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Cícero Gontijo: DIE VERÄNDERUNGEN IM PATENTSYSTEM (Kapitel 2), Mai 2005

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2. KONSEQUENZEN VON TRIPS FÜR DIE ENTWICKLUNGSLÄNDER 

Die Harmonisierung der nationalen Gesetze, die sich aus dem Beitritt zum TRIPS-Abkommen ergibt, ignoriert die relevanten Unterschiede zwischen Entwicklungsländern und entwickelten Ländern.
Das beschreibt schon Edith Penrose in ihrem klassischen Werk:

"Für die nicht industrialisierten Staaten ergibt sich aus der Erteilung von Patenten für Erfindungen, die bereits im Ausland patentiert sind und dort ausgeübt werden, keinerlei Vorteil. Der einzig vorstellbare wirtschaftliche Vorteil liegt in der Möglichkeit, die Einfuhr von ausländischer Technologie anzuregen. (5. Penrose, Edith, in "La economia del sistema internacional de patentes" 1. span. Ausgabe, Siglo XXI editores, Mexiko, 1974, S.200).

Die Zahl von technologisch gut ausgestatteten Unternehmen ist minimal, und die wenigen Forschungs- und Entwicklungszentren in Entwicklungsländern befassen sich vorrangig mit Technologieanpassungsprojekten. Es gibt also nur wenige Erfindungen. Erwiesenermaßen werden 90% aller Patente von Personen oder Unternehmen mit Sitz in den entwickelten Ländern gehalten. Im Falle Brasiliens gehören nur 5% der angemeldeten Patente brasilianischen Inhabern (10%, wenn man Gebrauchsmuster einbezieht). Diese Zahlen veranschaulichen, dass die nationalen Systeme der Entwicklungsländer auf die Rechte von ausländischen Unternehmen und Personen ausgerichtet sind. Im Unterschied dazu sind in den Industrieländern in- und ausländische Unternehmen gleichmäßiger verteilt.
Daraus kann man schließen, dass die Vereinheitlichung der Rechte über Geistiges Eigentum auf hohem Niveau den Unternehmen in Entwicklungsländern keine Vorteile bringt. Im Gegenteil, sie fördert Erfindungen von Unternehmen aus Industrieländern und zementiert die Tendenz des wachsenden technologischen Abstands.
Der Schutz des geistigen Eigentums ist in den Entwicklungsländern nur dann sinnvoll, wenn die patentierten Erfindungen in allen Einzelheiten voll offengelegt werden und man den Entwicklungsländern erlaubt, von den Inhabern die lokale Ausübung dieser Erfindungen zu verlangen, so dass es nicht nur eine bessere Übernahme von fortschrittlicher Technologie gibt, sondern auch das menschliche und Rohstoffpotenzial der Entwicklungsländer genutzt wird.


2.1 Patente zur Reservierung von Märkten zugunsten der Patentinhaber

Ohne eine detaillierte Offenlegung der patentierten Technologie und einer lokalen Ausübung von Erfindungen offenbart sich der perverse Aspekt des Schutzes von geistigem Eigentum als simple Marktreservierung . Das System erzeugt nicht nur eine künstliche Preiserhöhung für patentierte Produkte, sondern es verhindert auch den Aufschwung von lokalen Unternehmen.
Die Geheimhaltung von Erfindungen wäre für Entwicklungsländer weniger schädlich als die gegenwärtige Situation, in der Erfinder aufgrund einer Monopolstellung den Markt beherrschen können ohne ihre Erfindungen lokal auszuüben. Gäbe es die Geheimhaltung, könnte wenigstens nach dem Prinzip von "Versuch und Irrtum" nach einer technischen Lösung gesucht werden. Die Monopole des Patentsystems schrecken von solchen Versuchen ab und verhindern sie. "A monopoly granted either to an individual or to a trading company has the same effect as a secret in trade or manufactures". (6. Adam Smith, An Inquiry Into The Nature And Causes Of The Wealth Of Nations)
Die Marktreservierung wirkt sich nicht nur auf die Entwicklung negativ aus, sie führt auch zu Preissteigerungen. Da in den Entwicklungsländern weniger Wettbewerber auftreten, sind die Preise von patentierten Produkte (die wenige Wettbewerber haben) erhöht:

