser Rechtsweg nicht offensteht, sondern auch ein verfahrenstechnisches Detail jener auf BITs beruhenden Klagen vor internationalen Schiedsgerichten. So kommentiert Luke Eric Peterson vom International Institute for Sustainable Development (IISD) anhand der Fülle von Individualklagen gegen die argentinische Regierung:

"A troubling feature of this growing spate of cases against the Argentine Republic, is that foreign investors are mounting a series of individual ad-hoc arbitrations which may challenge essentially the same government measures. Because these arbitrations are proceeding in parallel, and Tribunals are not strictly bound by the determinations of other (or earlier) Tribunals, the stage is set for a series of potentially divergent or even conflicting rulings."

Ausgehend von diesen Erfahrungen der argentinischen Republik nimmt es nicht wunder, dass im benachbarten Uruguay die Bevölkerung für die Problematiken von Privatisierung sensibiliert sind. Schon 1992 hatte sich Uruguay in einem Referendum gegen die durchgängige Privatisierung öffentlicher Daseinsvorsorge ausgesprochen, doch auch unter dem Eindruck der Erfahrungen des argentinischen Nachbarn wurden im Jahr 2003 in Uruguay 280.000 Unterschriften gegen die Wasserprivatisierung in Uruguay und für die Durchführung eines Plebiszits im November 2004 über eine Verfassungsänderung gesammelt, welche die Wasserressourcen, deren Nutzung und Schutz, als fundamentales Recht festzuschreiben und als Aufgabe ausschließlich in der Öffentlichen Hand zu liegen habe.

"[U]na reforma constitucional que declara el agua, su uso y preservación, como derecho humano fundamental, asegurando además la gestión de los recursos hídricos en manos del Estado."

 

In Uruguays Territorium befindet sich ein Großteil des weitgestreckten Wasserreservoirs Guarani ("Acuífero Guaraní"). Desgleichen hat sich eine Mehrheit der Uruguayer in einem Referendum am 7.Dezember 2003 gegen das "Gesetz 17.448" über die Privatisierung des staatlichen Erdölkonzerns Ancap ausgesprochen. Denn so lange staatliche Unternehmen noch nicht privatisiert wurden, besteht auch keine Gefahr, dass bereits bestehende internationale Investitionsabkommen die Klagemöglichkeiten privater Investoren provozieren könnten. Uruguay hat fünfzehn bilaterale Investitionsabkommen geschlossen, davon sind bislang sieben in Kraft getreten.

Brasilien kommt in diesem Zusammenhang (bislang) noch eine Sonderrolle zu, da vom brasilianischen Kongress bisher kein einziges der im Kongress anhängigen Investitionsabkommen ratifiziert wurde. Dennoch ist Brasilien seit Jahrzehnten führend unter den Empfängerländern ausländischer Direktinvestitionen. Betrachtet man die ausländischen Direktinvestitionen in Brasilien im Zeitlauf der letzten dreißig Jahre von 1969 bis 2000 unter dem Blickwinkel der Konkurrenz europäischer und amerikanischer transnationaler Konzerne, so standen die ausländischen Direktinvestitionen europäischer Konzerne in Brasilien den USA in wenig nach: im Jahr 1969 fanden sich vierzehn transnationale Konzerne aus den USA in der brasilianischen Top-100-Liste gegenüber zwanzig Unternehmen aus Europa, wobei sich darunter vier aus Deutschland, und je drei aus Großbritannien und Frankreich fanden. Im Jahr 2000 waren unter den Top-100 der in Brasilien tätigen Firmen allein je fünf aus Deutschland, Frankreich, Italien und drei aus Spanien, insgesamt aus Europa neunundzwanzig transnationale Konzerne unter den Top-100 gegenüber neunzehn aus den USA, wobei allein Telefónica zusammen mit Telefónica Celular mit Verkäufen von über sechs Mrd. US$ vor Volkswagen do Brasil mit Verkäufen von 5,73 Mrd. US$ lag.

