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Koalition gegen Straflosigkeit fordert unabhängige Expertenkommission zur Aufklärung des Verhaltens der deutschen Botschaft und des Auswärtigen Amtes zur Zeit der Militärdiktatur in Argentinien

Mitteilung der Koalition gegen Straflosigkeit, Nürnberg, 09. März 1999

 

Koalition gegen Straflosigkeit fordert unabhängige Expertenkommission zur Aufklärung des Verhaltens der deutschen Botschaft und des Auswärtigen Amtes zur Zeit der Militärdiktatur in Argentinien


09. 03. 1999


"Die Enthüllungen eines Agenten des argentinischen Geheimdienstes innerhalb der deutschen Botschaft mit Decknamen "Mayor Peirano" sind nur die Spitze eines Eisberges" schreibt Kuno Hauck, Sprecher der Koalition gegen Straflosigkeit in einem Brief an Staatsminister Vollmer im Auswärtigen Amt (AA).


Die Koalition gegen Straflosigkeit drängt mit diesem Brief auf eine Zusammenarbeit bei der Aufklärung der Deutsch-Argentinischen Beziehungen während der Militärdiktatur.


Die Koalition gegen Straflosigkeit begrüßt die Zusagen des Bundespräsidenten und von Staatsminister Volmer bei ihren Gesprächen mit den Familienangehörigen in Buenos Aires, für eine Aufklärung im "Fall Peirano" zu sorgen. Eine Aufklärung muß aber weit darüber hinaus gehen. So werden z.B. dem Auswärtigen Amt schwere Versäumnisse bei der Bearbeitung des Falles der in Argentinien ermordeten Elisabeth Käsemann vorgeworfen. Das Auswärtige Amt hat zu spät und nicht mit der gebotenen Entschiedenheit reagiert, so die Analyse des Freiburger Rechtsanwaltes Tino Thun, der den Fall damals betreut und recherchiert hatte.


Obwohl nach Aussagen einer Zeugin der Aufenthaltsort von Elisabeth Käsemann schon kurz nach ihrer Entführung bekannt wurde, gelang es dem Auswärtigen Amt und der Deutschen Botschaft nicht, ihr Leben zu retten. "Die uns bisher zugänglichen Fakten legen die Vermutung nahe, daß man während der Militärdiktatur die Schicksale der Verschwundenen nur zweitrangig behandelt hat, um die guten Wirtschaftsbeziehungen zu Argentinien nicht zu gefährden," so Kuno Hauck in einer Stellungnahme zum Fall Käsemann. Bisher streitet das Auswärtige Amt sämtliche Vorwürfe ab, ist aber gleichzeitig nicht bereit, Akteneinsicht in ihre Unterlagen zu gewähren.


Die Koalition erwartet nun, daß diese schweren Vorwürfe von einer unabhängigen Expertenkommission überprüft werden. Sie erhofft sich, daß eine Akteneinsicht in die Unterlagen des Auswärtigen Amtes und der Deutschen Botschaft eine zeitnahe und detaillierte Rekonstruktion der Verhaltensweisen und Maßnahmen der Bundesregierung zum Schutz ihrer Bürger ermöglichen. Das Ende des kalten Krieges, neu gewonnene Zeugenaussagen von Opfern und Tätern in Argentinien, und das größere Wissen über die damaligen Zusammenhänge ermöglichen fast 20 Jahre nach dem Geschehen eine Überprüfung der von der Bundesregierung eingenommenen Position.


Ziel dieser Überprüfung sollte sein, eine Evaluierung der Deutschen Politik während dieser schweren Krise vorzunehmen. Eine Neuorientierung der Deutschen Außenpolitik hin zu einer größeren Gewichtung der Menschenrechte darf nicht ein theoretisches Gedankenspiel bleiben, sondern muß aus den Erfahrungen der Vergangenheit lernen. Der Fall Argentinien bietet dazu nach Ansicht der Koalition sehr viele exemplarische Zusammenhänge, die es aufzuarbeiten gilt. Vergangenheitsbewältigung ist aber auch notwendig, um den Opfern und ihren Angehörigen endlich gerecht zu werden. "Eine Neubestimmung der Außenpolitik muß den Anliegen der Opfer mehr Raum geben, als dies bisher der Fall ist," so Stefan Herbst, einer der Sprecher der Koalition. "Wir erwarten, daß die Bundesregierung bereit ist, mehr zum Kampf gegen die Straflosigkeit in Argentinien beizutragen."


Die Koalition gegen Straflosigkeit fordert , daß eine unabhängige Expertenkommission ihre Arbeit noch vor dem Umzug nach Berlin beginnen kann. Nach Meinung gut informierter Kreise besteht die Gefahr, daß im Zuge des Umzugs wichtige Unterlagen verloren gehen könnten.


Zusatzinformation:


Die "Koalition gegen Straflosigkeit - Wahrheit und Gerechtigkeit für die deutschen Verschwundenen in Argentinien" ist ein Netzwerk von 14 verschiedene Gruppen *1, Menschenrechtsorganisationen und von Hilfswerken der beiden großen Kirchen. Am 7. Mai 1998 wurde im Bundesministerium der Justiz (BMJ) im Beisein der Familienangehörigen Idalina Tatter und Betina Ehrenhaus sowie des argentinischen Friedensnobelpreisträgers Adolfo Pérez Esquivel Stellvertretend für über 70 Fälle Deutscher und Deutschstämmiger Verschwundener und Ermordeter, Strafanzeige gegen 42 Mitgliedern der argentinischen Sicherheitskräfte der Militärdiktatur von 1976 bis 1983 gestellt.


Seit Juli 1998 ermittelt die Staatsanwaltschaft beim Landgericht Nürnberg wegen des Verdachts der Geiselnahme, der gefährlichen Körperverletzung und des Mordes. Vor wenigen Tagen wurde bei der Staatsanwaltschaft Tübingen die Strafanzeige im Fall Käsemann eingereicht. Weitere Strafanzeigen sind in Vorbereitung und werden von Rechtsanwälten in Berlin, Freiburg und Nürnberg vorbereitet.


Weitere Informationen im Internet unter: www.menschenrechte.org


AnsprechpartnerInnen:


Kampagnenkoordinator:

Esteban Cuya, Tel.: 0911 230 55 50 Fax: 51


Sprecher der Koalition:

Angelika Denzler, Tel: 07041 941035

Argentiniengruppe Stuttgart

Kuno Hauck, Tel: 0911 54 08 230

Stefan Herbst, Tel: 0228 953 53 20

Missionszentrale der Franziskaner


ViSdP: Koalition gegen Straflosigkeit