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Nürnberger Staatsanwaltschaft droht mit Einstellung der Ermittlungsverfahren im Falle von vier deutsch-jüdischen Opfern der argentinischen Militärdiktatur

Presseinformation der Koalition gegen Straflosigkeit

 

18. Februar 2000

 

 

Nürnberger Staatsanwaltschaft droht mit Einstellung der Ermittlungsverfahren im Falle von vier deutsch-jüdischen Opfern der argentinischen Militärdiktatur


Nach nur drei Monaten beabsichtigt die Nürnberger Staatsanwaltschaft die Verfahren in vier Fällen von Strafanzeigen gegen argentinische Militärs, die im Juni 1999 in Berlin von der "Koalition gegen Straflosigkeit" eingereicht wurden, einzustellen und demonstriert mit dieser Verfahrensweise ein eklatantes Desinteresse an der Aufklärung der Verbrechen an deutsch-jüdischen Opfern während der letzten argentinischen Militärdiktatur.

Der Bundesgerichtshof (B G H) hat mit Beschluss vom 20. Oktober 1999 gegen die damalige Empfehlung der Generalbundesanwaltschaft vom 23. August 1999 in vier Fällen von Strafanzeigen, die im Juni 1999 in Berlin eingereicht wurden, entschieden, dass ein Ermittlungsverfahren durchzuführen ist und damit die Staatsanwaltschaft beim Landgericht Nürnberg-Fürth beauftragt.

Bei den Opfern der argentinischen Militärdiktatur handelt es sich um Leonor Marx, Alicia Oppenheimer, Walter Claudio Rosenfeld und Juan Miguel Thanhauser, Kinder von deutsch-jüdischen Familien, die wegen der nationalsozialistischen Verfolgung aus Deutschland auswandern mussten.

"Die Nürnberger Staatsanwaltschaft demonstriert mit dieser Verfahrensweise ein eklatantes Desinteresse an der Aufklärung der Verbrechen der argentinische Militärdiktatur. Die Staatsanwaltschaft beabsichtigt schon drei Monate nach Verweisung der Fälle durch den BGH nach Nürnberg, ohne jemals eine einzige Ermittlung vorgenommen zu haben, ausgerechnet die Fälle einzustellen, in denen es allein schon moralisch geboten wäre, alle ,aber wirklich alle Mittel zugunsten der Opfer und der Familienangehörigen auszuschöpfen", erklärt der verantwortliche Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck.

Die "Koalition gegen Straflosigkeit" ist der festen Überzeugung, dass der deutsche Staat die durch die Gesetze der Nationalsozialisten zwangsausgebürgerten Juden nach der Flucht in dritte Staaten nicht von diesem Schutz für die eigenen Staatsbürger ausschließen darf !

Für diese Schutzgewährung (durch Anwendung des deutschen Strafrechtes) kann und darf es deshalb nicht darauf ankommen, ob ein Antrag auf Wiedereinbürgerung gestellt worden ist und noch viel weniger, ob die Einbürgerungsurkunde ausgehändigt wurde, wie dies jedoch der zuständige Oberstaatsanwalt der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth in seinem 2 ½ seitigem Schreiben, mit dem der die geplante Einstellung begründet, behauptet.

Viele Fragen, die sich in diesen Ermittlungsverfahren ergeben, sind bisher weder höchstrichterlich entschieden noch sind sie in der Literatur erörtert worden, sie sind also zumindest als offen zu bezeichnen. Das gilt auch für den Schutzzweck des hier einschlägigen § 7 Strafgesetzbuch, nach welchem die deutsche Strafjustiz auch bei Auslandstaten tätig werden muss, wenn Deutsche das Opfer der Straftat sind.

Auch in tatsächlicher Hinsicht sind noch viele wichtige Fragen offen, so dass Ermittlungen dringend angezeigt sind.

Eine Einstellung zum jetzigen Zeitpunkt ist deshalb unverantwortlich.

