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DIE VERÄNDERUNGEN IM PATENTSYSTEM

VON DER PARISER VERBANDSÜBEREINKUNFT

ZUM TRIPS-ABKOMMEN


Die Position Brasiliens


Studie verfaßt von Cícero Gontijo

Deutsch von Andrea Carina Ceschi
[auf deutsch als pdf]
[versão em português]
[english version]

Studie erstellt im Auftrag

der


Fundação Heinrich Böll, Rio de Janeiro,

und des


FDCL - Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika, Berlin

Mai 2005

 

Diese Studie wurde mit finanzieller Unterstützung der Europäischen Gemeinschaft ermöglicht. Die darin vertretenen Standpunkte geben die Meinung des Autors wieder und stellen somit in keiner Weise die Meinung der Europäischen Gemeinschaft dar.

FDCL

Zu weiteren Informationen zum Themenfeld Immaterialgüterrecht, Patente und Geistiges Eigentum beachten Sie auch unseren umfassenden Text-Reader zum Thema  "PATENTED NEW WORLD? - Geistiges Eigentum versus Entwicklung und Menschenrechte im Nord-Süd-Konflikt", der anläßlich unserer gleichnamigen Konferenz in Berlin im Juni 2005 veröffentlicht wurde und über unser Archiv zu erwerben ist. 

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Inhalt

1. FREIHANDEL versus MONOPOLE

1.1. Die Pariser Verbandsübereinkunft und die eigenständige Gesetzgebung der Mitgliedsstaaten
1.2. Pflicht zur Offenlegung und zur lokalen Ausübung im Ursprung
1.3. Starke und schwache staatliche Kontrollinstrumente: Verfall bzw. Zwangslizenz
1.4. Das TRIPS-Abkommen: Starre Monopole in den Zeiten des Freihandels
1.5. Abschaffung des Verfalls und Einführung der schwachen Zwangslizenz

2. KONSEQUENZEN VON TRIPS FÜR ENTWICKLUNGSLÄNDER

2.1 Patente als Reservierung von Märkten zugunsten der Inhaber
2.2 Preise für nicht substituierbare Produkte
2.3 Ablehnung des Patentsystems im Zusammenhang mit der AIDS-Problematik

3. DIE POSITION BRASILIENS

3.1 Das Recht des Staates auf lokale Ausübung
3.2 TRIPS PLUS verhindern-Aktiv in der WTO für TRIPS-Modifizierung
3.3 Brasiliens WIPO-Initiative

4. SCHLUSSFOLGERUNGEN

 

 

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1. FREIHANDEL VERSUS MONOPOLE
 
Anfang des 19. Jh. gab es in Europa große Auseinandersetzungen zwischen den Monopolisten, die dem Patentsystem positiv gegenüberstanden, und den Freihandelsbefürwortern. Der Konflikt ging so weit, dass die Schweiz und die Niederlande ihre gewerblichen Schutzrechte außer Kraft setzten. 1869 nahm auch Deutschland sein Gesetz von 1817 zurück und führte es erst 1910 wieder ein. Es war offensichtlich, dass der auf Monopolen beruhende Schutz von Erfindungen nur unter großen Schwierigkeiten mit dem Freihandel zu vereinbaren war. Es war ein Konflikt zwischen antagonistischen, weil auseinanderstrebenden, Positionen.
Heute, zwei Jahrhunderte später, erlebt die Welt die bisher stärkste Freihandelstendenz, ausgelöst von der Revolution in den Informations- und Kommunikationstechnologien und vom Druck der mächtigen Staaten, insbesondere den USA, zusätzlich verstärkt. Die übrigen Länder sehen sich genötigt, ihre Grenzen zu öffnen, Zölle zu senken, die Diskussion über den Zugang zu ihren Märkten zu akzeptieren (einschließlich öffentlicher Ausschreibungen und unkontrollierter Finanztransfers) und sie generell für ausländische Konkurrenten zu öffnen. Diese übermächtige Bewegung macht die auf Importsubstitution basierenden Wachstumsprojekte obsolet und ist eine eindeutige Beschneidung der einzelstaatlichen Souveränität.
Man hätte vielleicht erwartet, dass die Globalisierung mit einem starken Widerstand gegen das gewerbliche Schutzrecht einhergehen würde und die Prinzipien und Konzepte über den Schutz für Erfindungen (vor allem in Bezug auf ausländische Erfindungen, die in Drittländern Marktmonopole sichern) geschwächt würden. Und man könnte annehmen, dass das Patentsystem unter Druck geriete; dass die Eigentumstheorie, die ihr zugrunde liegt, von Vergütungstheorien abgelöst würden, die Vorteile für den Erfinder vorsehen; und dass die Vergabe von Monopolen gänzlich ausgeschlossen wäre.
Doch nichts davon trifft zu. Nicht nur, dass man so tat, als bestünde keinerlei Widerspruch zwischen beiden Vorschlägen - sie wurden sogar zur selben Zeit auf dem selben Forum (GATT, später in WTO umgewandelt) vorgestellt und angenommen. Diese verblüffende Unstimmigkeit haben wir einem Artikel von März 1995 kommentiert:

