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Cícero Gontijo: DIE VERÄNDERUNGEN IM PATENTSYSTEM (Kapitel 3), Mai 2005

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3. DIE POSITION BRASILIENS
Brasilien kann auf eine lange Tradition der Verwendung des Patentsystem und der Beteiligung an internationalen Vereinbarungen über Geistiges Eigentum zurückblicken. Die Zustimmung von Dom João VI am 28.1.1809, machte Brasilien zum vierten Land, das gewerbliche Schutzrechte einführte, nach dem Vereinigten Königreich (Monopolgesetz von 1623), den Vereinigten Staaten (1790) und Frankreich (Gesetz über das Erfindungsprivileg, 1791).
Brasilien gehörte auch zu den elf Erstunterzeichnern der Pariser Verbandsübereinkunft von 1883.
Der Artikel 179 der Verfassung von 1824 lautet: "Die Erfinder sind Eigentümer ihrer Entdeckungen oder ihrer Erzeugnisse. Das Gesetz sichert ihnen ein befristetes ausschließliches Privileg oder vergütet etwaige Verluste aus der Offenlegung".
Das Gesetz vom 28.08.1830 sah lediglich die Patentvergabe an Staatsangehörige vor. Ausländer, die ihre Erfindungen lokal ausüben wollten, wurden als "Einführer" bezeichnet und ihnen wurden Subventionen - und nicht Monopole - angeboten. Da das für die Vergabe der Subventionen erforderliche Gesetz nicht verabschiedet wurde, gingen die Minister dazu über ("ad referendum" durch den Gesetzgeber), auch Ausländern Patente zu erteilen. Dasselbe Gesetz führte auch die Figur des Verfalls aufgrund fehlender lokaler Ausübung innerhalb von zwei Jahren nach Erteilung ein.
Das Gesetz Nr. 3129 vom 14.10.1882 verlängerte die Verfallsfrist von zwei auf drei Jahre und führte das Prioritätsprinzip (sieben Monate) ein, das im folgenden Jahr durch die PVÜ bestätigt werden sollte.
Die brasilianische Regierung stimmte den folgenden Revisionen des PVÜ, mit Ausnahme der Stockholmer (1967), der sie erst 1992 beitrat, zu. In der Stockholmer Revision wurde das Vorliegen einer Zwangslizenz als Vorbedingung für den Verfall festgelegt, was der brasilianischen Auffassung widersprach. Darüber hinaus wurde festgelegt, dass Zwangslizenzen nie ausschließlich sein dürften, was sie weniger wirkungsvoll machte. Angesichts dieser Umstände blieben sowohl Brasilien wie auch Polen und die Dominikanische Republik der Verbandsübereinkunft in ihrer Haager Fassung (von 1925) angeschlossen. 1970 verabschiedete die brasilianische Regierung das Gesetz Nr. 5.648, das die DNPI (Direccão Nacional de Propiedade Intelectual) in das Instituto Nacional de Propiedade Industrial umwandelte, um "auf Staatsgebiet die Normen über das gewerbliche Schutzrecht umzusetzen, wobei seine sozialen, wirtschaftlichen, juristischen und technischen Funktionen zu berücksichtigen sind". Im folgenden Jahr wurde das Gesetz Nr. 5772/71, das die neuen Bestimmungen zum gewerblichen Schutz einführte, verabschiedet.
1975 initiierte die WIPO (Weltorganisation für Geistiges Eigentum), die Verwalterin der PVÜ, eine neue Revision der Verbandsübereinkunft; sie beruhte auf einem UNO-Dokuments mit dem Titel "Die Rolle von Patenten in Entwicklungsländern" aus dem Jahr 1964, das die brasilianische Regierung vorbereitet hatte. Diese Revision des PVÜ-Textes sollte den Entwicklungsländern eine Sonderbehandlung einräumen. Der Ausschuss legte zu Beginn seiner Tätigkeit die Hauptziele fest: a) Ein vernünftiges Gleichgewicht zwischen dem Recht von Patentinhabern einerseits und Entwicklung andererseits; b) die Förderung der effektiven Verwendung von Patenten; c) Technologieerzeugung und -transfer in bzw. nach Entwicklungsländern; und d) Kontrolle von Missbräuchen des Systems.
Die Verhandlungen zogen sich bis 1979 hin, als eine Übereinkunft erzielt wurde, die 1981 in Nairobi besiegelt werden sollte. Zur allgemeinen Überraschung lehnte jedoch die US-Delegation den nach fünfjährigen harten Verhandlungen beschlossenen Text in Nairobi ab. Die Vereinigten Staaten setzten damit ihre Entscheidung, die gewerblichen Schutzrechte aus der WIPO zu lösen, in die Tat um. Stattdessen sollten diese dem GATT unterstellt werden, wo sie im Zusammenhang mit Handelsfragen verhandelt werden könnten, was die Verhandlungsposition der Industrieländer stärken würde.
Wie dieser geschichtliche Abriss zeigt, war Brasilien von Anfang an in die auf internationaler Ebene geführte Diskussion um Geistiges Eigentum involviert. Er zeigt auch, dass Brasilien das Patentsystem immer als einen Vertrag zwischen Staat und Erfinder verstand, wonach der Erfinder ein ausschließliches, befristetes Monopol im Gegenzug zur vollständigen und detaillierten Offenlegung der Erfindung und ihrer lokalen Ausübung erhält. Brasilien hat niemals in die Vergabe von ausschließlichen Rechten als bloßer Anreiz für die Schaffung und Vermehrung von Erfindungen eingewilligt.
Die brasilianische Regierung sieht das Patentsystem als Instrument der Industriepolitik und als solches stehen den Rechten der Inhaber eindeutige und einzulösende Pflichten gegenüber.


