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Christian Russau (FDCL): Durchsetzung internationaler Handelsregime zwischen Europäischer Union (EU) und dem Gemeinsamen Markt des Südens (Mercosur)? Ausländische Direktinvestitionen als Gegenstand der Freihandelsverhandlungen im Spannungsfeld von Investorenrechten, Entwicklung und Menschenrechten, FDCL: EU-MERCOSUR-Info-Bulletin N°1, Januar 2004

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Kapitel 4

4. Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur: Das Beispiel Brasilien

4. 1 Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur: Interessenlagen von Konzernen, Lobbygruppen und Regierungen - das Beispiel Brasilien

 

Europäische Konzerne, die schon seit Jahren im Mercosur tätig sind und in ihrem "Engagement" im Mercosur schwerpunktmäßig auf den dortigen Binnenmarkt und dort zu erzielende Profitraten ausgerichtet sind und sich entsprechend positioniert haben, verfolgen einerseits ein geringeres Interesse an Bestimmungen über generelle Zollsenkung im Rahmen eines zukünftigen Freihandelsabkommen, als beispielsweise in Europa produzierende Wirtschaftssubjekte, die sich Absatzvorteile im Außenhandel versprechen: Im Mercosur ansässige europäische Automobilhersteller wie beispielsweise Volkswagen do Brasil produzieren traditionell zum größten Teil für den Binnenmarkt. Dennoch versucht Volkswagen do Brasil zu Zeit anscheinend vermehrt, seine Strategie der vornehmlichen Binnenausrichtung durch Exporte von in Brasilien produzierten Fabrikaten nach Amerika, Asien, Europa und Afrika zu diversifizieren, wozu dann auch eine Senkung der Zölle auf diesen Märkten über Freihandelsabkommen von Vorteil sein könnte: die europäischen Einfuhrzölle für auswärts produzierte Personenkraftwagen liegen in Abstimmung mit der WTO bei 10 Prozent, für in Brasilien gefertigte Autos liegen sie nach den Tarifen des Generalised System of Preferences, GSP, zur Zeit bei 6,5 Prozent, im Mercosur hingegen liegen die Importzölle für außerhalb des Mercosur gefertigte Kraftfahrzeuge zur Zeit bei 35 Prozent. Eine Konstellation, die den im Mercosur bereits ansässigen Unternehmen nicht sehr ungelegen kommt, für Konzerne hingegen, die im gemeinsamen Markte des Südens nicht über Auslandsvertretungen präsent sind, bedeutet dies gleichsam einen "Nicht-Standort-Nachteil".

Mercedes Benz do Brasil hatte noch 1997 vierzig Tausend LKW und Busse produziert, im Jahr 2002 waren es noch 5.451 Einheiten, in 2003 stiegen die Produktionszahlen wieder auf achtunddreißig Tausend Stück an, die exportierten Modelle beliefen sich auf ca. 9.300, was vor allem den anziehenden Absatzstärken in Argentinien zugeschrieben wird. Für 2004 wird eine Produktion von ca. 40 Tsd. Bussen und LKW erwartet, wobei dreißig Tausend Einheiten für den brasilianischen Binnenmarkt produziert werden, der damit zum zweitgrößten Absatzmarkt für Mercedes-LKW und –Busse, nach 90 Tausend in den USA und 27,3 Tausend Einheiten in Deutschland avanciert. Auf der anderen Seite ist die Produktion von Personenkraftwagen im brasilianischen Mercedes-Hauptwerk Juiz de Fora seit Jahren defizitär, was laut Konzernleitung der Devalorisierung des brasilianischen Real zuzuschreiben ist: Mercedes produziert auch hier schwerpunktmäßig für den brasilianischen Binnenmarkt.

Auf den Binnenmarkt ausgerichtete transnationale Konzerne im Mercosur verfolgen keine einheitlichen Interessen bezüglich des Abschluß eines Freihandelsabkommens zwischen Europäischer Union und dem Mercosur. Einerseits würde ihnen eine Marktöffnung durch Zollsenkungen im Rahmen eines Freihandelsabkommens ausländische, nicht im Mercosur ansässige Konkurrenz bescheren, andererseits könnten sich durch einen Freihandelsabschluß auch wiederum die Exporte außerhalb des Mercosur erhöhen, sowie landesinterne Produktionsauflagen wie beispielsweise Mindestanteil bei nationalen Beschäftigten qua internationalem Vertrag aufgehoben werden.

Dieser Umstand mag ein erstes klärendes Licht auf die teilweise differenzierten Interessenlagen der verschiedenen Player in Bezug auf die laufenden Freihandelsverhandlungen zwischen Mercosur und Europa werfen, denn es ist einerseits für bereits im Mercosur ansässige Unternehmen von Vorteil, bessere Ausgangspositionen auf den Märkten als im Mercosur nicht-ansässige Unternehmen zu haben, so kann es für die ansässigen Konzerne recht wohl auf der anderen Seite von ökonomischem Vorteil sein, wenn durch das Assoziationsabkommen EU-Mercosur beispielsweise Bestimmungen über Kapitaltransfer, Auflagen über nationalem Mindestanteil der Zulieferer oder über einen prozentualen Mindestanteil heimischer Beschäftigten aufgehoben würden.

Der Mercosur mit seinem vier Regierungen verfolgt in den internationalen Verhandlungen über Freihandelsabkommen sowohl im Rahmen von ALCA, der großen Freihandelszone Amerikas, als auch im Rahmen der Mercosur-EU-Agenda keine durchgängig einheitliche Position, - zu unterschiedlich sind zumindest bislang noch die Interessen und Positionen in einigen Bereichen. Einerseits sind sich die vier Mercosur-Mitgliedsstaaten in Fragen der Zugänge zu den Agrarmärkten der Industrieländer sowie der Reduzierung oder gar Abschaffung der europäischen Agrarsubventionen einig, andererseits existiert diese Einmütigkeit offensichtlich bei anderen Themen nicht dergestalt: Während die brasilianische Regierung in Fragen von Marktzugängen, Investitionen, öffentlichen Beschaffungswesen mit der argentinischen Regierung weitgehend einig ist, verfolgt die Regierung Uruguays andere Positionen. Der Außenminister Uruguays, Didier Opperti, will

"keine Möglichkeiten im Bereich des Handels verlieren. Wir sind nicht gewillt, [in den ALCA-Verhandlungen ] Formulierungen zu akzeptieren, die aus unserer Sicht dem Zugang zu Märkten Selbstbeschränkungen auferlegen würden. Handel und Investitionen sind für uns die zentralen Themen."

Auf der anderen Seite zeigt sich die Verhandlungsseite Uruguays in Fragen des öffentlichen Beschaffungswesen in allen Verhandlungsagenden zunächst auch noch reserviert. In dem jüngsten bilateralen Investitionsabkommen zwischen Uruguay und Mexiko beispielsweise ist das öffentliche Beschaffungswesen nicht Gegenstand, aber es wurde zumindest die Vereinbarung getroffen, innerhalb von zwei Jahren nach Abschluß darüber zu verhandeln. Einigen konnten sich die vier Mercosur-Verhandlungspartner beim Thema Investitionen zumindest auf das vorläufige Konstrukt, Investitionen als Thema im Bereich der Dienstleistungen vorrangig in der WTO verhandeln zu wollen.

Dabei liegt es im vorrangigen Interesse der aktuellen Regierungen des Mercosur, gewisse Spielräume nationaler oder regionaler Gestaltungsmöglichkeiten nutzen zu können, ein Thema, das vor allem für die brasilianische Regierung von Bedeutung ist, hatte sie doch in ihrem Wahlprogramm 2002 explizit auf diesen nationalen Entscheidungs- und Handlungsspielraum im Hinblick auf nationale und regionale Entwicklung hingewiesen. So hat der brasilianische Präsident Lula in seiner Rede zum fünfzigjährigem Jubiläum der brasilianischen Erdölfirma Petrobras am 3. Oktober 2003 die Wichtigkeit solcher nationalstaatlichen Auflagen für Fragen von Arbeitsplätzen, Technologie und Entwicklung überhaupt betont.