"Es sei daran erinnert, dass das TRIPS-Abkommen den anderen WTO-Abkommen vollkommen widerspricht. Während die übrigen Abkommen - ganz im Sinne der Handelsliberalisierung der Industrieländer, die Liberalisierung von Handelsbarrieren, Monopolabbau und die Abschaffung des Subventionssystems enthalten, erscheint das TRIPS-Abkommen als ein Versuch, Normen zu verschärfen, Standards durchzusetzen und Monopole zu festigen. Das wirkt sich auf den wertvollsten Wirtschaftsakteur an der Schwelle zum neuen Jahrtausend aus: dem menschlichen Wissen. Während man einerseits Märkte öffnet, wird andererseits das Produktionssystem für neue Technologien konsolidiert. Aber dieses Produktionssystem konzentriert sich nicht zufällig in denselben Ländern, die einen besseren Schutz für die Inhaber von Urheberrechten verlangen." (1.Gontijo, Cícero-"O acordo sobre propriedade intelectual contido no GATT e suas implicações para o Brasil" in Revista de Informação Legislativa, Senado Federal, Januar März 1995, S. 181).

Jetzt wird mit der "Market-Failure"-Theorie (Theorie des Marktversagens) die theoretische Begründung nachgeliefert, die sich bemüht, die durch Patente verursachten Monopole als Ausnahme der Marktwirtschaft darzustellen. Wenn man davon ausgeht, dass die Offenlegung einer Erfindung allen Mitbewerbern die gleichen Bedingungen einräumt und damit dem Erfinder die Gelegenheit genommen wird, seine Kosten einzuspielen, könnten befristete Nutzungsmonopole das Problem beseitigen. Diese Meinung vertritt Wendy J. Gordon in "Fair Use as Market Failure: A Structural and Economic Analysis of the Betamax Case and Its Predecessors", 82 Colum. L. Rev. 1600 (1982) und J.H. Reichman, Charting the Collapse of the Patent-Copyright Dichotomy: Premises for a restructured International Intellectual Property System, 13 Cardozo Arts & Ent. L.J. 475 (1995).
Dieser Ansatz ist interessant, berücksichtigt aber nicht, dass es auch andere, weniger starre Modelle für die Vergütung von Erfindern gibt.


Der Staat kann auf zwei Weisen aktiv werden, um Erfindungen zu fördern:
a) Durch die Vergesellschaftung der Kosten und Risiken von Erfindungen, indem sich der Staat an der finanziellen Vergütung des Urhebers mitbeteiligt. In diesem Fall wird vorausgesetzt, dass der Erfinder in die neue Erfindung investiert. Das brasilianische Gesetz von 1830 sah diese Art der Vergütung vor.
b) Durch die private Aneignung der Ergebnisse vermittels der juristischen Konstruktion eines künstlichen Auschließlichkeitsanspruchs (z.B. Patente). Es werden ausschließliche (übertragbare) Nutzungs- und Ausübungsrechte geschaffen.
Es gibt eine dritte Variante, die als Nachfolgemodell für Patente diskutiert wird: Es handelt sich darum, dem Erfinder ein nicht ausschließliches Recht einzuräumen, wonach er zwar die Nutzung nicht untersagen kann, jedoch das Recht hat, eine Vergütung vom Nutzer der offen gelegten Informationen zu erhalten. Hierunter fallen auch die "Erfinderzertifikate", die in der ehemaligen Sowjetunion und in Mexiko für industriell genutzte Erfindungen erteilt wurden, und die "Sortenschutzzertifikate", die das Internationale Übereinkommen zum Schutze von Pflanzenzüchtung - UPOV - für Erfindungen im Bereich von Saatgut und Kulturen vergibt.
Diese Form der Erfinderentschädigung, von Carlos Correa als "zahlendes Öffentliches Eigentum" bezeichnet, verdient genauere Betrachtung. Denn sie ist eine interessante Alternative zu Patenten, zumindest in einigen Wirtschaftssektoren und in bestimmten Ländern. (2.Correa, Carlos - in "Intellectual Property Rights, the WTO and Developing Countries", Malaysia, TWN, 2000, S. 248/251).


