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Anzeige wegen Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit gegen argentinische Militärs im Bundesministerium der Justiz eingereicht!

Presseinformation der Koalition gegen Straflosigkeit

 

Montag, 21. März 2001

 

Anzeige wegen Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit gegen argentinische Militärs im Bundesministerium der Justiz eingereicht!


(vollständiger Text der Anzeige)


Die "Koalition gegen Straflosigkeit" erstattete am 21. März 2001 im Bundesministerium der Justiz in Berlin Anzeige gegen argentinische Militärs wegen "Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit" während der Militärdiktatur 1976-1983. Die Anzeige wurde im Namen deutscher und deutschstämmiger Familienangehöriger aus Argentinien sowie im Namen des argentinischen Friedensnobelpreisträgers Adolfo Pérez Esquivel und im Namen des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins eingereicht.




Opfer des Genozids


"Meine Familie wurde praktisch vernichtet" mit diesen Worten macht Frau Elsa Sanchez de Oesterheld die Dimension der Verbrechen der argentinischen Militärdiktatur deutlich. "Die Militärs haben meinen Mann, einen international bekannten Schriftsteller, entführt und bis heute blieb er verschwunden. Meine vier Töchter, zwei von ihnen waren schwanger, und ihre Ehemänner sind ebenfalls Opfer des argentinischen Genozids."


Die einzigen Überlebenden der Großfamilie sind die heute 76 jährige Elsa Sanchez de Oesterheld und ihre beiden Enkel, die selbst als Kleinkinder von den Militärs entführt worden waren. Martin (27) wurde von den Militärs direkt zurück gegeben, während Fernando (25) in einem Waisenhaus wieder gefunden wurde. Beide begleiten die Großmutter an diesem Tag in Berlin.


"Dies ist für uns alle ein historischer Tag" erklärte Luisa Wettengel (62) von der "Gruppe der Mütter und Familienangehörigen der verschwundenen Deutschen und Deutschstämmigen in Argentinien", nachdem sie zusammen mit dem argentinischen Rechtsanwalt der deutschen Familienangehörigen, Dr. Rodolfo Yanzón, und den Vertretern der "Koalition gegen Straflosigkeit" die Anzeigen im Justizministerium übergeben hat. Einer der in den Anzeigen aufgeführten Fälle ist der ihres Bruders. "Wir alle hoffen nach nunmehr 25 Jahren, dass die deutsche Justiz uns bei unserem Streben nach Wahrheit und Gerechtigkeit unterstützt", so Wettengel.


"Das systematisch geplante "Verschwindenlassen", und der tausendfache Mord von Menschen, kann nur mit den Begriffen Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit beschrieben werden. Rund 100 Deutsche und Deutschstämmige sind unter den 30.000 Opfern der Militärdiktatur" erklärt Dr. Rodolfo Yanzón (39) die Hintergründe der Strafanzeige.




Ziel der Anzeige



Bei der im Anschluss an die Überreichung im Bundesjustizministerium stattfindenden Pressekonferenz verdeutlichte Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck, Berlin, der seine Anzeige auch mit einer Vollmacht des argentinischen Friedensnobelpreisträgers Adolfo Pérez Esquivel eingereicht hat, das Ziel der Anzeige: "Die argentinischen Militärs handelten im Rahmen eines größeren Planes, der in ganz Lateinamerika umgesetzt wurde. Opfer dieses Planes waren alle Menschen und Gruppen, die ihrem politisch-ökonomischen Projekt im Wege standen.


Es geht jetzt nicht darum, in Deutschland stellvertretend für die Argentinier Recht zu sprechen, sondern darum, alle rechtlichen Mittel auszunutzen, um den für die argentinische Gesellschaft, aber auch für die Weltgesellschaft nicht hinnehmbaren Zustand der Straflosigkeit zu bekämpfen. Auch kann der vorliegende Fall dazu dienen, die Reformierung des deutschen Völkerstrafrechts zu befördern."




Warum in Deutschland?