Zwar war die brasilianische Delegation zu den WTO-Verhandlungen nach Cancún – im Einklang mit den Mercosur-Partnern – ohne eine explizite Position zu den Themen Investitionen und Öffentliches Auftragswesen gefahren, doch im post-cancún-Verhandlungsprozess positionierte sich die brasilianische Verhandlungsdelegation: Zum Thema von Investitionen in internationalen Freihandelsabkommen vertritt die brasilianische Regierung Lula, beispielsweise im Rahmen der ALCA-Verhandlungen, genauso wie sie es auf dem Ministerratstreffen EU-Mercosur am 12. November 2003 in Brüssel vertreten hat, vehement die Position, dass, wenn das Investitionsthema überhaupt zu verhandeln sei, dann auf multilateraler Ebene in der WTO. Dort positioniert sie sich seit Cancún in der Allianz der G-20, G-22, G-X , hat vergleichsweise starke Verhandlungspartner auf ihrer Seite und besteht auf die durchgängige Gewährleistung nationaler Gestaltungsmöglichkeiten wie auf Entwicklung abzielende Industrie- und Fiskalpolitik, Beibehaltung von local-content-Regeln und performance requirements. So hatte die brasilianische Verhandlungsdelegation schon am 23.-27.Juni 2003 bei der zehnten Runde des EU-Mercosur Bi-Regionalen Verhandlungskomittees, beim X.BNC, darauf gedrängt, dass es zuerst um eine vorläufige Prüfung der Verhandlungstexte und dabei auch zunächst um Methoden, Verhandlungsmodalitäten und allgemeiner wie konkreter Begriffsdefinitionen zum Themenbereich Investitionen zu gehen habe, bevor überhaupt über das Thema an sich verhandelt würde.

Zum Thema der Investitionen hat sich die brasilianische Regierung inhaltlich darauf verständigt, laut ihrem Angebot an die EU, nur Investitionsgarantien für post-establishment zulassen, d.h. für Investitionen, die im Land getätigt sind, nicht für das sogenannte pre-establishment, nach welchem sich ausländische Investoren - ohne im Land investiert zu haben - beispielsweise durch Gesetzesänderungen (Umweltauflagen, performance-requirements, local-content-Regeln, etc) diskriminiert fühlen und eine Klagemöglichkeit vor internationalen Gerichten gegen diese "indirekte" Enteignung führen könnten. In Bezug auf diese sogenannte Investor-to-State-Klagemöglichkeit vor internationalen Gerichten ist die brasilianische Regierung Lula in allen Freihandelsverhandlungen explizit dagegen Desgleichen spricht sie sich für Ausnahmemöglichkeiten beim liberalisierten Kapital- und Gewinntransfer aus, beispielsweise um die nationale Ökonomie in Krisen gegen schlagartigen Kapitalflucht oder Spekulationsangriffe zu schützen. Sie geht gleichwohl nicht so weit, das Wort der "Kapitalverkehrskontrollen" explizit zu erwähnen.

Die brasilianische Regierung ist sich ihrerseits mit der Europäischen Verhandlungsseite einig, dass die Investitionsdefinition nur FDI betreffe und nicht Portfolio miteinzuschließen habe, andererseits blockt sie bei einem der weiteren Lieblingsthemen des EU-Verhandlungsführers Pascal Lamy, dem Öffentlichen Beschaffungswesen, auch Öffentliches Auftragswesen genannt: Dieses höchst sensible Thema, das den über internationale Verträge abgesicherten Zwang im Visier hat, jede öffentliche Ausgabe, die eine bestimmte Höhe übersteigt, international ausschreiben zu müssen, ohne die Möglichkeit, irgendwelche Kriterien außer dem Preis gelten zu lassen. So müsste z.B. die Beschaffung von Toilettenpapier für öffentliche Schulen in einem Bundesstaat, weil sie im Jahresverlauf beispeilsweise über fünfzig Tausend US-Dollar liegen würde, international ausgeschrieben und dem "besten", d.h. dem billigsten Anbieter, in transparenter Form zugesprochen werden. Die Weltmarktkonkurrenz erreicht damit die letzten Bereiche. Es ist nicht so schwer einsichtig, warum die Mercosur-Verhandlungsseite sich, ganz im Gegensatz zur EU-Kommission, bei diesem Thema sträubt.

In Bezug auf den Dienstleistungsbereich, der in einer seiner vier Formen den Bereich der Investitionen (ausländische Niederlassungen) tangiert, favorisiert die brasilianische Seite sogenannte Positivlisten, d.h. dass alle Dienstleistungsbereiche, die unter GATS-Bestimmungen (in der WTO) oder unter die zu liberalisierenden Bereiche in den ALCA- oder EU-Mercosur-Verhandlungen fallen, explizit in einer "positiven" Liste erwähnt werden müssen, nach welcher sie dann den Regeln von Marktzugang, Inländergleichbehandlung, Meistbegünstigungsklausel und Handelserleichterungen unwiderbringlich unterworfen werden. Alle anderen, nicht-erwähnten oder auch zukünftigen Dienstleistungsbereiche wären demnach explizit von der Marktöffnung ausgenommen, es sei denn, einer der Vertragspartner entscheidet sich unilateral, einen dieser Bereiche zu öffnen.

Dennoch bergen auch diese Positivlisten die Gefahr, dass über politischen Druck, den an vielen Punkten Regierungen des "Nordens" anzusetzen sich in der Lage sehen, Positivlisten unterminiert werden, so dass mehr und mehr Bereiche unter die Liberalisierung und Weltmarktöffnung, mit allen potenziellen sozialen Konsequenzen, gestellt werden. Fátima Mello von der brasilianischen Nichtregierungsorganisation Fase und Mitglied bei Rebrip, Rede Brasileira pela Integração dos Povos, hat mit Nachdruck darauf hingewiesen.

Die jedoch weitaus eminentere Gefahr einer Negativliste besteht darin, dass zum einen nicht klar ist, was mit zukünftigen Dienstleistungsbereichen (was wäre beispielsweise mit dem Internethandel geschehen, wenn es eine ratifizierte Negativliste vor dem Aufkommen dieser Dienstleistungsart gegeben hätte?) geschieht, ob diese dann automatisch zu den zu liberalisierenden Bereichen oder eben nicht zählt, zum anderen darin, dass eine Negativliste eben grundsätzlich assoziiert, dass die darin ausgenommenen Bereiche eine "Ausnahme", eine Art "Abweichung" von der Regel darstellen, die dann später über internationalen Druck, der großen Staaten beispielsweise, abgeschafft werden sollte, mit der Begründung der "Normalisierung" der Regel.

Auf europäischer Seite ist die Position zum geplanten "Interregionalen Assoziationsabkommen" zwischen Europäischer Union und dem Mercosur naturgemäß keine einheitliche. So sind die europäischen Agrarsubventionen beispielsweise für den deutschen BDI untragbar. Der BDI tritt vehement für den Abschluß eines Freihandelsabkommens, im Sinne der deutschen Exporteure, ein: so sieht der BDI beispielsweise internationale Verhandlungen über Dienstleistungen unter dem Ziel: "Dienstleistungsverhandlungen müssen Märkte öffnen". Sämtliche "marktverzerrenden" nationalstaatlichen Auflagen für Investoren, die von Staaten im Sinne von beispielsweise regionaler Förderung unter Beachtung lokaler Anbieter erlassen werden, sind dem BDI als Teil des "dirigistischen Weges" ein Dorn im Auge:

"Die deutsche Industrie hat Bestrebungen, mit Hilfe der handelspolitischen Instrumente wirtschafts- und industriepolitische Ziele auf dirigistischem Weg zu verfolgen, in der Vergangenheit immer eine klare Absage erteilt und wird dies auch weiterhin tun."

Der BDI nutzt in Bezug auf die Interessen seiner Mitglieder im Mercosur die historisch engen Beziehungen zur bundesdeutschen Regierung "commenting and complementing each offer coming from Mercosur or the EU", um dergestalt nachhaltigen Einfluß auszuüben, indem sie ihren Vorstellungen von Freihandel und Investitions-"Schutz" lautstark Gehör verschaffen.