3.1 Die lokale Ausübung als Recht des Staates

Den späten Beitritt zur Stockholmer Fassung der Pariser Verbandsübereinkunft im Jahr 1992 muss man als "Abweichung" sehen. Anfang der 90er Jahre stand die Regierung unter zunehmendem Druck. Infolgedessen wandte sich Brasilien von seinen traditionellen Verbündeten (darunter Indien) im Kampf gegen die vorgestellte Fassung von TRIPS ab. Im Kontext der WTO-Gründung wurde TRIPS angenommen. Als das Gesetzesprojekt dem Kongress zur Abstimmung vorgelegt und von diesem verabschiedet wurde, warfen die Kritiker der Regierung vor, das brasilianische Gesetz gehe sogar weiter als TRIPS selbst.
Doch selbst in diesem als brasilianisches Zugeständnis verstandenen Projekt blieb Brasilien bei seinem Standpunkt, wonach die Staaten, die das Patentprivileg erteilen, die lokale Ausübung von Patenten verlangen können. So besagt Paragraph 68, Abs. 1 von Gesetz Nr. 9279/96, der die Anwendung von Zwangslizenzen vorsieht: "Die Zwangslizenz ist ebenfalls angezeigt: I.- bei unterlassener Ausübung des Gegenstands des Patents auf brasilianischem Staatsgebiet aufgrund von ausbleibender oder unvollständiger Herstellung des Erzeugnisses, ebenso bei unterlassener Ausübung des patentierten Herstellungsverfahrens, mit Ausnahme der Unwirtschaftlichkeit, wenn die Einfuhr genehmigt wird; oder II - wenn der Vertrieb nicht die Marktnachfrage befriedigt."
Die Vereinigten Staaten beschwerten sich bei der WTO über diese gesetzliche Bestimmung, die ihrer Ansicht nach gegen Artikel 27.1 im TRIPS-Abkommen verstieß, wonach."...Patentrechte ausgeübt werden [können], ohne dass hinsichtlich des Ortes der Erfindung, des Gebiets der Technik oder danach, ob die Erzeugnisse eingeführt oder im Land hergestellt werden, diskriminiert werden darf".
Der Streit wurde vor der Verhandlung durch das eingesetzte WTO-Panel durch eine Einigung beider Parteien beigelegt. Die Vereinigten Staaten zogen die Beschwerde am 25.6.01 zurück, währende Brasilien sich verpflichtete, die US-Regierung vorzuwarnen, wenn sie diese Gesetzesbestimmung gegen US-Firmen anzuwenden gedachte.
Brasilien verfügte über starke Argumente. Neben der offensichtlichen Tatsache, dass der Wortlaut des betreffenden TRIPS Artikels 27.1 unklar ist, wies man auf den Inhalt von TRIPS 2.1 hin, der in dieser Frage auf den Text der PVÜ verweist: "In Bezug auf die Teile II, III und IV dieses Übereinkommens befolgen die Mitglieder die Artikel 1 bis 12 sowie Artikel 19 der Pariser Verbandsübereinkunft (1967)."
Wenn man den erwähnten Text untersucht, so findet man in Art. 5.(2): "Jedem der Verbandsländer steht es frei, gesetzliche Maßnahmen zu treffen, welche die Gewährung von Zwangslizenzen vorsehen, um Missbräuche zu verhüten, die sich aus der Ausübung des durch das Patent verliehenen ausschließlichen Rechts ergeben könnten, zum Beispiel infolge unterlassener Ausübung."
Wie man sieht, entspricht die von den Vereinigten Staaten kritisierte Bestimmung des brasilianischen Gesetzes der Absicht der PVÜ-Bestimmung sogar fast wörtlich.