1.1 Die Pariser Verbandsübereinkunft und die eigenständige Gesetzgebung der Mitgliedsstaaten
Mit dem Ziel gegründet, die Gesetzgebung der verschiedenen Länder über geistiges Eigentum so weit wie möglich zu harmonisieren, gehört die Pariser Verbandsübereinkunft (PVÜ) bisher zu den erfolgreichsten Abkommen. Sowohl wegen der bedeutenden Anzahl von Assoziierten, wie auch wegen der langen Zeit, in der sie ohne wesentliche Änderungen bestand. Mehr als 150 Länder haben die Pariser Verbandsübereinkunft angenommen, die 1883 mit der Unterzeichnung durch elf Länder, zu denen auch Brasilien zählte, ihren Anfang nahm.
Die wichtigste Ursache für diesen Erfolg liegt darin, dass es nicht zu den Zielen der PVÜ gehörte, nationale Gesetzgebungen zu vereinheitlichen, auch war die Inländerbehandlung nicht an Reziprozität gebunden. Im Gegenteil, die PVÜ sah die weitgehende legislative Autonomie aller Mitgliedsländer vor und verlangte nur die Gleichbehandlung von Inländern und Ausländern (Prinzip der Inländerbehandlung). Ihr zweites Grundprinzip war das Prioritätsprinzip. Es ist als Reaktion auf eine eher praktische als theoretische Frage zu verstehen. Um eine unberechtigte Aneignung von Informationen aus Patentanträgen sowie Konflikte, die sich ergeben, wenn es zwei oder mehr Erfindungen zur selben Sache gibt, zu verhindern, entschied man, dem Antragsteller für ein Patent in einem Mitgliedsland eine Prioritätsfrist (derzeit 12 Monate) für die Hinterlegung des Antrags in jedem anderen Mitgliedsland einzuräumen. Während dieser Frist verliert der Antrag seine Gültigkeit weder durch einen anderen Antrag noch durch Offenlegung oder irgendeine Form der Ausübung.
So etablierte sich das Prinzip der Unabhängigkeit von Patenten (obwohl der Originaltext es nicht erwähnt), wonach die Entscheidungen in einem Land zu einem Antrag oder Patent keinerlei Auswirkung auf die Behandlung in anderen Mitgliedsländern hat.
Diese im Jahr 1883 vereinbarten Grundsätze blieben über hundert Jahre unverändert.