Die gleiche Position verfolgt der in Hamburg ansässige Ibero-Amerika Verein, der sich auch sowohl gegen die europäischen Agrarsubventionen wie gegen die vom Mercosur auferlegten "Handels- und Investitionsbarrieren" ausspricht. Der Ibero-Amerika Verein hat zusammen mit dem BDI die Lateinamerika-Initiative der deutschen Wirtschaft (LAI) 1994 in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) gegründet, und setzt sich für den Abschluß eines umfassenden Freihandelsabkommen mit dem Mercosur ein. So wurde auf der Lateinamerika-Konferenz der Deutschen Wirtschaft in der "Erklärung von Frankfurt" vom 14.-15.Mai 2003 gefordert:

"Die lateinamerikanischen Länder werden in ihrem Bestreben, Strukturreformen, Privatisierungen, Deregulierung, Liberalisierung und Demokratisierung weiterhin zügig voranzutreiben, ausdrücklich ermuntert. Von besonderer Bedeutung ist die Schaffung bzw. Konsolidierung verlässlicher rechtlicher Rahmenbedingungen. [...]

Die deutsche Wirtschaft fordert die EU-Kommission erneut auf, die Verhandlungen des geplanten Abkommens mit den Ländern des Mercosur zu beschleunigen. Für einen Verhandlungserfolg mit dem Mercosur ist mehr Flexibilität in der EU-Agrarpolitik notwendig."

Von europäischer Regierungsseite stehen als hartnäckigste Verfechter des geplanten Abkommens die Spanier an vorderster Stelle, und die Behandlung der Frage von Auslandsinvestitionen ist dabei zentral:

"Denn keines der EU-Länder mit nennenswerten Investitionen im Mercosur will Terrain aufgeben. Darunter z.B. in Argentinien an erster Stelle Spanien (39%), gefolgt von den USA (28%), Frankreich (7%), Kanada (6%) und Italien (5%). Gleich um die Jahreswende [2001/2002, Erg.d.A.] belagerte die spanische Regierung die Casa Rosada (Regierungssitz) in Buenos Aires, um zu erwirken, dass die Gewinne spanischer Firmen in Argentinien nicht in abgewerteten Pesos, sondern in Devisen nach Spanien transferiert würden. Im Juli 2002 setzen die spanischen Mitglieder der Fraktion der Volksparteien (EVP, darin die deutsche CDU/CSU und die österreichische ÖVP) im Europäischen Parlament eine Entschließung zu Argentinien durch, in der Hilfe gefordert, auf die kulturellen Wurzeln verwiesen und insbesondere auf ein Menschenrecht in modernen Gesellschaften verwiesen wird, nämlich das Recht auf Eigentum."

Zur Ergänzung: in Brasilien verfügen spanische Konzerne über direkte Auslandsinvestitionen (FDI-Stock) in Höhe von aktuell US$ 25 Mrd., das entspricht einem Anteil von 14% der gesamten ausländischen Direktinvestitionen in Brasilien.

Die bundesdeutsche Regierung ihrerseits setzt sich für die Interessen deutscher Wirtschaftsverbände im Außenhandel seit jeher ein, und im Fall deutscher Interessen in Brasilien kann Deutschland dabei auf eine über vierzigjährige Tradition zurückblicken. So fanden am 27. und 28.10. 2003 in Goiania, Bundesstaat Goiás, die mittlerweile 21. Deutsch - Brasilianischen Wirtschaftstage statt, organisiert vom BDI und dessen brasilianischen Partnerorganisation CNI. So wurde von den dort Anwesenden bedauernd konstatiert:

"German participation in the total Foreign Direct Investment in Brazil has fallen from more than 25% to less than 7%."

Um diesen Rückgang der FDI-Flows zwischen Deutschland und Brasilien zu begegnen, schlug die in Goiánia versammelte Gemeinde von Politik und Handel vor:

"The German side suggested that a bilateral investment protection and promotion treaty would further improve the conditions for foreign investment, especially for small and medium-sized companies, and asked for rapid ratification of the negotiated bilateral investment protection and promotion treaty. The Brazilian side stated that the issue is under review. It was agreed that the subject will return to the agenda of the next meeting. [...] The German side recognised the positive effect for further investment in Brazil potentially resulting from the adoption of the draft legislation on transfer pricing currently debated in Congress and encouraged the Brazilian side to join in the efforts for that purpose. [...] The German party reaffirmed its strong interest in the opening up of the reinsurance market. Brazil welcomed this interest and emphasised its commitment to the modernisation of the sector. The German side raised concerns with high taxation of the insurance market and double taxation (in particular, COFINS and PIS on provisions). The Brazilian side recalled that its tax system is essentially the same for national and foreign companies and does not intend to discriminate Germany, neither in a positive nor a negative way. At the same time, reminded that the current double taxation bilateral agreement is favourable to the large majority of German and Brazilian business circles. [...] Both sides referred to the Third Meeting of Heads of State and Government of the European Union and of Mercosul, to be held in May 2004 in Mexico in the margins of the EU-Latin America Summit, and praised the decision to give a new impetus to economic/trade negotiations and to call a meeting between negotiators at the ministerial level in Brussels on November 12. As the biggest economies within their respective integration areas, Brazil and Germany renewed their commitment to progress in the EU-Mercosul negotiations and expressed their hope that the next meeting would help to further advance the process. Both sides agreed that the conclusion of an association agreement will be determinant in stimulating trade and investment flows."

Wirtschaftsbeziehungen zwischen Deutschland und Brasilien erstrecken sich nicht nur auf Handel, sondern auch deutsche Direktinvestitionen in Brasilien haben ein historisch hohes Niveau: São Paulo ist die Stadt mit dem weltweit größten Standort deutscher Industrie - nur vom nicht auf eine Stadt beschränkten Großraum des Ruhrgebietes übertroffen-, aktuell sind 1.200 deutsche Unternehmen in Brasilien aktiv und beschäftigen dabei 250.000 Menschen, vornehmlich in der Industrie:

"Konzentration auf Industriesektor: Für Brasilien ergab sich 1995 nach Angaben der Zentralbank des Landes folgende Aufteilung: Automobilbau & Kfz-Teilefertigung 32 %, Maschinen & Anlagen 14 %, Chemie 10 %, Pharmazie 9 %, Dienstleistungssektor 9 %, Eisen & Stahl 8 %, Elektrotechnik und Telekommunikationsprodukte 7 %, Lebensmittelverarbeitung 3 % und Grundstoffsektor (Landwirtschaft und Bergbau) 2 %.

Deutsche Produktion in Lateinamerika viermal so hoch wie Export dorthin: Die Bedeutung des deutschen Lateinamerika-Engagements wird auch daraus ersichtlich, daß das Produktionsvolumen der deutschen Tochterunternehmen in Lateinamerika im Jahr 2001 mit ca. 65,3 Mrd den gesamten deutschen Export in die Region (ca.16 Mrd) um mehr als das vierfache überstieg. Vom Gesamtwert der deutschen Produktion in Lateinamerika entfielen nach Angaben der Bundesbank ca. 23,5 Mrd auf Brasilien und ca. 27,8 Mrd auf Mexiko. (Der US$-Wert des Produktionsvolumens in Brasilien hatte sich durch die Real-Abwertung verringert.) In diesen beiden Ländern schaffen deutsche Unternehmen etwa 5 % des BIP. An der Wertschöpfung des brasilianischen Industriesektors sind sie mit rund 15 % beteiligt."

Planungen deutscher ausländischer Direktinvestitionen in Brasilien für die nächsten fünf Jahre belaufen sich laut der Tageszeitung Estado de São Paulo auf Reinvestitionen in Höhe von 7,7 Mrd.US-$ von Seiten der bereits in Brasilien ansässigen deutschen transnationalen Konzerne, zusätzlich dazu geplante Infrastrukturprogramme in Höhe von 10 Mrd.US-$, hinzugerechnet der bereits getätigten, wertmäßig verrechneten 19 Mrd.US-$ deutscher FDI-Stocks in Brasilien ergebe sich eine Summe von 36,7 Mrd. US-Dollar, - damit wäre Deutschland nach der Summe der erwarteten FDI-Flüsse und der getätigten Investitionen an erster Stelle der ausländischen Direktinvestitionen, noch vor den USA und Spanien.