3.2 TRIPS PLUS verhindern-Aktiv in der WTO für eine TRIPS-Modifizierung

Seit der WTO-Gründung und der Verabschiedung von TRIPS werden bilaterale und regionale Handelsabkommen verhandelt, deren Klauseln über Geistiges Eigentum die Rechte für Patentinhaber im TRIPS-Abkommen sogar noch ausweiten würden. NAFTA, das Freihandelsabkommen zwischen den USA, Kanada und Mexiko, das Abkommen zwischen den USA und der Karibik, das Abkommen zwischen den USA und Jordanien geben davon Beispiel.
Brasilien ist in fünf verschiedenen Diskussionsforen über Geistiges Eigentum involviert: in der WTO, im Mercosur, mit der Europäischen Union, mit den Vereinigten Staaten und in der WIPO. Im Mercosur zielt die Diskussion auf die mögliche Harmonisierung der entsprechenden Gesetze der Mitgliedsstaaten. Mit der Europäischen Union geht es um den Versuch, einen gemeinsamen Markt mit dem Mercosur zu errichten. Mit den Vereinigten Staaten ist es die Initiative für einen gemeinsamen Markt aller Staaten auf dem amerikanischen Kontinent mit Ausnahme Kubas. Und die WIPO beschäftigt sich in mehreren Projekten mit geistigem Eigentum.
Im Moment sollten sich die Verhandlungsbemühungen auf die WTO (und gegebenenfalls auf die WIPO) konzentrieren, um die Auswüchse von TRIPS zu korrigieren und gleichzeitige Gespräche über das Thema in anderen Verhandlungen zu vermeiden. Die parallele Diskussion in verschiedenen Foren schwächt die brasilianische Position eher und führt tendenziell zu Zugeständnissen Brasiliens, die sich negativ auf zukünftige WTO-Verhandlungen auswirken.
Im Mercosur wurde ein Ausschuss zum geistigen Eigentum in der Industrie-Gruppe SGT-7 gegründet..Ein erstes Harmonisierungsprotokoll über Marken, Herkunftsangaben und Ursprungsbezeichnung wurde zwar unterzeichnet, aber vom brasilianischen Kongress abgelehnt. Brasilien hat bereits das langwierige Verfahren für ein Patentprotokoll eröffnet; ein Protokoll über die Lösung von Streitigkeiten ist bereits unterzeichnet und in Kraft getreten; und das Protokoll über die Harmonisierung von gewerblichen Mustern und Modellen ist bereits sehr weit voran gebracht worden. Der Text des Letztgenannten reduziert die bürokratischen Erfordernisse für zwischenstaatliche Verfahren, die Bestimmungen entsprechen denen von TRIPS, und es enthält insoweit eine Neuerung, als es die Anwendung der Theorie des Verfalls von Rechten für gewerbliche Muster und Modelle im Mercosur vorsieht.
Das Risiko, zu einer Situation wie TRIPS PLUS zu kommen, besteht im Mercosur nicht. Es wird erwartet, dass der Mercosur - nach einer Phase der Normenharmonisierung - versuchen wird, einem Konsens seiner Mitglieder in wichtigen Verhandlungsthemen für andere Foren herzustellen. Es ist wichtig, dass die Mitgliedsstaaten entsprechende Punkte in ihre nationale Gesetzgebung übernehmen, um ihre Einforderung auf anderen Verhandlungsforen zu legitimieren.
In künftigen Verhandlungsrunden sollten verschiedene Punkte diskutiert werden, wie das Recht eines Staates, den Patentinhaber zur lokalen Patentausübung zu verpflichten sowie die gesetzliche Verankerung erstens der Unterbindung von restriktiven Vertragsklauseln als Missbrauch durch die Patentinhaber sowie zweitens des gesetzlichen Verfalls im Falle von Parallelimporten in allen Mercosur-Staaten.
Das Thema des geistigen Eigentums wurde auf Anregung der EU-Delegation in die Diskussionen mit der EU aufgenommen. Im März 2004 fand in Buenos Aires das letzte Treffen beider Delegationen statt. Es war das 12. Treffen des Bi-Regionalen Verhandlungsausschusses. Im Abschnitt über IPRs des Abschlussberichts führten die Delegationen ihre Prioritäten auf.