Im Mercosur ansässige europäische Automobilhersteller wie Volkswagen do Brasil produzieren traditionell zum größten Teil für den Binnenmarkt. Infolge der Wirtschaftsschwäche der brasilianischen Wirtschaft 2002 – 2003 und der Bedeutung brasilianischer Produktion und Absatzes für die Konzernbilanz der Volkswagen AG weltweit hat Volkswagen do Brasil in 2002/3 für den Großteil der Gesamtverluste der Volkswagen AG verantwortlich zeichnen müssen. VW do Brasil hat eine jährliche Produktionskapazität von 740.000 Fahrzeugen, es werden zur Zeit [2003] wegen der "Nachfrageschwäche" nur 473.000 Fahrzeuge produziert.

Dass es in Zeiten solcher "Nachfrageschwäche" auch transnationale Konzerne wie Volkswagen, die sich publicitywirksam gerne ihrer "sozialen Verantwortung" gegenüber ihren Mitarbeitern weltweit rühmen, mit Arbeitsrechten nicht sehr genau nehmen, zeigte 2003 die bevorzugte Konzernstrategie, diesen Verlusten zu begegnen: Kostenmanagment-Muster Stellenabbau. Und dabei zeigt sich die Wolfsburger Zentrale nicht gerade zimperlich und ist, ganz den Shareholder-Value im Blick, auch gerne bereit, sich über geltende Arbeitsrechte, auch über ihre eigenen, sonst so werbewirksam verkauften firmeninternen wie weltweit geltenden Verhaltenskodizes hinwegzusetzen.

So sollten in den Werken im Bundesstaat São Paulo, Tabaute und Anchieta, dem ältesten VW-Werk in Brasilien und gleichzeitig der größte VW-Auslandsstandort, 4.000 Beschäftigte abgebaut werden. Dies zu erreichen, ohne die zwischen Gewerkschaft und Konzern bis zum Jahr 2006 gültige Beschäftigungssicherung rechtlich zu verletzen, sollten 4.000 Beschäftigte in eine VW-Beschäftigungs- und Weiterbildunggesellschaft überführt werden, - wogegen die VW-Beschäftigten in Brasilien Sturm liefen und Streik ankündigten. VW-Chef Bernd Pischetsrieder sah sich daraufhin befähigt, sich über alle bestehenden brasilianischen Arbeitsgesetze hinwegzusetzen, und jedem Streikenden die Entlassung anzudrohen, eine Äußerung, die vom VW-Firmensprecher explizit bestätigt worden war, und die die brasilianische Arbeitsjustiz gegen den Konzernvorstand in Bewegung zu setzen drohte.

Das Recht auf Streik als Grundrecht ist gleichwohl umstritten. Das Streikrecht findet in den ILO-Übereinkommen 87 über die Vereinigungsfreiheit und den Schutz des Vereinigungsrechts von 1948 und dem Übereinkommen 98 über die Anwendung der Grundsätze des Vereinigungsrechts und des Rechts auf Kollektivverhandlungen von 1949 keine explizite Erwähnung, doch nach Ansicht des ILO-Ausschusses zur Vereinigungsfreiheit ist das Streikrecht untrennbarer Bestandteil des Rechts auf Vereinigungsfreiheit, nach Ansicht der Arbeitgebervertretung und einiger Regierungen läßt die nicht-explizite Erwähnung in den ILO-Vereinbarungen den gegenteiligen Schluß zu.

Der von UN-Generalsekretär Kofi Annan Anfang 1999 initiierte "Global Compact" definiert im dritten von neun Prinzipien die Vereinigungsfreiheit und das Recht auf gemeinschaftliche Tarifverhandlungen. Auch hier findet das Streikrecht keine explizite Erwähnung, vielmehr wird auslegungsbedürftig formuliert:

"These freedoms also allow for industrial action to be taken by workers (and organisations) in defence of their economic and social interests."

