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Koalition gegen Straflosigkeit -
Wahrheit und Gerechtigkeit für die deutschen Verschwundenen in Argentinie
Coalición contra la Impunidad –
Verdad y Justicia para los desaparecidos alemanes en Argentina

NMRZ/Adlerstr. 40, D-90403 Nürnberg. Tel: 0049-911-230 55 50, Fax: 0049-911-230 55 51
email: Koalition@menschenrechte.org
Internet: www.menschenrechte.org/Menschenrechte/Koalition.htm


Pressemitteilung der Koalition gegen Straflosigkeit

Koalition gegen Straflosigkeit: Nürnberg 22.09.2006
Nürnberger Staatsanwaltschaft wird weiter ermitteln -
Erfolg im Kampf gegen die Straflosigkeit


Die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth wird neben den Verfahren Käsemann und Zieschank auch im Fall des in Argentinien verschwundenen Deutsch-Paraguayers Federico Tatter weiter ermitteln. Seit 2004 hat die Staatsanwaltschaft Nürnberg einen Großteil der Strafverfahren gegen argentinische Militärs eingestellt, die aufgrund der seit 1998 erstatteten Strafanzeigen des Menschenrechtsbündnisses „Koalition gegen Straflosigkeit" wegen in Argentinien verschwundener und ermordeter Deutscher und Deutschstämmiger geführt wurden.

Neben den Haftbefehlen in den Fällen Käsemann und Zieschank konnte die Koalition aufgrund der Recherchen ihres Anwaltes Wolfgang Kaleck die Fortführung der Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft im Fall Tatter erreichen.

Der Fall von Jorge Federico Tatter, dessen Vater aus Deutschland in die von Nietzsches Schwester gegründete Kolonie „Nueva Germania”in Paraguay ausgewandert war, ist ein Beispiel für die Zusammenarbeit der südamerikanischen Diktaturen im Bereich der Repression. Jorge Tatter war mit seiner Familie schon 1963 wegen politischer Verfolgung aus Paraguay nach Argentinien geflohen. Dort wurde er 1976 von argentinischen Häschern entführt und „verschwand”spurlos.

Als nach Ende der Stroessner-Diktatur die sog. „Archive des Terrors”in Paraguay aufgefunden wurden, fanden sich dort auch Fotos des Gefangenen Jorge Federico Tatter – im selben Anzug, den er am Tag seiner Entführung in Argentinien getragen hatte. Offenbar war er von den Argentiniern nach Paraguay überstellt worden. Diese grenzüberschreitende Zusammenarbeit bei der Verfolgung politischer Gegner war im Rahmen des sog. „Plan Condor”zwischen beiden Staaten geregelt. Jorge Tatters Witwe Idalina kämpft seit nunmehr 30 Jahren darum, die Wahrheit über seinen Tod zu erfahren und die Verantwortlichen vor Gericht zu bringen.

Neue Beweismittel aus den „Archiven des Terrors”, die der für den Fall zuständige Anwalt Wolfgang Kaleck persönlich in Paraguay beschafft hat, haben nun auch die Staatsanwaltschaft Nürnberg überzeugt, die Ermittlungen in diesem Fall wieder aufzunehmen: Zuvor hatte sie den Fall wegen unzureichender Beweislage eingestellt.

Die Beschuldigten in diesem Fall sind u.a. der ehemalige argentinische Präsident Jorge Rafael Videla, die Ex-Generäle Antonio Domingo Bussi und Jorge Olivera Rovere sowie der Admiral Eduardo Massera. In mindestens neun weiteren Fällen, die von der Staatsanwaltschaft und der Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg eingestellt worden waren, bereitet die Koalition zur Zeit einen Klageerzwingungsantrag bei dem Oberlandesgericht Nürnberg vor.


Ansprechpartner/Innen zu dieser Presseinformation:

Dr. Angelika Denzler, Sprecherin der Koalition:
Tel.: 07041 941035
Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck, Sprecher der Koalition:
Tel.: 030-446 79212
Esteban Cuya, Kampagnenkoordinator:
Tel.: 0911 230 55 50 Fax: 230-5551
Handy: 0175 442 3192

Umfangreiche Informationen zur Koalition gegen Straflosigkeit im Internet:
Homepage: www.menschenrechte.org/Menschenrechte/Koalition.htm


Fallbeschreibung: Jorge Federico Tatter

Jorge Federico Tatter
geb. am 8.12.1922 in der Kolonie Nueva Germania, Republik Paraguay
Deutsch-Paraguayer
Verhaftet am 15. Oktober 1976 in seiner Wohnung, Straße Gral. Urquiza 133, Buenos Aires, Argentinien, seitdem "verschwunden".