Die Prioritäten der Europäischen Union:

1. Ein hohes Schutzniveau für Geistiges Eigentum beibehalten und auf die Notwendigkeit für die Unterzeichnung und Anwendung von neuen Abkommen im Rahmen der WIPO (Abkommen über Copyright - WCT) und Abkommen über Interpretationen, Ausführungen und Tonaufnahmen (WPPT)) hinweisen, sowie den Schutz der Pflanzenzüchterrechte durch die UPOV;
2. Übernahme der Maßnahmen zur Durchsetzung von TRIPS in die nationalen Gesetzgebungen;
3. Kooperation;
4. Geographische Herkunftsbezeichnungen. Das Thema wird als vorrangig angesehen.

Die Prioritäten des Mercosur:

1. Verhältnis zwischen TRIPS und der Konvention über Biodiversität;
2. Verhältnis zwischen TRIPS und Gesundheitswesen;
3. Verhältnis zwischen IPRs und Regelungen über unfairen Wettbewerb;
4. Technologietransfer: Das Kapitel über Kooperation verbessern und eine Liste von Maßnahmen erstellen, die zu Technologietransfer und -innovation beitragen.

Wie man sieht, hat die EU zwei Hauptpunkte: Druck auf den Mercosur, die neuen WIPO-Abkommen (WCT und WPPT) zu unterzeichnen und anzuwenden; und der Entwurf eines Weinabkommens (Erweiterung der Rechte über Ursprungsbezeichnungen und geographische Herkunftsangaben).
Auf Seiten des Mercosur kann man ein Interesse an einem angemessenen Gleichgewicht zwischen Rechten und Pflichten von Inhabern sowie an der Verbesserung der technologischen Kapazität der Aufnahmeländer feststellen. Der Mercosur zeigt sich darüber besorgt, dass bilaterale oder regionale Abkommen auf dem Gebiet des geistigen Eigentums ein Bündel von Präzedenzfällen im Sinne von TRIPS PLUS schaffen, was letztlich in die WTO einfließen würde. Brasilien wäre dort zu zusätzlichen Zugeständnissen - über die bereits im Abkommen existierenden hinaus - gezwungen.
Obwohl die brasilianische Regierung eine Diskussion über IPRs im Rahmen der WTO vorzieht, gehen die Verhandlungen mit der Europäischen Union weiter. Die Verhandlungen kommen nur langsam voran, denn im Hintergrund findet die übergreifende Diskussion beider Seiten über die EU-Agrarsubventionen statt - ein überaus schwieriges Terrain.
Die Verhandlungen über ALCA (Amerikanisches Freihandelsabkommen) sind schon im Verzug, da ihr Abschluss für Ende 2005 vorgesehen war. Das Kapitel über Geistiges Eigentum, das auf Initiative der US-Delegation eingeführt wurde, stellt eine Neuerung dar: Statt substanzielle Änderungen für Inhaberrechte zu fordern um ein TRIPS-PLUS-Abkommen zu erzielen, richtet sich der US-Vorschlag vorrangig darauf, zu gewährleisten, dass die Mercosur-Mitglieder in ihren nationalen Gesetzgebungen die sogenannten Duchsetzungsklauseln des TRIPS-Abkommen anwenden (Art. 41 bis 61).
Die vorhandene Dokumentation über den aktuellen Verhandlungsstand (FTAA.ngip/w/80/Ver.2, Teil III) lässt erkennen, dass die Fragen der Durchsetzung, die im Mittelpunkt des US-Vorschlags stehen, weit über den Bereich der inhaltlichen Verhandlungen über Geistiges Eigentum hinaus gehen. Die Umsetzung von Rechtsvorschriften in die Gesetze anderer Länder zieht schwerwiegende Probleme mit sich. Jedes Zugeständnis auf diesem Gebiet bedeutet neue Argumente für neue Zugeständnisse zu schaffen. Fragen wie die Behandlung von Entschädigungen für Verluste und Schäden (Art. 2.3, 4.4), die Beschneidung der Definitionsfreiheit für bestimmte Rechtsfristen (Art. 3.2), das Vorgehen der Rechtsbehörden bei Einzug von Gütern (Art. 4.3, 4.4), die Einschränkung der Begründungen bei mangelnder staatlicher Befolgung (Art. 1.9) sollten bei internationalen Verhandlungen nicht als Verhandlungsmasse eingesetzt werden, weil sie gegen die brasilianische Verfassung verstoßen könnten und die nationale Justiz in ihrer Handlungsfreiheit eingeschränkt werden könnte.