"Bei Patenten wird nicht die Freiheit reduziert (Eigenschaft des Wirtschaftsmonopols), sondern es gibt eine wirtschaftliche Vormachtsstellung, die Preiserhöhungen zulässt." (7. Posner, Richard, in Antitrust Law, 2. Aufl.. S.16)

Dass der Schutz von geistigem Eigentum die Entwicklungsländer benachteiligt, belegen Studien von internationalen Organisationen: "Im Prinzip erzeugen IPRs (intellectual property rights) Marktmacht, indem sie den statischen Wettbewerb begrenzen um Investitionen in den dynamischen Wettbewerb zu fördern. In wettbewerbsstarken Produkt- und Innovationsmärkten schafft die Vergabe von IPRs selten genügend Marktmacht um zu einem signifikant monopolistischen Verhalten zu führen. Doch unter gewissen Umständen könnte ein Patent-Portfolio zu einer beträchtlichen Marktmacht führen, wenn horizontale Wettbewerber Abkommen über Patentkonzentration schließen. In Ländern ohne eine starke Wettbewerbs- und Innovationstradition könnte die Stärkung von IPRs eine beträchtliche Steigerung der Marktmacht bewirken und zu ihrer Ausübung einladen." (8. Keith E. Maskus, Mohamed Lahonel in "Competition Policy on IPRs in Developing Countries", gefunden in: www.worldbank.org/research/abcde/washington-12/pdf-files/maskus.pdf).
Tendenziell bewirken Monopole wie die von geistigem und gewerblichen Schutz Preisanstiege, was sich jedoch in den Entwicklungsländern, wo es weniger Wettbewerber gibt, verschärft. Auch neigen die Inhaber dazu, ähnliche Preise auf allen ihren Märkten durchsetzen zu wollen. Wäre dies nicht der Fall, würden Händler ihre Chips in Pakistan ein- und in New York weiterverkaufen. Weil das Einkommen in Pakistan viel niedriger als das in New York ist, wirkt sich der Preisanstieg für Pakistanis viel stärker aus als im reichen Land.


2.2 Preise von nicht substituierbaren Produkten

Das Phänomen des Preisanstiegs für patentierte Produkte wird noch perverser, wenn es keine vergleichbaren Produkte gibt. Die Preise für diverse Mobiltelefonmodelle spiegeln den geringen Einfluss des patentierten Modells wider. Abgesehen davon, dass Mobiltelefone keine unverzichtbaren Produkte sind, ersetzen sich die verschiedenen Modelle zumindest teilweise, was den Einfluss des Patentmonopols auf den Produktpreis verringert. Handelt es sich jedoch um eine radikal neue Erfindung, die ein neues und einzigartiges (also konkurrenzloses) Produkt schafft, das zudem eine unelastische Nachfrage hat, erlaubt das Monopol dem Inhaber eine Preisgestaltung, die die Kosten bei weitem übertrifft. In diesem Fall erreichen die geforderten Preise die Grenze der Zahlungsfähigkeit des Kunden - und übertreffen sie manchmal sogar. In einer Marktwirtschaft würden hohe Preise neue Investoren anlocken und letztlich niedrigere Endpreise bewirken. In einer Patentmonopolwirtschaft gibt es keine konkurrierenden Anbieter, so dass die Gültigkeitsdauer der Patente das hohe Preisniveau künstlich hoch halten.
Interessanterweise lassen die Studien, die Patentsysteme befürworten, die Auswirkung von fehlenden Vergleichsprodukten auf die monopolistische Preisbildung außer Acht, wie folgendes Expertenzitat beweist, das dem Allgemeinen Rat der Vereinten Nationen vorgelegt wurde:

"Insbesondere wurde die Ansicht nicht länger vertreten, dass ein ausschließliches Recht automatisch Marktmacht verleiht. Oft gab es auf dem Markt ausreichend Vergleichsprodukte um den Inhaber von geistigem Eigentum an einer tatsächlichen Marktmacht zu hindern. Die Verfügbarkeit von Vergleichsprodukten war eine empirische Variable, die nur von Fall zu Fall bestimmt werden konnte." (Report (1998) of the Working Group on The Interaction between Trade and Competition Policy to the General Council, Wt/Wgtcp2/8, 8. Dez. 1998.)