Und nicht zu vergessen sei das neue Allheilmittel, das sowohl chronisch hochverschuldete öffentliche Haushalte wie unter Auftragsschwäche leidende Unternehmen aus jedweder Krisen zu ziehen vermöchte: PPP!, die Public-Private-Partnership, auf portugiesisch Parceria Público-Privada, beispielsweise in Form des zweifelhaften sell-and-lease-back-Prinzips, erfreut sich auch grenzüberschreitend zunehmender Beliebtheit: cross-border leasing ist ein Modell, von welchem sich sowohl die klamme öffentliche Hand als auch die Privatwirtschaft Vorteile versprechen, beispielsweise beim Straßenbau, bei öffentlichen Einrichtungen, etc. Desgleichen sieht der von der Regierung Lula 2003 vorgestellte neue Mehrjahresplan, der Plano Pluriannual, PPA, mehrere Großprojekte vor, die der Privatwirtschaft, auch der ausländischen, ausgeschrieben werden sollen, darunter ökologisch und sozial äußerst zweifelhafte Projekte wie die Wasserstraßen Rio Madeira und den Großstaudamm Belo Monte, während die Erweiterung des Araguaia-Tocantins-Komplexes zunächst zurückgestellt wurde. Urgewald e.V. hatte 2003 mehrere Studien zum Großstaudamm Belo Monte, zur Wasserstraße Teles-Pires Tapajós, zum Atomkraftwerk Angra III und Kohlekraftwerk Seival erstellt und kam zu dem Ergebnis, dass diese Projekte teilweise desaströse Konsequenzen haben.

Angra III ist der dritte von drei Atommeilern in Angra, an der Atlantikküste zwischen den Ballungszentren Rio de Janeiro und São Paulo in einem extrem sensiblen Gebiet gelegen. Dieses Atomprojekt war schon in den siebziger Jahren von der brasilianischen Militärdiktatur geplant und mit immensen Kosten, deren Auswirkungen noch heute auf der brasilianischen Auslandsschuld lasten, mit der deutschen Siemens – und in Absprache mit der bundesdeutschen Regierung - durchgeführt worden. Aus dem ursprünglichen Plan der brasilianischen Militärs, dem Bau der Atombombe, wurde zwar nichts, doch die Meiler wurden suksessive gebaut, - und nun steht noch die Fertigstellung von Angra III an: So gab der Präsident der Eletrobrás, Luiz Pinguelli Rosa, seiner Hoffung Ausdruck, die deutsch-französische Framatome würde 1,8 Mrd. US-Dollar in die Fertigstellung von Angra III investieren:

"Framatome ANP is headquartered in Paris with regional subsidiaries in the U.S. and Germany. With a total workforce of 14,000, the company is active in Eastern and Western Europe, North and South America, Asia and Africa. Its annual revenues total more than 2.5 billion €. In the company, AREVA has a 66% stake and Siemens 34%."

Areva gehört unter anderen (Stand 31.12.2002) zu 78,96 Prozent der staatlichen ("l'organisme public") CEA (Commissariat à l'Énergie Atomique), zu 5,19 Prozent direkt dem französischen Staat, zu 3,59 Prozent der Caisse des Dépôts et Consignations, zu 3,21 Prozent ERAP, zu 2,42 Prozent EDF und zu 1,02 Prozent TotalFinaElf. Für Angra III würde Framatome die Lizenz für einen Zeitraum von zwanzig Jahren erhalten und könnte in diesem Zeitraum die eigenen Kosten über den ausschließlichen Stromverkauf nicht nur amortisieren, sondern Gewinne erzielen. - So wird aus dem ehemaligen Bombengeschäft nun die Besinnung auf das Kerngeschäft.

Allgemeiner Einschätzung nach zielt der von der Regierung Lula vorgelegte neue PPA in seiner strategischen Ausrichtung auf Infrastrukturmaßnahmen, die Produktionskosten in anderen Bereichen senken könnten, vor allem in der Produktionskette von Gütern, die auf dem Weltmarkt angeboten werden, um so langfristig eine Verbesserung der Zahlungsbilanz zu erreichen.

Insgesamt plant die brasilianische Regierung in den nächsten vier Jahren Ausgaben in Infrastruktur in Höhe von bis zu 100 Mrd. US-Dollar, so der brasilianische Plnaungsminister Guido Mantega am 4.Dez.2003 bei einem Treffen mit potenziellen Investoren in Washington. Andere Schätzungen sehen noch weitaus größere Ausgaben vor. So berichtet der Estado de São Paulo vom 25.Juni 2003 von Schätzungen allein für den Energiebereich mit kommenden Investitionen von 82 Mrd.US-Dollar. Und die brasilianische Regierung ist dabei der potenziellen Beteiligung der ausländischen Privatwirtschaft alles andere als abgeneigt: so hat Luiz Inácio Lula da Silva am 14.Juli bei seinem Besuch in Madrid die europäischen Investoren aufgefordert zu investieren, um ein "prosperierenderes Südamerika zu schaffen".

Und last, but not least ist einer der einflußreichsten Akteure im Themenbereich "Investitionen" der Verhandlungsagenda zwischen EU und Mercosur sicherlich das Mercosur-European Business Forum (MEBF). Das MEBF wurde 1999 mit dem Ziel gegründet, die Freihandelsverhandlungen zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur zu begleiten, - was soviel heißt, wie: Lobbyarbeit für die eigenen Interessen, damit diese im Abkommen letztlich Eingang finden:

"The MEBF is based on the idea that entrepreneurs should identify Mercosur/EU barriers to trade , services an investment, and elaborate joint recommendations to eliminate these restrictions."

Auf der MEBF-Konferenz in Buenos Aires, 2001, las sich die Teilnahme am MEBF wie das "who is who" der Konzerne: Arcelor, Siemens, Alcatel, Alstom, BASF, Telefónica, Repsol YPF, DaimlerChrysler, Degussa, Ericsson, Fiat, France Telecom, Portugal Telecom, Renault, Peugeot, Bosch, Suez, ThyssenKrupp, Volkswagen und natürlich fehlen von deutscher Seite das BDI, und von brasilianischer Seite Sadia (dessen Präsident nun brasilianischer Außenhandelsminister ist, und dabei sein "Hühner-Business" nicht aus dem Auge verliert) nicht.

Das MEBF setzt explizit auf seine erfolgreiche Arbeit als Lobby-und Pressure-Group.: MEBF

"wants to use its mechanisms to give direct input into these political negotiations and thereby help to shape the face of a future trade area."

Schon 1999 rühmte das MEBF seinen Einfluss auf die politischen Entscheidungsträger:

"The political perception of the business-driven initiative and its inaugural Conference was impressive."

und beurteilte die eigene Lobbyarbeit als vorrangigen Katalysator für die Aufnahme der Freihandelsverhandlungen zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur: MEBF

"launched a campaign to get European governments to grant the European Commission a mandate for free trade negotiations with Mercosur. "«Finally, the MEBF lobbying succeeded and the EU complied with one of MEBF’s most urgent demands»[MEBF Newsletter, Issue II, Jul.1999]."