Seit 2003 vertrat die brasilianische Delegation bei den ALCA-Verhandlungen gegenüber der US-Delegation die Auffassung, dass der Mercosur die Verhandlungen über Geistiges Eigentum nicht auf der gleichen Ebene wie die Diskussion über den Marktzugang (die den Kern von ALCA bilden) führen will. Für als zweitrangig angesehene Themen sieht Brasilien nötigenfalls bilaterale Abkommen vor. Die Konzentration der Verhandlungen auf den Marktzugang würde die Möglichkeit bieten, die Verhandlungen wieder auf das erwünschte Tempo zu beschleunigen. Seit einiger Zeit besteht der Eindruck, dass die USA mit dieser Verhandlungsform einverstanden sind, wie der brasilianische Außenminister am 29.4.2005 dem Jornal do Brasil erklärte: "Für Celso Amorim stellt das 2003 in Miami Besiegelte die unbestreitbare Verhandlungsbasis dar. Es kann folgendermaßen zusammengefasst werden: kompakte allgemeine Standards und Offenheit für breit angelegte Verhandlungen gemäß den Interessen der einzelnen Länder oder Blöcke. Auch die USA seien ganz den Richtlinien von Miami verpflichtet, so der brasilianische Botschafter in Washington, Roberto Abdenur".
Sollte es im Verhandlungsverlauf nicht zu grundsätzlichen Veränderungen kommen, ist nicht mit einer Vertiefung des Themas Geistiges Eigentum im ALCA zu rechnen.
Die Welthandelsorganisation - WTO - ist der wichtigste Diskussionsort für Fragen des geistigen Eigentums, und darauf sollte Brasilien nach der weisen Entscheidung, das Thema in bilateralen oder regionalen Foren zu vermeiden, seine Verhandlungsbemühungen richten.
Das TRIPS-Abkommen, das seit 1994 in Kraft ist, sieht die Revision einiger seiner Bestimmungen vor. So soll der Artikel 27.3.b über den Schutz für Pflanzen und Tieren vier Jahre nach Inkrafttreten des WTO-Abkommens revidiert werden. Außerdem wurde die Organisation aufgefordert, Lösungen für die ärmsten Ländern zu finden, die über keine oder nur unzureichende Produktionskapazitäten im pharmazeutischen Bereich verfügen, damit dort die Preise von Medikamenten für schwere Krankheiten gesenkt werden können (Doha-Erklärung). Im Augenblick ist keine Generalrevision vorgesehen. Vielleicht soll damit das Ende der Frist abgewartet werden, die den Entwicklungsländern eingeräumt wurde, um das gesamte TRIPS-Abkommen zu implementieren (TRIPS Art. 66.1.).
Folgende, für Brasilien wichtige, Themen sollten zu einem geeigneten Zeitpunkt im Bereich von TRIPS zur Diskussion gestellt werden:

1) Lokale Ausübung: Eine klare Definition, wonach die Mitgliedsstaaten die lokale Ausübung von patentierten Verfahren und Erzeugnissen als Pflicht der Patentinhaber gesetzlich verfügen können. Die Nichteinhaltung soll als Verstoß des Inhabers gelten, wie es bereits die Bestimmungen über die Zwangslizenz vorsehen.
2) Festlegen, dass die Verwaltung den Widerruf aufgrund des Verfalls erklären kann, ohne dass vorher eine Zwangslizenz erteilt werden muss. Das wäre (in Bezug auf den Verfall) die Rückkehr zur Situation der PVÜ-Version von Den Haag, der Brasilien bis 1992 angehörte. Wegen ihres automatischen Eintretens, das vorherige Verhandlungen erübrigt, kann mit dem Instrument des Verfalls mehr Druck auf die Inhaber ausgeübt werden, die lokale Ausübung zu verwirklichen, als durch Zwangslizenzen. Angesichts der Schwierigkeiten, in den Entwicklungsländern kompetente Interessenten für Zwangslizenzen zu finden, bleibt der Regierung praktisch nur der Verfall als Mittel um die lokale Ausübung zu fördern.
3) Technologische Entwicklung der Entwicklungsländer.Zu den Zielen von TRIPS gehören der Transfer und die Verbreitung von Technologie, die die selbe Bedeutung wie die Förderung von technologischer Innovation haben. Dies wird aus Art. 7 ersichtlich.