Einige Autoren unterstreichen, dass es keine Studien über das Fehlen von Vergleichsprodukten im Patentmonopol gebe. "In unserem Jahrhundert sahen Gerichte und Bundesbehörden Patente lange als Quelle von Monopolmacht auf einem relevanten Markt an. ‚Relevanter Markt' ist ein kartellrechtlicher Begriff, der beschreibt, welche Produkte miteinander konkurrieren. Historisch wurden bei der Analyse der Frage, ob Patente Monopolmacht verleihen, die Ersatzprodukte nicht berücksichtigt." (9. Sheila F. Anthony, Antitrust And Intellectual Property Law: From Adversaries To Partners, AIPLA Quarterly Journal, Band 28, Nr. 1, S. 1, Winter 2000).


2.3 Die Ablehnung des Patentsystems im Zusammenhang mit der Aids-Problematik
Zwar wird das Thema der IPRs zwischen Staaten verhandelt, doch die wahren Interessenten an der Harmonisierung, Ausweitung und sicheren Durchsetzung der Rechte sind die Großunternehmen auf dem Gebiet von Forschung und Produktion. Dass die weit reichende Transformation - die Ablösung der PVÜ durch das TRIPS-Abkommen bei der Gründung der WTO - von der Halbleiterindustrie (Topographie geschlossener Schaltsysteme), den Softwareproduzenten und vor allem der Medikamente produzierende pharmazeutischen Industrie vorangetrieben wurde, dürfte bekannt sein.
Für die Medikamentenproduzenten war TRIPS ein großer Erfolg. Fast die Hälfte aller Länder der Erde, darunter fast sämtliche Entwicklungsländer, waren der Ansicht, das Erfindungen der pharmazeutischen sowie der Nahrungsmittelindustrie keine staatlichen Monopole erhalten sollten, da sie sich auf das Überleben von Menschen auswirken.
In Ländern wie Spanien und Italien wurden Patente auf Pharmaprodukte erst in der zweiten Hälfte des 20. Jh. erteilt. Zwischen 1971 und 1996 verweigerte die brasilianische Gesetzgebung die Patentierung von pharmazeutischen und Nahrungsmittelerzeugnissen sowie von chemischen Produkten. TRIPS unterbindet jede diesbezügliche Diskussion. Solange das Abkommen in Kraft bleibt, kann man sich nicht der Patentierung von pharmazeutischen Verfahren und Produkten infolge des in Art. 27.1, erster Teil, Festgelegtem entziehen: "...Patente für Erfindungen (sind) auf allen Gebieten der Technik erhältlich, sowohl für Erzeugnisse als auch für Verfahren...".
Die perversen Eigenschaften von Monopolen zeigen sich am deutlichsten auf dem Pharmasektor. Während der Missbrauch durch Inhaber in anderen Industriezweigen zu wirtschaftlichen und finanziellen Nachteile führen kann, haben Medikamente und Nahrungsmittel Konsequenzen für das Leben der Menschen selbst. Außerdem bewirkt hier das Fehlen von Vergleichsprodukten die größte Tendenz zu übermäßigen Preiserhöhungen. Neue Medikamente für alte Krankheiten sind das typische Beispiel für unelastische Nachfrage. Für ein neues Krebsmedikament gibt es wahrscheinlich kein vergleichbares Produkt. Und die Nachfrage des Patienten wird nur vom Ausschöpfen seines Vermögens (und des seiner Familie) begrenzt.
Ein klares Beispiel hierfür ist die weltweite Ausbreitung von Aids. Eine extrem schwere Krankheit, die Menschen aller Rassen und sozialen Schichten trifft, hat in afrikanischen Ländern eine hohe Sterblichkeitsrate, weil dort keine Medikamente verfügbar sind. Dabei existieren die betreffenden Medikamente; das "Paket" kostet in den Vereinigten Staaten 100.000 US$ jährlich pro Patient. Das jährliche Pro-Kopf-Einkommen beträgt in den meisten afrikanischen Staaten, in denen sich die Krankheit ausgebreitet hat, weniger als 500 US$. Das Gesamtbudget für das Gesundheitswesen dieser Länder liegt weit unter dem Betrag, der für den Kauf von Aids-Medikamenten nötig wäre.