1.2 Pflicht zur Offenlegung und zur lokalen Ausübung im Ursprung
Der Vertragstext der Pariser Verbandsübereinkunft bestimmte die vollständige Offenlegungspflicht der Erfindung durch die Patentinhaber. Außerdem wurde aus der Erfahrung der wichtigsten Länder heraus auch die effektive Ausübung von Patenten festgelegt. Es sei daran erinnert, dass das englische Monopolgesetz Patente nur an Erfinder vergab, die ihre Erfindung im Land herstellten.
Die Frage der effektiven Ausübung hatte schon auf der Wiener Konferenz (1875) im Mittelpunkt der Diskussionen zwischen Österreich und den Vereinigten Staaten gestanden. Die USA interpretierten auch die Einfuhr von patentierten Produkten als effektive Ausübung.
Auf der Pariser Konferenz (1878), die den Text der PVÜ erstellte, wurde festgelegt, dass ein Patent nach einer gewissen Frist widerrufen werden konnte, wenn die Herstellung nicht im Land erfolgte.
Wegen der im ursprünglichen Artikel 5 festgelegten Pflicht zur lokalen Ausübung gehörten Länder wie die Vereinigten Staaten, England, Deutschland, Kanada, Ungarn und Österreich nicht zu den Erstunterzeichnern der Pariser Verbandsübereinkunft. Artikel 5: "Die durch den Patentinhaber bewirkte Einfuhr von Gegenständen, die in dem einen oder anderen Verbandsland hergestellt worden sind, in das Land, in dem das Patent erteilt worden ist, hat den Verfall des Patents nicht zur Folge. Dessen ungeachtet bleibt der Patentinhaber verpflichtet, sein Patent gemäß der Gesetze des Landes, in das er die patentierten Gegenstände einführt, zu nutzen."
Diese Definition, die den Mitgliedsstaaten das Recht einräumt, die lokale Ausübung von patentierten Produkten und Verfahren zu verlangen, entspricht der historischen Erfahrung der großen Staaten. Die lokale Ausübung war in allen heutigen Industrieländern gesetzlich vorgeschrieben und galt in der Anfangsphase der Industrialisierung als Hauptzweck des Patentsystems. Staaten erteilten Patente, um ihre natürlichen Rohstoffe auszubeuten und die Zahl von Technikexperten und Facharbeitern zu erhöhen; man wollte neue Industriezweige aufbauen oder neue Methoden für bereits bestehende einführen. Das 1886 in den USA eingeführte Gesetz bestimmte, dass Patente von Ausländern im Inland ausgeübt werden mussten. Mit der wachsenden Integration in den Welthandel schränkten die betreffenden Staaten die Anwendung dieser Verpflichtung ein, obwohl die meisten von ihnen (mit Ausnahme der USA) gesetzliche Bestimmungen über die lokale Ausübung in der einen oder anderen Form beibehielt.
Die Pflicht zur lokalen Ausübung wurde von der Pariser Verbandsübereinkunft in ihren verschiedenen Fassungen beibehalten. Doch der Wortlaut wurde abgemildert, so dass die fehlende lokale Ausübung zu einem sanktionierbaren Verstoß des Inhabers wurde.
Bis heute steht diese Frage im Mittelpunkt der Polemik um die Patentinhaberpflichten.