Jenseits der Grundsätze und Ziele schweigt sich der Text jedoch hinsichtlich konkreter Bestimmungen für den Anreiz des Technologietransfers und die Verbesserung der Produktivität von lizenzierten Unternehmen als Mittel für die technologische und wirtschaftliche Entwicklung des Landes aus.
Drei Bestimmungen könnten einen positiven Effekt haben: 1) die Mitgliedsstaaten könnten Steueranreize mittels Inländerlizenzen für die Patentinhaber, die Patente in Entwicklungsländern verwerten, anbieten; 2) die Mitgliedsstaaten würden Finanzanreize bieten, damit qualifiziertes Personal von Lizenzträgern aus Entwicklungsländern Praktika im Ursprungsland absolvieren; 3) die öffentlich finanzierten Forschungsergebnisse müssen allgemein zugänglich gemacht werden (auch in und für Entwicklungsländer). Die Vorschläge 1 und 3 sind auf S. 26 des von der Comission on Intellectual Property Rights des Vereinigten Königreichs veröffentlichten Dokuments "Integrating Intellectual Property Rights and Development Policy" enthalten.


3.3 Die brasilianisch-argentinische WIPO-Initiative
Zwar ist die WTO das bedeutendste Forum für die Diskussion der IPRs, aber die wichtigste Initiative, an der Brasilien beteiligt ist, findet augenblicklich im Rahmen der WIPO statt. Diese durch die Gründung der WTO inhaltlich geschwächte Organisation hat durch äußerst relevante Parallelprogramme nach inhaltlicher Tiefe gesucht. So koordiniert sie die Diskussionen im Bereich des SCP (Standing Committe on the Law of Patents - Ständiger Ausschuss zu Patentrechtsfragen) um ein Abkommmen über Substanzielles Patentrecht (Substantive Patent Law Treaty - SPLT) zu erarbeiten; ein Thema, das weiter beobachtet werden muss.
Der zur Debatte stehende Text verschärft die Patentschutzstandards erheblich und schafft für Entwicklungsländer schwer einhaltbare Verpflichtungen. Nicht nur das, - darüber hinaus hat die Initiative den einzigen Zweck, die Patentinhaberrechte zu definieren. Es geht darum, sie zu erweitern und ihre Anwendung zu sichern, ohne die Bedürfnisse der Anwendungsländer, insbesondere der Entwicklungsländer, zu berücksichtigen.
Die TRIPS-Erfahrung scheint sich zu wiederholen. Obwohl TRIPS vorgab, die Förderung von technologischer Innovation sowie Technologietransfer und -verbreitung seien gleichberechtigte Ziele (Art. 7), richten sich alle Aussagen über Normen auf die Förderung und Vergütung von Produzenten. Nirgends bekundet der Text Interesse an Technologietransfer oder am Gleichgewicht von Rechten und Pflichten.
Das Interesse der Entwicklungsländer kommt nur in den vorangestellten Wunscherklärungen und guten Absichten vor, die keine Entsprechung in den einzuhaltenden Bestimmungen finden. Besorgt über diese Situation haben Brasilien und Argentinien einen weit reichenden Vorschlag erarbeitet, der der WIPO-Generalversammlung vorgelegt werden soll, um eine WIPO-Entwicklungsagenda aufzustellen.
Das am 26.8.2004 vorgestellte Dokument wurde als WO/GA/31/11 registriert.
Es beginnt mit der Feststellung, dass die Entwicklung der LDCs zu den größten Herausforderungen der internationalen Gemeinschaft zählt. Diese Auffassung wird durch zahlreiche, anlässlich internationaler Begegnungen unterzeichnete Erklärungen bestätigt.
Das Dokument bestätigt die Bedeutung von technologischer Innovation, Wissenschaft und Kreativität als Quellen von Wohlstand und materiellem Fortschritt. Jedoch beweisen Statistiken, dass sich die Wissenslücke, die arme und reiche Staaten trennt, kontinuierlich weitet. Geistiges Eigentum sollte zwar ein Instrument zur Förderung technologischer Innovation sein, aber auch dem Transfer und der Verbreitung von Technologie dienen. Die praktische Anwendung ist jedoch einseitig; die Notwendigkeit von Technologietransfer und -verbreitung wird wenig beachtet. Entsprechende Studien belegen, dass in vielen Fällen die Kosten des Patentsystems für ein Land höher als der Nutzen daraus sind.