Die Kosten von generischen Medikamenten würden einen Bruchteil dessen betragen, was die Firmen, die die Patente besitzen, verlangen. Laut dem Bericht des Panos Institute (einer gemeinnützigen Organisation mit Sitz in London) "fuhr der südafrikanische HIV/Aids-Aktivist Zackie Ahmat im Januar 2001 nach Thailand, um 5.000 Tabletten der generischen Version eines Pilzmedikaments, auf das das US Pharmaunternehmen Pfizer das Patent hat, zu kaufen. Er zahlte 0,21 US$ pro Tablette. In Südafrika kostete die Patentversion 13 US$."
Die pharmazeutischen Unternehmen weigern sich, diesen Ländern Medikamente zu angemessenen Preisen zu liefern. Sie befürchten, dass die Medikamente für den Weiterverkauf in Industrieländern abgezweigt werden könnten; und dass die Steuerzahler in jenen Ländern merken könnten, wie viel sie für das in Patenten enthaltene Monopol bezahlen.
Mehrere Länder, darunter auch Brasilien, suchten im Rahmen der WTO nach einer Lösung des Problems Die von den Ministern am 14.11.2001 unterzeichnete "Doha-Erklärung" sprach sich zwar klar für den Vorrang von Gesundheit über Patentschutz aus, aber das hatte keine praktische Konsequenzen und es gab auch kein Follow-up. Die Einschränkungen, die Bedingungen und die fehlenden Einzelheiten über notwendige Vorkehrungen verwässern die Erklärung; und so sind die Opfer des afrikanischen Dramas, das in Südafrika allein täglich 600 Menschenleben kostet, zu einer neuen und grausamen Form der Apartheid verurteilt.
Auch in Brasilien stellt Aids ein schweres Problem dar. Bisher konnte der Staat dank seiner harten Verhandlungsführung mit den Patentinhaber-Unternehmen, gepaart mit der Produktion von Aids-Generika durch einheimische Unternehmen, das Gesetz über die kostenlose Behandlung aller Aids-Patienten einhalten. Gegenwärtig bestehen ernste Sorgen um die Zukunft des Programms. Neue patentierte Medikamente kommen zu hohen Preisen auf den Markt. Die Produktion von Generika findet bisher in Indien und Thailand statt, aber Indien führt 2005 ein Gesetz ein, mit dem sich das Land dem TRIPS-Abkommen anpassen will und das die Patentierung von pharmazeutischen Erzeugnissen und Verfahren gestattet. Bis zum Jahr 2005 erlaubte das indische Gesetz keine Patente auf dem Nahrungsmittel- und dem pharmazeutischen Sektor, in Brasilien war dies bis 1996 der Fall.
Man kann im TRIPS-Abkommen eine starke Spannung zwischen den IPRs und den Forderungen der Entwicklungsländer nach billigen Medikamenten feststellen. Falls keine Lösung im Sinne dieser Forderungen gefunden wird, steht möglicherweise die Zukunft von TRIPS aufgrund eben jener Industrie, die sich am meisten für das Abkommen eingesetzt hat - der pharmazeutischen Industrie - in Frage. Monopole für Medikamente, die für arme Länder inakzeptable Preise zur Folge haben, könnten als überzogene Inhaberrechte gesehen werden und eine Bewegung gegen das Patentsystem auf den Plan rufen.

 

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