Die Forderungen des MEBF erstrecken sich über die ganze Bandbreite der Freihandelsagenda, und dem Thema "Schutz" der Auslandsinvestitionen wird ein bedeutender Stellenwert beigemessen. Schon 1999 hat das MEBF für den Bereich Investitionen im EU-Mercosur-Freihandelsabkommen Forderungen nach "Inländergleichbehandlung" ("national treatment") für Investoren und Investitionen, gemeinsame Investitionsregeln auf allen Regierungsebenen, "nicht-diskriminierenden Zugang" ("non-discriminatory access") zu staatlichen Geldern, freien Kapital- und Gewinntransfer, Eliminierung aller "ausländische Investoren diskriminierenden Steuerpolitiken", Vermeidung von Doppelbesteuerung, Beschneidung nationaler Handlungsspielräume in Krisensituationen sowie das Vorantreiben eines umfassenden Schutzabkommens für ausländische Investitionen gefordert. In der neuesten Version, der "Brasília Declaration" vom 30. Oktober 2003, behalten die alten Forderungen Bestand, nur explizit ergänzt um Formulierungen, welche die sofortige Aufnahme der Verhandlungen über öffentliches Beschaffungswesen einklagt, das Modell der Public-Private-Partnership zum Allheilmittel erklärt und erneut und mit Nachdruck ein umfassendes Investitionsschutzabkommen im Rahmen des Freihandelsvertrages fordert. Das Thema Investitionen steht auf der Agenda des MEBF ganz obenan. Investitionen ist eines der vier "neuen Themen", die auf der Ministerkonferenz der WTO 1996 in Singapur beschlossen worden waren und fürderhin als "Singapur-Themen" bezeichnet wurden: Handel und Investitionen ("Trade and Investment"), Wettbewerbspolitik ("competition policy"), öffentliches Beschaffungswesen ("government procurement") und - allgemein - Handelserleichterungen ("trade facilitation"). – Und diese sogenannten "Singapur-Issues" sind beliebtes Verhandlungsobjekt und Wunschtraum der EU-Kommission, auch in den Verhandlungen zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur.

So hat sich die Europäische Kommission ihrerseits auch nie des Lobes für MEBF enthalten: Im Juni 1999 hatten die beiden damaligen EU-Kommissare Manuel Marin und Martin Bangemann ihre hohe Wertschätzung des MEBF zum Ausdruck gebracht. Und interessanterweise hat DG Trade sich die MEBF-Declaration vom 30.Oktober scheinbar indirekt schon zu Eigen gemacht, - oder wie soll man den Umstand interpretieren, dass sich die Brasília-Erklärung auf der Website von DG Trade unter der Rubrik "Related Items - news" (wo normalerweise nur EU-Pressemitteilungen oder EU-Dokumente bezüglich "EU-Mercosur "erhältlich sind) findet?

Die Singapur-Themen sind für die Europäische Kommission von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Für EU-Außenhandelskommissar Pascal Lamy sind sie der Motor für Entwicklung:

"We have tried to explain how much we believe the Singapore issues, such as trade facilitation, are the key, not the hindrance, to development."

Angesichts des diesen "Singapur-Themen seitens der EU beigemessenen außerordentlich hohen Stellenwertes, konnte die BBC sich im Vorfeld zu Cancún nicht zu kolportieren zurückhalten, dass nunmehr immer nur die Rede von den "Brüssel-Themen" wäre. Und vor allem zwei dieser Brüssel-Themen haben es der EU vor allem angetan: Investitionen und öffentliches Auftragswesen.

Dabei verfolgt die Kommission folgende Vorstellungen zum Thema Investitionen:

"We believe that it is in the interest of all countries to create a more stable and transparent climate for FDI world-wide. In our view, the WTO should focus on FDI, leaving aside short-term capital movements.

Non-discrimination, transparency and predictability of domestic laws applicable to FDI should be the guiding principles for the investment framework that we envisage to negotiate.

The admission of investors should be dealt with following a gradual approach: each government should be able to decide which sectors can be opened to foreign investors and which ones cannot, according to transparent, positive and non-discriminatory commitments.

Each government should also preserve the right to regulate the economic activity within its territory, including in the fields of development, environment and social conditions.

The dispute Settlement mechanism should be that of the WTO. Investor-to-State arbitration does not fit in the WTO framework, and should be left to bilateral agreements.

Rules on investment protection, for instance in case of expropriation, could also be discussed, if WTO Members found it useful. Any such rules, however, must not affect a host country's right to regulate, in a non-discriminatory manner, the behaviour of firms in its territory."

Gleichwohl hat die EU-Verhandlungsseite, nach den Erfahrungen mit dem "Scheitern" von Cancún, scheinbar eine Neuorientierung vorgenommen. So heißt es aus Brüssel:

"As far as the EU is concerned, it is suggested that we now be ready to explore alternative approaches to negotiating the Singapore issues of investment, competition, trade facilitation and transparency in government procurement, possibly through removing them from the single undertaking of the negotiations and through negotiating them as plurilateral agreements if necessary. While maintaining our substantive objects, it also suggests a slight adjustment of the approach on trade and environment and geographical indications aimed at reducing reticence to negotiations in these areas."

Der EU Botschafter bei der Welthandelsorganisation in Genf, Carlos Trojan, hat den EU-Vorschlag, die "Singapur-Themen" aus dem single undertaking herauszunehmen als "major shift" der EU-Politik angepriesen. Gleichwohl bleibt es offensichtlich, dass Brüssel die "Singapur-Themen" nicht ganz aus der Verhandlungsagenda streichen will, sondern "alternative Herangehensweisen" im Verhandlungsprozess sucht: nimmt man sie jetzt aus dem single undertaking heraus, dann kann die EU-Kommission sie später und/oder bilateral erneut auf die Tagesordnung setzen. - Und das Thema der Investitionen brennt der EU unter den Nägeln, ganz im Interesse der Rechte und Profitmargen europäischer Konzerne.

 

4.2 Das Beispiel Brasilien: Ausländische Direktinvestitionen auch ohne BIT und FTA

Brasilien war jahrelang einer der Spitzenreiter unter FDI-Empfängerländern der "emerging countries", ohne ein einziges ratifiziertes bilaterales Investitionsabkommen. Brasilien hat zwar in Folge seines Beitritts 1990 zur MIGA, der "Multilateral Investment Guarantee Agency", einer Agentur der Weltbank, seit 1994 mehrere bilaterale Investitionsabkommen abgeschlossen, bislang wurde aber noch keines vom Congresso Nacional

Investitionsabkommen: Vertragspartner Brasiliens

 

 

 

Investitionsabkommen: Vertragspartner Brasiliens

Vertragsabschluß

Ratifizierung

Argentinien, Paraguay, Uruguay: Colonia Protocol on the Reciprocal Promotion and Protection of Investments within Mercosur

beschlossen durch den Asunción Vertrag vom 26. Mär. 1991, unterzeichnet 17.Jan.1994

offen

Portugal

9. Feb. 1994

offen

Chile

22. Mär. 1994

offen

Großbritannien

19. Juli 1994

offen

Argentinien, Paraguay, Uruguay: Buenos Aires Protocol on the Promotion and Protection of Investments Made by Countries That are not Parties to Mercosur

beschlossen durch den Asunción Vertrag vom 26. Mär. 1991, unterzeichnet 5. Aug. 1994

offen

Schweiz

11. Nov. 1994

offen

Frankreich

21. Mär. 1995

offen

Finnland

28. Mär. 1995

offen

Italien

3. Apr. 1995

offen

Dänemark

4. Mai 1995

offen

Venezuela

4. Jul. 1995

offen

Süd-Korea

1. Sep. 1995

offen

BR Deutschland

21. Sep. 1995

offen

 

Das Mercosur-Abkommen, "Colonia Protocol on the Reciprocal Promotion and Protection of Investments within Mercosur", soll die gegenseitigen Investitionsbedingungen ausländischer Investoren aus den vier Vertragsstaaten innerhalb des Mercosur regeln. Als Regionales Freihandelsabkommen (FTA) haben die dort beschlossenen Regeln keinerlei Auswirkungen auf Nicht-Mercosur-Staaten: Die Meistbegünstigungsklausel erstreckt sich in ihrer Rechtsgültigkeit nicht wie bei den bilateralen Investitionsabkommen auf Dritte.

Dem "Buenos Aires Protocol on the Promotion and Protection of Investments Made by Countries That are not Parties to Mercosur" vom 5.August 1995 hingegen kommt insofern bei diesen Abkommen eine Sonderstellung zu, als es zwar ein regionales Abkommen über Investitionsbestimmungen ist, es aber die Rolle von Dritten zum Gegenstand hat und somit infolge seiner Ratifizierung Rechtsauswirkungen auf andere Abkommen Brasiliens oder anderer Mercosur-Staaten haben könnte, - beispielsweise über eine Kettenreaktion im engmaschigen Netz bestehender Investitionsabkommen. Deswegen wurde in einer im Auftrag des brasilianischen Nationalkongresses erstellten Studie empfohlen, wenn überhaupt bilaterale Investitionsabkommen ratifiziert werden sollten, dann zuvörderst dieses Abkommen zu ratifizieren, damit die dort enthaltenen Bestimmungen maßgebend auf folgende Abkommen qualitative Rechtswirkung entwickeln sollte.