Federico Jorge Tatter ist in Paraguay geboren und hat dort bis 1963 gelebt. Er war Radio-Elektriker und Offizier a.D. der Marine. Er hat nie einer Partei angehört.
Tatter wird von seiner Familie und seinen Freundern als heiterer, kontaktfreudiger Mensch von hoher sozialer Empfindlichkeit geschildert. Er war kompromißfähig und engagiert und ersehnte die Schaffung der Demokratie für sein Land. Seine Familie - drei Kinder - war ihm der höchste Wert des Lebens.
In den Jahren 1956 bis 1960 wurde Tatter in Paraguay dreimal verhaftet, 1960 auch gefoltert. Die Gründe dafür blieben unbekannt. Als er 1963 wieder gesucht wurde, floh er, nun ein Verfolgter, nach Argentinien. Er lebte und arbeitete fortan in Buenos Aires.
Anläßlich eines Besuches des paraguayischen Staatspräsidenten Strössner in Buenos Aires wurde Tatter 1973 verhaftet. Erst nach Fürsprache eines hohen Militärs wurde er freigelassen.
Am 15. Oktober 1976 erschien eine Gruppe uniformierter Männer in der Wohnung Tatters, der dort mit seiner Frau und einem 17-jährigen Sohn gleichen Namens wohnte. Nach eigenen Angaben gehörte einer der Männer zum 1. Infanterie-Regiment, ein anderer zum Nachrichtendienst und ein dritter gehörte dem Gemeinsamen Kommando an. Per Telefon ließen sie sich die Echtheit des Personalausweises von Federico Jorge Tatter bestätigen, was den Schluß nahelegt, dass sie dem Sicherheitsdienst angehörten.
Nachdem sie die Wohnung ausführlich durchsucht und nichts gefunden hatten, nahmen sie Tatter mit und versprachen, ihn bald zurückzubringen.
Seitdem sind alle Unternehmungen, den Aufenthaltsort von Federico Jorge Tatter ausfindig zu machen, erfolglos geblieben.
Tatters Frau, Idalina R. de Tatter, die bei der Verhaftung anwesend war, beschreibt die Vorgänge am 15. Oktober 1976:

"Am 15. 10.76 drang eine Gruppe von Personen um 18 Uhr in unsere Wohnung, Straße General Urquiza, C. F Nr. 133, ein und fragte nach "Federico, der Radios repariert" : Ohne daß ich Zeit zu antworten hatte, sagten sie mir dass sie vom "Heer" seien, und drangen ins Innere der Werkstatt und der Wohnung ein. Es waren 6 - 7 Personen. Drei von ihnen trugen Uniform. Alle waren sie stark bewaffnet. Mein Mann befand sich in der Küche und trank Kaffee. Er mußte sich gegen die Wand stellen. Sie begannen, ihm Fragen zu stellen, während andere genauestens die Wohnung untersuchten. Dann konzentrierten sie die Fragen auf meinen Sohn, Federico Jorge Tatter, 17 Jahre, der zu dem Zeitpunkt nicht zu Hause war.
Gegen 20 Uhr zogen sie sich zurück, nachdem sie alles getrunken und gegessen hatten, was sie finden konnten. Sie nahmen meinen Mann mit in Autos, die sie auf dem Bürgersteig geparkt hatten, und sagten mir, daß mein Mann am nächsten Tag sofort zurückkehren kann. Drei aus der Gruppe blieben im Haus und zwangen mich, die Tür zu öffnen, wenn es klingelt. Sie selber versteckten sich hinter einer spanischen Wand und bedrohten mich mit einer Maschinenpistole. Als ich nach dem Warum ihres Tuns fragte, antworteten sie mir, daß sie auf meinen Sohn warteten. Zweimal telefonierten sie mit ihren Vorgesetzten, um die - wie sie es nannten - "Wachablösung" vorzunehmen. Der Kommandant der Aktion schickte einen Untergebenen fort um die Echtheit des Personalausweises meines Mannes zu überprüfen. Nach kurzer Zeit kehrte er zurück und bestätigte die Echtheit. Außerdem sagten sie mir, dass ich weder das Kommissariat noch die Bereitschaftswache anrufen solle, weil diese schon benachrichtigt wurden.
Seitdem waren meine Anstrengungen, den Aufenthalt meines Mannes zu erfahren, erfolglos. Ich habe etwa 20 Habeas-Corpus-Gesuche präsentiert, Briefe geschrieben ans Innen- und ans Verteidigungsministerium, Kasernen, Polizeikommissariate, Gefängnisse. Außerdem wurde ich vorstellig bei Kirchen, nationalen und internationalen Menschenrechtsorganisationen."