1.3 Starke und schwache staatliche Kontrollinstrumente: Verfall bzw. Zwangslizenz
Das erste gesetzliche Mittel, das im vergangenen Jahrhundert eingeführt wurde, um die lokale Ausübung im Bereich der gewerblichen Schutzrechte durchzusetzen war der drohende Verfall des Patents. Der Verfall führt das Patent in öffentliches Eigentum über, was jede natürliche Person oder Gesellschaft berechtigt, den Gegenstand der Erfindung auszuüben. In diesem Fall löst sich das Monopol auf und alle Produzenten können zu gleichen Bedingungen auf dem Markt konkurrieren. Es tritt die gleiche Situation ein wie in einem Land, für das der Erfinder nach der Heimeintragung keine Patentierung beantragt.
Schon vor der Pariser Verbandsübereinkunft sahen das französische Recht sowie andere Länder (u.a. Mexiko und Tunesien) der Verfall infolge mangelnder lokaler Ausübung vor. Die PVÜ bestimmte, dass die Einfuhr von patentierten Erzeugnissen aus Nichtmitgliedsländern nicht zum Verlust dieses Rechts führen sollte. Gleichzeitig wurde die Pflicht zur lokalen Ausübung festgelegt.
Der Verfall ist ein wirkungsvolles Instrument, weil es automatisch nach dem Fristablauf der lokalen Ausübung wirksam wird, sobald die unterlassene lokale Ausübung festgestellt worden ist. Darum ersetzten es die verschiedenen Fassungen der PVÜ nach und nach durch die Zwangslizenz.
Die Zwangslizenz gehört zu den Instrumenten, mit denen der Staat (vorausgesetzt, dass es im öffentlichen Interesse liegt) in ein Patentmonopol eingreifen kann. Es ist weniger drastisch als der Widerruf eines Patents aufgrund des Verfalls und erlaubt Dritten - unter bestimmten Voraussetzungen - die patentierte Erfindung gegen Zahlung einer staatlich festgesetzten Vergütung zu nutzen. Aus juristischer Sicht wird das Patentmonopol durch das Recht auf eine finanzielle Nutzungsvergütung für die Nutzung der Erfindung ersetzt.
Die Zwangslizenz entstand auf den Wiener Kongress von 1873 "für Fälle, in denen es im öffentlichen Interesse liegt". 1877 wurde sie in die deutsche Gesetzgebung übernommen. Bis 1925, als sie wieder in der Haager Version der Pariser Verbandsübereinkunft vorkam, wurde sie nicht mehr erwähnt. Mit der Haager Fassung sollten Verstöße, "die aus der Ausübung des ausschließlichen Rechts aus Patenten entstehen, z.B. der lokalen Ausübungspflicht" Verhindert werden. Danach änderten fast alle Staaten ihre Gesetzgebung um sie zu übernehmen. Mit der Zeit ersetzte sie als weniger drastitische Maßnahme den Widerruf aufgrund von Verfall.
Im Unterschied zum Verfall ist die praktische Anwendung der Zwangslizenz problematisch. Es schwierig, ein anderes Unternehmen aus dem betreffenden Wirtschaftssektor zu finden, das in der Lage und willig ist, das Erzeugnis oder Verfahren mit der offiziellen Genehmigung aber ohne Hilfe des Inhaberunternehmens zu produzieren.
Die Stockholmer Fassung der Pariser Verbandsübereinkunft (1967) machte die Anwendung noch schwieriger: Die Zwangslizenz musste nun nicht-ausschließlich sein; darüber hinaus war sie zurückzuweisen, wenn der Patentinhaber berechtigte Gründe für seine Untätigkeit nachweisen konnte. Damit entfiel die automatische Anwendung des Instruments und das Desinteresse von möglichen Interessenten nahm zu.
Wenn ein Privatunternehmer nicht die Garantie hat, dass er wenigstens für eine gewisse Frist Ausschließlichkeit für seinen Markt erhält, wird er es nur schwerlich wagen, in eine Fabrik für die Zwangslizenz zu investieren. Ein Herstellungsprojekt bedeutet Investitionen, Bauarbeiten, Ausstattungskosten, Personalkosten - alles auf der Basis des zu bedienenden Marktes. Ist die Lizenz nicht ausschließlich, kann der Patentinhaber sich jederzeit dazu entschließen, lokal zu produzieren oder eine freiwillige Lizenz zu erteilen, und dann müsste der Inhaber der Zwangslizenz mit anderen Produzenten auf dem Markt konkurrieren. Da der Patentinhaber auch auf das kommerzielle Gewicht seiner Marke setzen kann, wird klar, dass die nicht-ausschließliche Zwangslizenz sehr selten vergeben werden kann. Unter diesen Bedingungen erweist sich die Zwangslizenz als absolut unwirksames Mittel, um den Missbrauch durch Patentinhaber, insbesondere durch unterlassene Ausübung zu verhindern. Sie wird zur stumpfen Waffe, mit dem zusätzlichen Nachteil, dass sich die Patentinhaber dessen bewusst sind.
Nachdem die Zwangslizenz in ein kompliziertes und nicht praktikables Instrument verwandelt worden war, bestand der nächste Schritt darin, dem Instrument des Verfalls die Wirkung zu nehmen.
Die Lösung lieferte der Text der Stockholmer Änderung, in dem die Anwendung des Verfalls an den vorigen Gebrauch der Zwangslizenz, zu den Bedingungen von Artikel 5.3, gekoppelt wurde: "Vor Ablauf von zwei Jahren seit Gewährung der ersten Zwangslizenz kann kein Verfahren auf Verfall oder Zurücknahme eines Patents eingeleitet werden". Die Vorbedingung der extrem selten angewandten Zwangslizenz bedeutet, dass das sehr starke Instruments "Verfall" eigentlich nicht praktikabel ist.