"Die drohende Einstellung von vier Verfahren wäre bitter für uns alle in Deutschland und vor allem für die Familienangehörigen in Deutschland und in Argentinien. Sie würde bei den Betroffenen auf völliges Unverständnis stoßen und käme einer zweiten Vertreibung gleich", erklärt Kuno Hauck vom Kirchlichen Entwicklungsdienst in Bayern, einer der Sprecher der Koalition gegen Straflosigkeit. Die Koalition gegen Straflosigkeit befürchtet deshalb auch großen Schaden für den Ruf Deutschlands und der Deutschen Justiz. Nach ihrer Ansicht würde eine solche voreilige Entscheidung im Ausland auf völliges Unverständnis stoßen und großen internationalen Schaden anrichten. Deshalb ist die Koalition gegen Straflosigkeit auch fest entschlossen mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln den Angehörigen zum Erfolg zu verhelfen.

Schon jetzt zieht die Koalition gegen Straflosigkeit eine positive Zwischenbilanz ihres Wirkens:

"Wir haben in zwei Jahren erreicht, daß vergessene Fälle wieder auf die Tagesordnung gebracht wurden. Viele Angehörige haben neue Hoffnung geschöpft. Menschenrechtsorganisationen aus der ganzen Welt unterstützen diese Verfahren" erklärt Stefan Herbst von der Missionszentrale der Franziskaner.

In mehreren anderen Ermittlungsverfahren gegen argentinische Militärs habe die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth bereits Rechtshilfeersuchen an die argentinische Justiz gerichtet.

Nachdem über 20 Jahre lang behauptet wurde, es gäbe keine juristischen Wege mehr, das Schicksal der deutschstämmigen Verschwundenen in Argentinien aufzuklären, ist es als ein Erfolg anzusehen, dass der Bundesgerichtshof in Karlsruhe inzwischen 10 Strafanzeigen, die sich auch gegen die ehemaligen Juntamitglieder und Staatspräsidenten von Argentinien richten, zugelassen hat.

Auch politisch sei in Deutschland etwas in Bewegung geraten:

Zwei Jahrzehnte lang haben die deutsche Botschaft und das Auswärtige Amt geleugnet, dass während der Militärdiktatur ein Mitglied des argentinischen Sicherheitsdienstes innerhalb der deutschen Botschaft als Ansprechpartner für die Familienangehörigen zur Verfügung stand. Nachdem er viele Jahre nur unter seinem Decknamen "Major Peirano" bekannt war, konnte er Anfang letzten Jahres als Herr Españadero enttarnt werden. Die Koalition gegen Straflosigkeit in Zusammenarbeit mit den Familienangehörigen in Argentinien hat diese Enttarnung ins Rollen gebracht. Inzwischen haben die Familienangehörigen in Argentinien eine Anzeige gegen Herrn Españadero eingereicht, und er soll in den nächsten Tagen vor Gericht zur Frage der deutschen Verschwundenen und seiner Arbeit in der deutschen Botschaft aussagen.

Ebenfalls über 20 Jahre lang wurden Menschenrechtsorganisationen und Familienangehörige von der deutschen Botschaft in Buenos Aires bewusst nicht darüber aufgeklärt, dass zu den meisten Fällen der deutschen Verschwundenen in der Botschaft in Buenos Aires Akten vorhanden sind. Es ist als ein gemeinsamer Erfolg anzusehen, dass diese Akten seit mehreren Monaten von den Familienangehörigen eingesehen werden können.

Die Koalition gegen Straflosigkeit vertraut darauf, dass es zu einem erneuten Überprüfung und zu einer Änderung der Entscheidung der Staatsanwaltschaft in Nürnberg und beim Bayerischen Justizministerium kommt.


AnsprechpartnerInnen:

Rechtsanwalt: Wolfgang Kaleck: Tel: 030 446 792 18

Kampagnenkoordinator: Esteban Cuya, Tel.: 0911 230 55 50 Fax: -51


SprecherInnen der Koalition:

Angelika Denzler, Tel: 07041 941035

Argentiniengruppe Stuttgart

Kuno Hauck, Tel: 0911 54 08 230

Stefan Herbst, Tel: 0228 953 53 20

 

Weitere Informationen zur Koalition gegen Straflosigkeit:

www.menschenrechte.org