Auf die immer wieder gestellte Frage: "Warum ist die deutsche Justiz für diese Anzeige zuständig?" führte Rechtsanwalt Claus Richter, Berlin, aus: "In Argentinien haben die Militärs nach der Demokratisierung durch massiven Druck auf die zivilen Regierungen Straffreiheit erwirkt. Angesichts der faktischen Straflosigkeit suchte die Menschenrechtsbewegung in Argentinien nach rechtlichen Mitteln, um die Täter anklagen und verurteilen zu können. Dafür bot sich angesichts der Entwicklungen im Völkerstrafrecht der Weg über die Justiz im Ausland an. In Spanien, Italien, Frankreich und den USA und seit 1998 in Deutschland werden deshalb Strafverfahren gegen argentinische Militärs geführt. Die Anklagepunkte lauten, je nach nationaler Rechtslage: >Mord, Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Staatsterrorismus<".



Opfer dürfen nicht vergessen werden


"So lange wir uns noch der Opfer erinnern, so lange lebt die Hoffnung nach Wahrheit und Gerechtigkeit weiter" erklärt Pfr. Kuno Hauck (45), Sprecher der "Koalition gegen Straflosigkeit". "Die Straflosigkeit ist die Fortsetzung der Folter mit anderen Mittel, die Mörder und Folterer von damals müssen wissen, dass ihre grausamen Verbrechen nicht vergessen sind", fährt Kuno Hauck fort, "deshalb haben wir als Zeitpunkt für das Einreichen der Völkermordanzeige die Woche gewählt, in der sich der Militärputsch in Argentinien von 1976 zum 25. Mal jährt."



Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord


Seit Ende des 2.Weltkrieges und seit den Nürnberger Prozessen ist es anerkanntes Völkergewohnheitsrecht, dass massive Verbrechen staatlicher Funktionäre gegen die eigene Bevölkerung nicht ungesühnt bleiben dürfen. Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind keine innere Angelegenheit der einzelnen Staaten mehr. So bietet das jetzige Völkerrecht ausreichend Möglichkeiten, schwerste Menschenrechtsverletzungen und die dafür verantwortlichen Täter nicht nur im Verursacherland, sondern in jedem Staat – also auch in Deutschland - strafzuverfolgen. Bei den Verbrechen der argentinischen Militärs handelt es sich um solche gegen die Menschlichkeit. Das "Verschwindenlassen" von Menschen, die Entführung von Minderjährigen, Folter sowie das Anlegen von geheimen Folter- und Haftzentren erfüllen diesen Tatbestand eindeutig.


Daneben ist auch wegen Völkermord zu ermitteln, da die Militärs im Rahmen der von ihnen verfolgten Politik der nationalen Sicherheit anstrebten, einen ganzen Teil der Bevölkerung auszulöschen.


In Deutschland hat die "Koalition gegen Straflosigkeit" bisher 12 Einzelfälle von deutschen und deutschstämmigen Opfern zur Anzeige gebracht. Diese Fälle werden derzeit auf Grundlage der nationalen bundesdeutschen Strafgesetzgebung von der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth ermittelt. Unabhängig von diesen 12 Einzelfällen und den neu eingereichten 8 weiteren Fällen, soll mit der vorliegenden Anzeige wegen Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit nunmehr angestrebt werden, die Verbrechen der argentinischen Militärs – unabhängig von der Nationalität ihrer Opfer und unabhängig vom Tatort – in ihrer Gesamtheit zu ermitteln, anzuklagen und die verantwortlichen Militärs abzuurteilen.



Für Rückfragen:


Rechtsanwalt: Wolfgang Kaleck, Tel: 030 446 79 218


Rechtsanwalt: Claus Richter, Tel: 030 79 74 54 68


Sprecher der Koalition: Kuno Hauck Pfr.,


Tel: 0911 54 08 230, oder 0176 21 10 22 50


Kampagnenkoordinator: Esteban Cuya, Nürnberger Menschenrechtszentrum

Tel.: 0911 230 55 50 Fax: -51, oder 0175 44 23 192


Weitergehende Hintergrundinformation im Internet unter: www.menschenrechte.org


Berlin: 21. März 2001