1.4 TRIPS-Abkommen: Starre Monopole in den Zeiten des Freihandels
Seit 1979 bekundeten die Vereinigten Staaten ihre Unzufriedenheit mit dem ihrer Ansicht nach ungenügenden Schutz des geistigen Eigentums. Die USA versuchten, die Diskussionen in die Zuständigkeit des GATT (Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen) zu überstellen, um die Schutzmechanismen für die Rechte von Patentinhabern zu stärken, aber mehrere Länder widersetzten sich. Die Frage wurde erst 1989 in die Verhandlungen aufgenommen, nachdem Brasilien und Indien dem zustimmten. Beide Länder bestanden darauf, dass die WIPO (die Verwalterin der Pariser Verbandsübereinkunft) anstelle des GATT das angemessene Forum für die Diskussion des geistigen Eigentums sei.
Der im GATT verhandelte US-Vorschlag umfasste drei Punkte: die Definition von Mindestnormen (Art. 9 - 40), die Einführung von Durchsetzungsmechanismen (Art. 41 - 61) für die Mitgliedsstaaten (Verwaltungs- und Rechtsverfahren) und die Bildung eines starken internationalen Streitschlichtungssystems (Art. 63 und 64). Das alles widersprach den PVÜ-Bestimmungen. Statt der früheren zwei Grundprinzipien gab es eine Vielzahl von Konzepten und Forderungen, die als eine Art Mustergesetz von allen nationalen Rechtssystemen übernommen werden sollten. Auf der anderen Seite standen strikte Bestimmungen für die staatlichen Verwaltungsapparate und Gesetze in Bezug auf die Anwendung der neuen Normen über Geistiges Eigentum. Und schließlich sollte ein weit reichendes und praktisches System zur Beilegung von Streitigkeiten erfolgen, um zu verhindern, dass die Auseinandersetzungen über gewerbliche Schutzrechte wegen der staatlichen Souveranität der Mitglieder ungelöst blieben..
Der Widerstand war wie vorhersehbar sehr stark, insbesondere von Seiten der Entwicklungsländer. Für die bestehenden Gesetze beinhaltete das Projekt große Veränderungen, die alle auf einen größeren Schutz von Patenten und Marken zielten.
Da es allgemein bekannt war, dass viele Staaten, besonders Entwicklungsländer, nicht an einem neuen Abkommen über Geistiges Eigentum interessiert waren, war viel Überzeugungsarbeit nötig:

"Um die Verhandlungen in allen Bereichen der Uruguay-Runde voran zu bringen, präsentierte der GATT-Generaldirektor den Dunkel-Text als eine Gesamterklärung über den Verhandlungsstand. Entschlossen, zu verhindern, dass die Mitglieder einzelne Teile abtrennten um einzeln darüber abzustimmen, präsentierte der Generaldirektor den Text als ein "Alles-oder-Nichts-Dokument". Diese Forderung erwies sich als nützlich für das TRIPS-Abkommen, denn die Vereinigten Staaten und andere Industrieländer konnten die von den Entwicklungsländern in Bereichen wie Landwirtschaft und Textilien erwünschten Zugeständnisse benutzen, um TRIPS durchzusetzen" (3. Michael Doane, vom Georgetown University Law Center, Trips And International Intellectual Property Protection In An Age Of Advancing Technology" - American University Journal of International Law and Policy 9 (2), S. 476).


1.5 Die Abschaffung des Verfalls und Einführung der schwachen Zwangslizenz
Der TRIPS-Text erwähnt "Verfall" ein einziges Mal: an der Stelle, wo definiert wird, dass jede Entscheidung über den Widerruf oder Verfall von Patenten gerichtlich überprüfbar sein muss (Art. 32).
Der Ausdruck "Zwangslizenz" kommt im Text gar nicht vor, sondern wird euphemistisch durch "die sonstige Benutzung des Gegenstands eines Patents ohne die Zustimmung des Rechtsinhabers" ersetzt (Art. 31). Über die schon erwähnten Vorbehalte der Stockholmer Fassung hinaus (Nicht-Ausschließlichkeit und berechtigte Begründung), schwächt das Abkommen das Instrument, mit dem Missbräuche bekämpft werden, durch eine Reihe neuer Bedingungen: Der vorgesehene Nutzer muss die Vorab-Zustimmung des Inhabers zu geschäftsüblichen Bedingungen einholen; die vorwiegende Ausrichtung der Benutzung für die Binnenmarktversorgung; Lizenzentzug wenn Umstände, die zur Erteilung führten, nicht mehr vorliegen; und eine angemessene Vergütung des Inhabers.
Das Recht von Staaten, die lokale Ausübung der Produkte und Verfahren, für die sie Patente erteilt haben, einzufordern wurde nicht eindeutig behandelt. Artikel 27.1 enthält eine unklar verfasste Bestimmung, die diese Möglichkeit auszuschließen scheint:

"Vorbehaltlich des Artikels 65 Absatz 4, des Artikels 70 Absatz 8 und des Absatzes 3 dieses Artikels sind Patente erhältlich und können Patentrechte ausgeübt werden, ohne dass hinsichtlich des Ortes der Erfindung, des Gebiets der Technik oder danach, ob die Erzeugnisse eingeführt oder im Land hergestellt werden, diskriminiert werden darf."