 

Volkswagen hat nicht nur diesen Global Compact zur Unternehmensverantwortung und mithin das Recht auf "industrial action to be taken by workers (and organisations) in defence of their economic and social interests" unterschrieben, sondern hat publicitywirksam am 6. Juni 2002 in Bratislava, laut Ansicht des IG-Metall-Vorsitzenden Klaus Zwickel, "als erstes Unternehmen der weltweiten Automobilindustrie Verhaltenskodizes über die sozialen Rechte und industriellen Beziehungen festgeschrieben. Mit dieser Sozialcharta leiste VW "Pionierarbeit" und gebe eine "richtige Antwort auf die Herausforderungen der Globalisierung". In dieser firmeninternen "Erklärung zu den sozialen Rechten und den industriellen Beziehungen bei Volkswagen" heißt es in § 1 Grundlegende Ziele, 1.1 zum Vereinigungsrecht:

"Das Grundrecht aller Arbeitnehmer/-innen, Gewerkschaften und Arbeitnehmervertretungen zu bilden und ihnen beizutreten wird anerkannt. Volkswagen und die Gewerkschaften bzw. die Arbeitnehmervertretungen arbeiten offen und im Geiste einer konstruktiven, kooperativen Konfliktbewältigung zusammen."

 

Doch nicht nur nach internationalem Recht oder firmeninternen Verhaltenskodizes ist VW auf Achtung von grundlegenden Arbeitsnormen, sondern ist eben auch nach brasilianischem Recht, nach Artikel 9 der brasilianischen Verfassung, verpflichtet, das Streikrecht nicht zu behindern. Der Druck von Gewerkschaft und brasilianischer Arbeitsjustiz, die Gesetze zu respektieren, hat dann letztlich zu der Einigung zwischen Gewerkschaft und Konzern geführt, der 75 Prozent der 13.000 Beschäftigten in dem betroffenen Werk zugestimmt haben, 1.923 Stellen gegen Abfindung abzubauen. – Dieses im Hinblick auf den Shareholder-Value eher unvorteilhafte Zwischenspiel (siehe Konzernbilanz) wird sicherlich im weltweiten Poker um Investitionsstandorte und Standortvor- wie –nachteile als wohlfeiles Argument bei nächsten größeren Konzernentscheidungen des Wolfsburger Vorstandes eine nicht vernachlässigbare Größe darstellen: in China hätte man ja diesen arbeitsrechtlichen "Standortnachteil" und gewerkschaftlichen Mobilisierungsgrad nicht.

Insgesamt waren deutsche Unternehmen an der Privatisierung ehemals staatlicher Unternehmen in den neunziger Jahren in Brasilien nur vergleichsweise gering beteiligt. An der in Folge von IWF-Auflagen an Brasilien, als einen seiner größten Schuldnerstaaten, auf den Weg gebrachten Privatisierungswelle haben sich andere europäische Unternehmen, voran spanische Konzerne, in großem Maßstab beteiligt. So stieg der Anteil ausländischen Kapitals an den 500 größten Unternehmen Brasilien von 31% im Jahr 1991 auf 45,8% in 2001, gleichzeitig sank in Folge der Privatisierung staatlicher Unternehmen die Staatsquote der 500 größten Unternehmen Brasiliens von 26,6% auf 19,7%.

Die Herkunftsländer der FDI-Zuflüsse im Falle der Privatisierungen waren dabei die USA (16,5%), Spanien (14,9%), Portugal (5,7%) und Italien (3,1%). Aus Sicht der Herkunftsländer der FDI-Flüsse nimmt die relative Bedeutung der Investitionen in Brasilien im Falle Portugals die Spitzenposition ein, da dessen FDI-Zuflüsse nach Brasilien in den letzten fünf Jahren mit 15 Mrd. US$ rund 60% des portugiesischen FDI-Flusses ins Ausland repräsentierte, ein Umstand, der auch auf die wechselseitigen Abhängigkeiten zwischen Brasilien und Portugal verweisen mag.