Alle diese Abkommen folgen dem Schema moderner bilateraler Investitionsabkommen, beinhalten Streitschlichtungsmechanismen auch für Investor-to-state-Klagen, wobei auch hier jeweils dem Klagenden die freie Wahl des Gerichtsstandes obliegt, Ausnahme hierbei ist das Mercosur-Protokoll, das zwar auch dem Investor die Wahl zugesteht, diese aber zumindest von den anderen Parteien (dem betroffenem Staat) abgelehnt werden kann. Die Abkommen orientieren sich alle explizit an den Prinzipien der Meistbegünstigungsklausel und der Inländergleichbehandlung, und regeln den ungeschränkten Kapital- und Gewinnstransfer, der durch keinerlei nationalstaatliche Auflagen behindert werden dürfte: Im Fall von akuten Zahlungsbilanzschwierigkeiten wäre also der brasilianischen Regierung jegliche Steuerungs- und Einflußnahme qua internationalem Vertrag untersagt.

Das geschlossene, aber noch nicht ratifizierte Abkommen mit der Schweiz geht weiter als andere Abkommen: es klärt als einziges der Abkommen explizit, dass eventuelle Entschädigungszahlungen in frei konvertibler Währung zu erfolgen haben, was laut einer im Auftrag des brasilianischen Kongresses erstellten Studie in Widerspruch zur brasilianischen Verfassung geraten könnte. Und zwar in dem Fall, dass Artikel 184 der Verfassung, der die Enteignung ungenutzten Landes zur Agrarreform gegen Entschädigungen in Form sogenannter "títulos da dívida agrária", also Entschädigungen in keiner frei konvertiblen Währung vorsieht, Anwendung finden würde. Ungenutztes Land, das beispielsweise ausländischen Investoren gehört, könnte demnach nie verfassungskonform und BIT-konform gleichzeitig behandelt werden: Entweder wird nationales oder internationales Recht gebrochen. Sollte beispielsweise dieses BIT von Seitens Brasiliens ratifiziert werden, so hätten automatisch alle anderen von Brasilien ratifizierten BITs die selben, genauso weitreichenden Bestimmungen, die jeder Investor, der aus einem Land mit einem Investitionsabkommen mit Brasilien kommt, für sich reklamieren kann: eine Kettenreaktion.

Doch auch ohne die Ratifizierung der bilateralen Investitionsabkommen ist nicht recht einsichtig, warum ausländischen Investoren und Regierungen von Brasilien die Unterschrift unter ein international bindendes Vertragswerk einfordern. Brasilien hat schon jetzt weitgehend deregulierte Bestimmungen für ausländische Direktinvestionen: In Brasilien gilt noch immer das Gesetz über ausländische Investitionen von 1962 (Lei do Capital Estrangeiro LEI Nº 4.131, DE 3 DE SETEMBRO DE 1962), welches in Art 2º festlegt, dass ausländischem Kapital, das in Brasilien investiert wird, die identische Behandlung vor dem Gesetz gewährt wird, wie allem inländischen Kapital, wobei explizit jedwede Form von Diskriminierung oder Einschränkung, die nicht explizit durch dieses Gesetz erlaubt wäre, verboten ist. Die Änderungen dieses Gesetzes, die 1964 in der "Alteração à Lei do Capital Estrangeiro LEI Nº 4.390, DE 29 DE AGÔSTO DE 1964" vorgenommen wurden, betreffen die Registrierungsmodalitäten ausländischen Kapitals in Brasiliens und die Modalitäten des Kapital- und Gewinntransfers, nicht den Grundsatz der schon 1962 festgestellten Inländergleichbehandlung.

Die Niederlassung und/oder Gründung einer Firma ist in Brasilien gebunden an juristische Personen: nach dem Prinzip sole proprietor reicht eine juristische Person zur Gründung einer Firma aus, die allerdings nicht im Dienstleistungsbereich tätig sein darf, dafür bedarf es mindestens zwei juristischer Personen, die sich als sociedade civil oder sociedade comercial gründen.

Grenzüberschreitende Rechnungsflüsse zwischen ausländischer Mutter- und inländischer Tochterfirma werden seit 1997 gesetzlich überwacht, zuletzt über die Gesetze IN N°243 (Nov.2002) und IN N°321 (Apr.2003), um dadurch grenzüberschreitende Gewinnverschiebungen beispielsweise über Fiskalparadiese zu verhindern.

Im internationalen Vergleich ist vereinfachter freier Kapital- und Gewinntransfer aus und nach Brasilien gesetzlich zugesichert. Es gibt keinerlei Auflagen für Kapital- und Gewinntransfers, solange die Gelder über SISBACEN (Sistema de Informações Banco Central) registriert und somit die Überwachung durch die Banco Central, die brasilianische Zentralbank, erfolgen kann. Kapitaltransfers in Höhe des ursprünglich investierten Kapitals unterliegen keiner Steuer und können jederzeit ohne eine gesonderte Bewilligung ins Ausland zurücküberwiesen werden. Darüber hinausgehende Beträge können auch jederzeit genehmigungsfrei ins Ausland über SISBACEN transferiert werden, dabei unterliegen diese Gewinne keiner Transfersteuer, sondern nur der ohnehin fälligen Quellensteuer in Höhe von gegenwärtig 15 Prozent. Die Deklarierung dieser Kapital- und Gewinntransfers erfolgt automatisch über SISBACEN und online.

Verstöße gegen diese einfache Regelung können eigentlich nur erfolgen, wenn die Registrierung bei SISBACEN nicht erfolgte, dann wendet die "RESOLUÇÃO Nº 2883 de 30 de JULHO de 2001" die Kriterien für die Anwendung des Strafgesetzes für rechtswidrige grenzüberschreitende Transfers ausländischen Kapitals an

Für vereinfachten Kapitaltransfer aus dem Ausland nach Brasilien und aus Brasilien ins Ausland dienen auch die sogenannten contas CC-5. Diese contas CC-5 können von sogenannten "não-residentes" - also in Brasilien sich aufenthaltenden Personen, die ihren Lebensmittelpunkt aber im Ausland haben - bei autorisierten brasilianischen Banken eingerichtet werden, um Gelder, deren Registrierung dann über SISBACEN (Sistema de Informações Banco Central) und die Überwachung durch die Banco Central, die brasilianische Zentralbank, erfolgt, grenzüberschreitend in oder aus dem Ausland zu transferieren. Mit der Carta 2.677/96 von 1996 wurde dann die sogenannte "Transferência Internacional em Reais" (TIR) eingeführt, die weidlich zum grenzüberschreitenden Kapitalverkehr - ohne tiefergehende Kontrollen - ausgenutzt werden kann, denn die CC-5 ermöglicht in §1 und §2 "Auslandsfilialen von brasilianischen Banken und ausländischen Banken, die im Lande aktiv sind" und "Finanzinstitutionen, die nicht die in diesem Paragraphen festgehaltenen Kriterien erfüllen", die Möglichkeit der Inanspruchnahme der contas CC-5.

Im Jahr 2002 wurden über die contas CC-5 über neun Milliarden US-Dollar aus Brasilien ins Ausland transferiert. Allein im Oktober 2002, im Vorfeld der brasilianischen Präsidentschaftswahlen, beliefen sich die Überweisungen auf 1,725 Milliarden US-Dollar. In den ersten neun Monaten des Jahres 2003 hatte die Bilanz der contas CC-5 ein negatives Saldo von 1,3 Milliarden US-Dollar erreicht.

Die einzige Einschränkung des grundsätzlich freien Kapital- und Gewinntransfers ins Ausland sieht die brasilianische Gesetzgebung nur im Fall von schwerwiegenden Zahlungsbilanzschwierigkeiten.