Um das Ungleichgewicht zu korrigieren fordert der argentinisch-brasilianische Vorschlag, dass die WIPO die Entwicklung ihrer Mitgliedsstaaten zu ihren Zielen hinzu nimmt. In der Praxis würde dies bedeuten, dass das Entwicklungsziel in allen WIPO-Aktivitäten Beachtung findet, statt diese auf die Förderung des Schutzes von geistigem Eigentum zu beschränken.
Unter anderem soll die Gründungskonvention der WIPO geändert werden, um zu gewährleisten, dass die Entwicklungsdimension zu einem eindeutigen Grundelement ihres Arbeitsprogramms wird.
Der Vorschlag fordert praktische Maßnahmen vom im SCP (Ständiger Patentrechtsausschuss) diskutierten SPLT (Substanzielles Patentrechtsabkommen), das zu einer signifikanten Ausweitung der Patentschutznormen führen soll. Demnach soll das SCP die Anregungen der Entwicklungsländer berücksichtigen, um die Kosten seiner Implementierung zu reduzieren. Die Einbeziehung der Entwicklungsdimension im Ständigen Ausschuss sollte danach streben, die mit dem öffentlichen Interesse verbundene Flexibilität zu wahren, indem die Bestimmungen aus Art. 7 und 8 des TRIPS-Abkommens genutzt werden.
Eine weitere Forderung lautet, den Technologietransfer, der im TRIPS-Abkommen ein wichtiges Ziel ist, auf die Arbeitsagenda der WIPO zu setzen. Es setzt auf Maßnahmen, die den effektiven Technologietransfer in Entwicklungsländer garantieren; dazu könnten z.B. die Ergebnisse von öffentlich finanzierten Forschungsarbeiten in den Industrieländern genutzt werden.
Schließlich fordert er, Entwicklung müsse auch in den Studien über die Einführung von Durchsetzungsmaßnahmen in die jeweiligen Rechtssysteme der Mitgliedsstaaten hervorgehoben werden. Des weiteren soll die technische Zusammenarbeit und Hilfe auf dem Gebiet des geistigen Eigentums, die die WIPO den Entwicklungsländern bietet, den übergeordneten Zielen der UNO, zu denen auch die ganzheitliche Entwicklung der Mitgliedsstaaten zählt, dienen. Der brasilianisch-argentinische Vorschlag wird von mehreren Ländern aus der Gruppe "Freunde der Entwicklung" unterstützt. Er hat die Voraussetzungen, um ernst genommen zu werden und sich sowohl auf die bestehenden Programme als auch auf die Arbeitsziele der WIPO auszuwirken, da er für eine Veränderung des WIPO-Zwecks eintritt. Brasilien kann auf eine lange Beteiligung an Foren über Geistiges Eigentum zurückblicken - als einer der elf Erstunterzeichnern gehört das Land ununterbrochen der Pariser Verbandsübereinkunft an. Die Studie "The role of patents in developing countries" geht auf eine brasilianische UNO-Initiative zurück. Sie war die Grundlage für die 1975 eingeleitete Überarbeitung der PVÜ, um die PVÜ-Richtlinien zu flexiblilisieren und an die Bedingungen in den Entwicklungsländer anzupassen. 1994 trat Brasilien dem TRIPS-Abkommen der WTO bei und führte es sofort in nationales Gesetz über; unter Verzicht auf die zehnjährige Übergangsfrist, die ihm als Entwicklungsland und wegen der Einbeziehung neuer Sektoren in die Patentregelungen zustand (Art. 65, Zeilen 2 und 4,TRIPS).
Brasiliens historische Beteiligung gibt dem Land die notwendige Autorität um in internationalen Verhandlungsforen über Geistiges Eigentum solche innovativen Initiativen vorzustellen.

 

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