Man kann beim ersten Lesen den Eindruck gewinnen, dass die Pflicht zur lokalen Ausübung verboten wird. Diese Auffassung wird von einigen Autoren vertreten. So schreibt z.B. Carlos Correa:
"Das Zwangslizenzvergabesystem vieler Staaten könnte auch durch den Verbot der Herkunftsdiskriminierung (lokale Produktion oder Einfuhr) berührt werden. Die Befürworter des kommentierten Textes wollen die Patentausübungspflicht, eine der traditionellen Säulen im Patentsystem, aushöhlen." (10. Correa, Carlos - "Acuerdo Trips" Ed. Ciudad Argentina, Bs. Aires, 1966, S. 136.
Es gibt jedoch eine auch eine andere Lesart, wonach sich Art. 27.1 auf ein anderes Problem bezieht. Für Figueiro Barbosa:
"sieht TRIPS sicherlich die Zwangslizenz infolge ungenügender oder nicht vorhandener Tätigkeit gemäß den Prinzipien und Einschränkungen von Art. 5A der Pariser Verbandsübereinkunft vor, auch wenn er im Sinne von "PARIS PLUS" klarstellt, dass die Lizenz‚ ‚vorwiegend für die Versorgung des Binnenmarktes' (Art. 31 f) gedacht ist. (4. Barbosa, A.L.F, "Sobre a propriedade do trabalho intelectual", Ed. UFRJ, 1999, S.189).
Im Hinblick auf Art. 27.1 stellt er fest, dass der Text darauf abzielte, eine Forderung aus dem Vorbereitungsdokument der Europäischen Union für die TRIPS-Verhandlungen zu erfüllen. Laut des EU-Textes enhielten US-Gesetze Bestimmungen, die Ausländer in Rechtsstreitigkeiten um die Fälschung von importierten Produkten diskriminieren. Das EU-Dokument wandte sich auch gegen die Vorzugsbehandlung von Aktivitäten in den USA, wo dem "Ersterfinder" das Patent zum Nachteil des "Erstanmelders" (nach europäischem Recht) erteilt wird und zudem die erfinderische Tätigkeit nur für das US-Territorium anerkannt wird. Dazu Figueiro Barbosa:

"Ein interessanter Passus des Dokuments, der sich nur mit der Diskriminierung von eingeführten Gütern befasst, unterscheidet zwei wichtige Themen: (a) diskriminierende Verfahren und (b) Präferenzbehandlung für die Aktivitäten auf Staatsgebiet. Zweifelsohne richteten sich die Klagen bezüglich dieser Themen hauptsächlich gegen die USA. (...)Das Ergebnis war nicht überraschend und der Artikel 27 von TRIPS schließt, wie bereits oft zitiert wurde, mit: "können Patentrechte ausgeübt werden, ohne dass hinsichtlich des Ortes der Erfindung, (...) oder danach, ob die Erzeugnisse eingeführt oder im Land hergestellt werden, diskriminiert werden darf" (12. Barbosa, A. L.F, op.cit., S. 184).

Man kann also, wie die zitierten Experten nachweisen, zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen.
Es sei angefügt, dass das TRIPS-Abkommen das Thema anscheinend auch an anderer Stelle behandelt: ohne die PVÜ-Texte zu wiederholen, besagt Art. 2.1, dass:
"In Bezug auf die Teile II, III und IV dieses Übereinkommens befolgen die Mitglieder die Artikel 1 bis 12 sowie Artikel 19 der Pariser Verbandsübereinkunft (1967)." Daraus folgt, dass die Frage an die PVÜ in der Stockholmer Fassung (1967) rückverwiesen wird:
"Jedem der Verbandsländer steht es frei, gesetzliche Maßnahmen zu treffen, welche die Gewährung von Zwangslizenzen vorsehen, um Missbräuche zu verhüten, die sich aus der Ausübung des durch das Patent verliehenen ausschließlichen Rechts ergeben könnten, zum Beispiel infolge unterlassener Ausübung."
Auf der Grundlage dieses Arguments bestätigten Vertreter des brasilianischen Außenministeriums dem Senat im Verlauf der Parlamentsdebatte über die Zustimmung zu TRIPS, dass die unterlassene Ausübung von Patenten weiterhin ein Missbrauch durch den Inhaber bleiben würde. Daraufhin wurde diese Sichtweise in § 68, Art. 1,I des Patentgesetzes beibehalten.

 

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