Die alte Regierung Brasiliens, governo FHC, ihrerseits hatte im Rahmen der GATS-2000-Verhandlungsrunde für den Bereich Investitionen im Bereich Dienstleistungen weitreichende Forderungen vorgelegt, die darauf abzielten, sämtliche öffentlichen Subventionen nach den WTO-Regeln der Inländergleichbehandlung auf den Prüfstand zu stellen. Dazu paßt ins Bild, wenn von der Regierung Cardoso auch der eigentlich in den Positivlisten des Dienstleistungsbereiches nicht aufgeführte Bereich der Erziehung und Bildung in Brasilien dem Kommerz freigegeben wurde. So wurde unter dem damaligen Erziehungsminsiter Paulo Renato Souza das Lei de Diretrizes e Bases (LDB) 1997 dahingehend geändert, dass Universitäten, dem höheren Bildungswesen ("ensino superior"), profitorientiertes Wirtschaften möglich werde. Die Öffnung dieses Marktes per Gesetz für ausländische Investoren und die fortschreitende Privatisierung des universitären Bildungswesens entsprechen langjährigen Forderung der Weltbank.

Paulo Renato Souza, der jetzt eine Investmentberatungsfirma für Kapitalanlagen in Erziehung und Bildung leitet, Paulo Renato Souza Consultores, hatte diese Kommerzialiserung und Weltmarktöffnung des höheren Bildungswesens durch die unter seiner Regie durchgeführte Änderung des Lei de Diretrizes e Bases damit begründet, dass "new opportunities have arisen for investment and development of trade in educational services." Der sogenannte "ensino superior" erzielt in Brasilien einen jährlichen Umsatz von fünfzehn Milliarden Reais und ist in den letzten neun Jahren um 157 Prozent gestiegen. Allein von 1995 bis Mitte 2003 stieg die Zahl privater Universitäten von 684 auf 1.762 an, mit zur Zeit 2,1 Millionen Studenten und Studentinnen. Schätzungen, so der Estado de São Paulo, zufolge könnte die Anzahl der an privaten Universitäten Studierenden bis zum Jahr 2008 auf 6,3 Millionen Studierende ansteigen. Allein JP Morgan Partners unterhält einen speziellen Fonds mit 570 Millionen US-Dollar für Kapitalanlagen in den Bildungssektoren Lateinamerikas in den kommenden drei Jahren. Selbst der nicht sonders marktkritische Estado de São Paulo konstatiert, dass "das Ziel in der Mehrzahl der Fälle ist, Institutionen aufzukaufen, Finanzmittel zu investieren, auf die Geschäftsführung Einfluß zu nehmen und hinterher die Fakultäten und Universitäten zu einem höheren Preis wieder zu verkaufen."

 

4.3 Brasilien, ausländische Direktinvestitionen in GATS-2000 und die Forderungen der Europäischen Kommission

 

Einig sind sich im Verhandlungsbereich der Dienstleistungen die brasilianische Seite und die EU-Kommission in ihrer Begriffsdefinition der Dienstleistungen, analog zu den vier Arten des GATS, wobei das Thema der Investitionen als Mode 3 die Behandlung ausländischer Niederlassungen von Dienstleistungsunternehmen umfaßt. Jedoch ungeachtet der vergleichsweise lockeren, bestehenden gesetzlichen Bestimmungen, die Brasilien ausländischen Investoren qua nationaler Gesetzgebung auferlegt, hat die Europäische Kommission als Verhandlungsführerin in ihren "GATS-Requests" im Rahmen von GATS 2000 von Brasilien weitreichende Liberalisierungsmaßnahmen für Investitionen im Bereich Dienstleistungen gefordert. Zwar hat die Europäische Kommission in dem Einleitungstext zu "GATS-2000 Request from the EC and its Member States (hereafter the EC) to Brazil" explizit beteuert,

"the EC is not seeking the dismantling of public services nor the privatisation of state owned companies",

denn die Bereitstellung öffentlicher Güter soll ja nicht abgeschafft werden, sondern eben kommerzialisiert und mithin auch ausländischen, und nicht zuletzt europäischen Konzernen geöffnet werden. Dafür würde das GATS mit seinen umfassendem Regelwerk zur Liberalisierung Sorge tragen. Und die Privatisierung staatlicher Unternehmen muss Brasilien nicht zuletzt auf Druck internationaler Gläubiger wie dem IWF und den sich aus der Schuldenfalle ergebenden Sachzwängen ohnehin weiterführen.

 

So muss der brasilianische Staat nach dem noch unter der alten Regierung FHC mit dem IWF abgeschlossenen Vertrag über neue Kreditlinien in Höhe von bis zu dreißig Milliarden US-Dollar, auch nach dem neuen Vertrag, den die Regierung Lula zu den gleichen Konditionen abgeschlossen hat, einen primären Haushaltsüberschuß von jährlich 4,25 Prozent erzielen: Das politikgestaltende Element der Regierung Lula besteht aus makroökonomischer Sicht in Haushaltseinsparung, d.h. weiterer Kürzung aller Staatsausgaben, zu einem hohen sozialen Preis, und in dem Zwang, Devisen über Exporte zu erwirtschaften, um letztlich die Zinsen auf die Auslandsschulden bedienen zu können sowie in der fortgesetzten Privatisierung staatlicher Unternehmen. – Es ist auch hier das Zusammenspiel der verschiedenen Institutionen und Vertragswerke internationaler Handelsregime, nach denen nicht in jedem Einzelvertrag und –abkommen das absolut Marktmögliche gefordert werden muss, - die Mischung birgt den explosivsten Stoff.

 

Die GATS-2000-Requests der Europäischen Kommission versuchen das Terrain an anderen spezifischen Punkten anzugehen: So will die Europäische Kommission die Beschneidung weitgehender Rechte der brasilianischen Zentralbank bei der Kontrolle und Verfahrensvorgabe für den grenzüberschreitenden Kapital- und Devisenverkehr durchsetzen: [Erster Satz stellt die brasilianische Verhandlungsposition dar, ab "EC Request" folgt die Forderung der Europäischen Kommission, Anm. A.]

"The Central Bank establishes procedures related to remittances and transfer of funds abroad. EC Request: Clarification of the horizontal commitment is requested. If the term "procedures" comprises any kind of restriction, it should be eliminated on the grounds that it was not scheduled."

 

Sollten sich die Finanzkrisen der "emerging countries" wiederholen, wären der brasilianischen Regierung per internationalem Vertrag die Hände gebunden, kurzfristige Steuerungs- und Einflussmöglichkeiten, die sich zur Zeit noch über die Hintertür der Regelungs- und Eingriffsmöglichkeit per brasilianischer Verfassung ergeben könnten, wären demnach ausgeschlossen: der Markt werde es schon richten.

 

Auch die brasilianische Gesetzeslage bezüglich der Niederlassung oder Gründung einer Firma nach dem Prinzip sole proprietor und des gemischten Partnerunternehmens will die Europäische Kommission abschaffen:

"Commercial Presence: The juridical person referred as "sole proprietorship" and partnership" in Article XXVIII of the GATS are not considered as such under Brazilian law. EC Request: The reference included in Article XXVIII is non-exhaustive (including...) and the elimination of sole-proprietorship and partnership does not clarify if Brazilian law limits the possibility of establishing juridical persons or if similar forms of commercial presence appear under Brazilian law under different statutes/denominations. Eliminate this restriction."

 

Genauso sind die brasilianischen Bestimmungen über einen Mindestanteil von heimischen Arbeitnehmern für Dienstleistungsniederlassungen ausländischer Unternehmen sowie Beschränkungen für nicht in Brasilien ansässigen Dienstleistungsanbietern

"Quantitative Restriction: In certain sectors, at least 2/3 of workforce must be Brazilian. EC Request: Eliminate this requirement in relation to intra-corporate transfers of the categories covered by Brazil's committments (i.e. technical specialists, highly qualified professionals, managers and directors), as well as where the service supplier has no commercial presence in Brazil."

der Europäischen Kommission ein Dorn im Auge. Und unter dem Bereich "Environmental Services – EC Request to Brazil" bedauert die EU-Kommission, dass

"Brazil has not undertaken commitments in environmental services. This request is based on the EC proposal for the classification of environmental services. While discussions on classification in this sector are still ongoing, the EC would like to invite Brazil to present its offer in accordance with this proposal, without prejudice to the outcome of the discussion on the classification of environmental services".