Der FDI-Stock (verrechneter Wert aller getätigten Investitionen) Europas in Brasilien betrug im Jahr 2001 76,8 Milliarden Euro. War noch vor der großen Privatisierungswelle ab Mitte der neunziger Jahre die kapital- und produktionsintensive Automobilindustrie die führende Branche ausländischer Direktinvestitionen, so hat die neoliberale Privatisierung vor allem im Bereich Telekommunikation und Banken ab der zweiten Hälfte der neunziger Jahre den Wechsel von produktionsintensiven Branchen hin zum Dienstleistungsbereich bewirkt, wobei im Zeitraum von 1991 bis 2002 in Brasilien "nur 0,1 % der Privatisierungserlöse [...]von insgesamt US$ 42 Mrd auf deutsche Unternehmen" entfielen.

Dieser Zuwachs ausländischer Direktinvestitionen in Brasilien hat aber keine Auswirkungen für "Entwicklung" gezeitigt, im Gegenteil: Laut einer Studie der Unicamp waren 1997 ungefähr fünfundneunzig Prozent der ausländischen Direktinvestitionen im Bereich Fusionen und Übernahmen, M&A, und nur fünf Prozent in Neuinvestitionen zu verzeichnen, und hatten somit keine Schaffung von neuen Arbeitsplätzen zur Folge.

Allgemein hatte sich bis zum Ende der neunziger Jahre die strategische Ausrichtung ausländischer Direktinvestitionen in Brasilien nicht verändert, vornehmlich orientiert auf den Binnenmarkt - sei es auf den Binnenmarkt Brasiliens oder den des Mercosur -, und mithin nicht auf Weltmarkt und Export.

Auf den ersten Blick mag der Eindruck entstehen, dass durch die verhältnismäßig hohen FDI-Zuflüsse der Jahre 1998 - 2000 in den privatisierten Bereich der Dienstleistungen wie Telekommunikation und Banken an diesem Szenario der Binnenmarktorientierung sich nichts ändern würde. Doch ist es für eine Volkswirtschaft wie die brasilianische makroökonomisch unabdinglich, nicht nur ausländische Direktinvestitionen ins Land zu holen und darauf zu hoffen, dass diese mithelfen, den Binnenmarkt anzukurbeln, sondern die Volkswirtschaft ist von der Marktlogik her gezwungen, diese Direktinvestitionszuflüsse auch und vor allem dazu einzusetzen, dass weitere ausländische Devisen ins Land kommen, - und zwar über Exporte. - Dieses Bild mag sich ändern, doch ist der genaue Verlauf zur Zeit noch nicht abzusehen. Gleichwohl ist eine solche Tendenz sehr wahrscheinlich, da nicht nur den im Mercosur tätigen ausländischen Konzernen an Gewinnen und komparativen Kostenvorteilen, mit dem hübschen Begriff "efficiency seeking" bezeichnet, sondern auch den Regierungen der vier Mercosur-Staaten an Exportüberschüssen, nicht zuletzt um wegen gravierenden Schieflagen in der Zahlungsbilanz nicht erneut in akute Finanzkrisen zu stürzen, sehr gelegen ist.

Und dazu erscheint den Regierungen und Konzernen - in diesem Fall Hand in Hand - ein Abschluß eines Freihandelsabkommen äußerst willkommen, - fraglich dabei ist dann die Vermittlung der Einzelheiten dieses zukünftigen Abkommens. Die unterschiedlichen Interessenlagen beider Seiten des Atlantiks und der verschiedenen Akteure am baldigen Abschluß eines "Interregionalen Assoziationsabkommen" mit seiner im Ursprung "anspruchsvollen" Themenpalette von Liberalisierung der gegenseitigen Marktzugänge, der Agrarmärkte, des Dienstleistungs- und Investitionsbereiches und regionenüberschreitend verbindlicher Regeln für Öffentliche Auftragsvergabe lassen sich entlang des Themenkomplexes "Investitionen" anschaulich nachvollziehen.

weiter zum Kapitel 4:

Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur: Das Beispiel Brasilien

 

 

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