 

Ergebnisoffene Diskussionen stellen zwar grundsätzlich einen möglichen Kommunikationsgewinn dar, doch mag mit Recht bezweifelt werden, ob in Bereichen harten Verhandlungspokers internationaler Handelsregime eine Einladung zur formal meinungsoffenen Verhandlung als ernstgemeinter Versuch gewertet werden kann, in Gesprächen letztlich sich vom "zwanglosen Zwang des besseren Arguments" leiten und diesen auf die Entscheidungsfindung einwirken zu lassen. Und die EU-Kommission machte auch gleich im nächsten Absatz klar, dass sie den brasilianischen Trinkwassermarkt sehr gerne unter umfassenden Marktzugang und das Prinzip der Inländergleichbehandlung gestellt sehen möchte:

"A.WATER FOR HUMAN USE & WASTEWATER MANAGMENT

Water collection, purification and distribution services through mains, except steam and hot water

This sub-sector only concerns the distribution of water through mains’ (i.e. urban sewage systems). This excludes any cross-border transportation either by pipeline or by any other means of transport, nor does it imply access to water resources.

- Mode 3: Take commitments under MA and NT"

 

"MA" hieße hierbei umfassenden Marktzugang für europäische Konzerne, und "NT" meint die rechtlich identische Behandlung europäischer Wasserkonzerne mit inländischen brasilianischen Anbietern. Diese Forderung nach Liberalisierung des brasilianischen Trinkwassermarkts bedeutete die durchgängige Kommerzialisierung des Wassermarktes in ganz Brasilien, allen Bundesstaaten und Kommunen. Leistung, sprich: Wasser aus dem Wasserhahn, wird demnach nur gegen Bezahlung zu marktüblichen Konditionen gestattet sein.

Staatlich oder regional festgelegte Preisobergrenzen wären nach einem solchem auf "Inländergleichbehandlung" basierendem internationalen Vertrag ausgeschlossen: Der Angebotspreis richtet sich nach dem Markt, ärmere Bevölkerungsschichten liefen so schlichtweg Gefahr, den Wasserhahn abgedreht oder erst gar keinen Anschluß zu bekommen.

Neubau von Wasserleitungen in randständige oder einkommensschwächere Regionen oder Stadtteile würden nur erfolgen, so die Investitionen sich für die Unternehmen rechnen würden: Kommunen dürften keine Steuergelder als "Subventionen" solcher Art vergeben, es sei denn, die "Subventionen" stünden auch hierbei den europäischen Anbietern im gleichen Maße zur Verfügung. Verbilligter Wasserzugang ärmerer Bevölkerungsschichten in Form von Steuergeldern für Wasserleitungen wäre so qua internationalem Vertrag insofern als "diskriminierende Maßnahme" verboten, so sie nicht auch in gleichem Maße den europäischen Anbietern gewährt würde: Brasilianische Steuergelder in Form von "Subventionen" für eines der menschlichen Grundbedürfnisse: Zugang zu Wasser, müßten dann auch diesen transnationalen Konzernen gewährt werden.

Grundsätzlich gelte das Primat internationaler Handels- und Investitionsregime vor nationalem Recht und nationaler Kontrolle über die Bereitstellung öffentlicher Güter wie der Wasserversorgung. So urteilt Howard Mann vom International Institute for Sustainable Development (IISD) über die Auswirkungen von internationalen Handels- und Investitionsregimen auf den Wasserbereich:

"While a state will not lose jurisdiction in a strict legal sense over ist water due to trade or investment regimes, two things are clear: First, there is a significant risk that the existing agreements place very strong limits on how that jurisdiction can be exercised, and in whose interests it must be exercised. Second, ongoing negotiations on trade and investment, including in the services sector, may place even greater restrictions on the ability of governments to manage water resources and services. These agreements can therefor have significant impacts on local and regional water managment decisions. And on traditional users of water resources. [...]

[T]rade law generally does not, today, mandate the privatization of public services. (The role of international banks and aid is not discussed here.) However, if contracts and extant laws and regulations do not expressivly recognize and give priority to the rights and needs of local citizens, or are not sufficient to ensure long-term water quality managment, the existing international trade and investment rules will reinforce any weaknesses and imbalances by ensuring the investor’s rigths can be enforced under international law, and outside of national legal systems. This makes subsequent changes in contract terms and local or national laws more difficult, and potentially too costly to undertake. The net result can be a locking-in of a weak and ineffective local water management practices and regimes, at the expense of local users and to the benefit of foreign investors, traders or other outside stakeholders.""

 

Dennoch stellt die Europäische Kommission Forderungen an Entwicklungsländer wie Brasilien, ihren Trinkwassermarkt zu "liberalisieren" und unter internationale Handels- und Investitionsregime zu stellen, so dass sich nationale Parlamente in Europa, beispielsweise der Bundestag in seiner Entschließung 15/1317 vom 1.Juli 2003 in Forderungen N°19 und N°20, genötigt sahen, wiederholt auf die EU-Kommission dahingehend einwirken zu wollen, dass diese in ihren Forderungen an Entwicklungsländer auf die Liberalisierung der Wassermärkte verzichten möge. Auch die UNO hatte im Jahr 2001 den UN-Sonderberichterstatter zum Recht auf Wasser eingesetzt und im Dezember 2002 den "Allgemeinen Kommentar Nr. 15" zum Recht auf Wasser verabschiedet, nach welchem beispielsweise der Entzug des Wasserzugangs wegen unbezahlter Rechnungen nicht erfolgen dürfe.

Dennoch: die EU-Kommission bleibt dabei: Alles soll den freien Kräften des Marktes überlassen werden, und die Kommission weiß schon sehr genau, warum sie darauf vertraut: Der Bereich der Dienstleistungen stellt laut Zahlen der UNCTAD zum Ersten den "größten Sektor der Weltwirtschaft" dar, und ist zum Zweiten weltweit zu rund 90 Prozent auf den jeweiligen Binnenmarkt ausgerichtet, nur rund 10 Prozent werden grenzüberschreitend angeboten, woraus aus Sicht transnationaler Konzerne und den jeweiligen Regierungen die Notwendigkeit und das Interesse an grenzüberschreitenden Marktzugangsöffnungen über Freihandelsabkommen, bilaterale Investitionsabkommen und die WTO-Verhandlungen über GATS einsichtig wird. Der Dienstleistungsbereich macht in der Europäischen Union über 2/3 des Bruttoinlandsproduktes aus, und europäische Dienstleistungskonzerne sind weltweit führend, wie das EU-Außenhandelskommissariat DG Trade auf seiner Website stolz betont:

"The services sector is the single most important economic activity in the EU accounting for over two thirds of GDP and employment. The EU is home to some of the world's leading companies in many service sectors, such as the telecom, financial, business, and environmental services sectors."

 

So sei es aus Sicht der EU-Kommission nur recht und billig, zu den Positionen Brasiliens in den sektoralen Bereichen von Dienstleistungen im Rahmen von GATS-2000, in denen Brasilien auch nur geringste Einschränkungen und Auflagen in wohlverstandenem Eigeninteresse - wie Mindestauflagen für einheimische Quoten, den Schutz nationaler Dienstleistungen und Güter öffentlicher Daseinsvorsorge vor der wettbewerbskräftigen Konkurrenz aus den Industriestaaten, oder generell nationalstaatliche Maßnahmen im Rahmen nationaler oder regionaler Entwicklungsprogramme zu je besonderen Bedingungen für einheimische Anbieter einzusetzen – zumindest zum Teil beizubehalten gedenkt, wenn die Europäische Kommission als Vertreterin Europas in GATS-2000 meist nur lapidar fordert:

"Remove."

 

weiter zum Kapitel 5:

Durchsetzung internationaler Handelsregime am Beispiel der Freihandelsverhandlungen zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur

 

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