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Zertifizierung von Agrotreibstoffen

 

Die Verlängerung des Erdölzeitalters und die Privatisierung des Rechts


Thomas Fritz

Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika – FDCL
www.fdcl.org

Berlin, November 2008








Photos: Kurt Damm (FDCL)

 

Zertifizierung von Agrotreibstoffen

Die Verlängerung des Erdölzeitalters und die Privatisierung des Rechts

Thomas Fritz, Berlin, November 2008

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Der Norden definiert „Nachhaltigkeit”

„Nachhaltigkeitszertifikate”für Agrotreibstoffe sollen dem Anspruch nach a) zu einem umwelt- und sozialverträglichen Anbau der energetisch verwendeten Biomasse, b) zu einer Mindesteinsparung der Klimagas-Emissionen im Vergleich zu fossilen Kraftstoffen sowie c) mitunter auch zur Ernährungssicherheit beitragen.
Das aus internationalistischer Perspektive auffälligste Faktum aber ist: Die Zertifizierungssysteme werden im Norden entwickelt, von diversen privaten Initiativen und von Regierungen, so etwa in Großbritannien, in den Niederlanden, in Deutschland und auf der Ebene der Europäischen Union. In einzelnen Ländern wie der Schweiz und Schweden sind Agrosprit-Zertifizierungen bereits eingeführt worden.
Interessengruppen in Industriestaaten, vor allem Unternehmen und Regierungen, reklamieren damit die Definitionshoheit über das, was eine „nachhaltige”Produktionsweise auszeichnen soll. Sie beauftragen Forschungseinrichtungen mit der Entwicklung von Methoden zur Nachhaltigkeitsbewertung von Agrotreibstoffen, die bei Biomasse-Importen zugrunde gelegt und zugleich als Referenz für internationale Standards dienen sollen.[1]
Damit bestimmt der Norden nicht nur über die „Nachhaltigkeit”, sondern auch über die „Handelbarkeit”von Agrar- und Forstprodukten, die er als größter Energieverbraucher und Klimasünder der Welt energetisch nutzen will. Unverblümt beansprucht etwa der deutsche Umweltminister Sigmar Gabriel, der Richter über die Nachhaltigkeit der brasilianischen Ethanolproduktion zu sein. Man müsse den Brasilianern „die Chance geben, uns durch Zertifikate zu beweisen, dass es machbar ist,”meinte Gabriel bei seinem Brasilienbesuch im April dieses Jahres.”[2] Es darf nicht verwundern, wenn diese gönnerhafte Attitüde in der brasilianischen Zivilgesellschaft auf wenig Gegenliebe stößt.

Der Staat verlängert das Erdölzeitalter
Agrotreibstoffe sind für die Industriestaaten und ihre Unternehmen von strategischer Bedeutung. Per Beimischung zu Benzin oder Diesel ermöglichen sie die Streckung der fossilen Treibstoffe, auf die die gesamte Wirtschaft angewiesen ist. Agrosprit trägt damit unweigerlich zur Verlängerung der erdölabhängigen Produktions- und Konsumweise bei, und nicht zu dem aus Klimaschutzgründen erforderlichen Ausstieg aus dem Fossilismus. Daher ist es auch irreführend, den Pflanzensprit als Instrument des Klimaschutzes darzustellen. Dies ignoriert seine reale Funktion.
Der vergangene Boom der Rohstoffpreise ließ die Verknappung des fossilen Öls erstmals ökonomisch spürbar werden. Erst seit wenigen Jahren registrieren internationale Organisationen eine erhebliche Verteuerung der Explorations- und Förderkosten des Erdöls. Aufgrund dieser Verteuerung messen Regierungen und Industrie Agrosprit als Substitut der fossilen Treibstoffe eine hohe strategische Bedeutung bei.
Aufgrund dieser strategischen Bedeutung sind es auch nicht mehr nur private Initiativen, die „Nachhaltigkeitsstandards”für Agrotreibstoffe entwickeln, sondern die Staaten selbst. Allerdings handelt es sich bei den Systemen, die derzeit in Großbritannien, Deutschland und den Niederlanden entwickelt werden, um Meta-Standards, die verschiedene private Zertifikate zulassen würden. Die staatlichen Meta-Standards definieren einen Satz allgemein gehaltener Mindeststandards, denen Zertifizierungssysteme für die verschiedenen Agrotreibstoffe genügen müssen, um anerkannt zu werden. Nur Agrosprit mit staatlich anerkannten „Nachhaltigkeits”-Zertifikaten kann dann auf die obligatorischen Beimischungsquoten angerechnet werden.
In Europa kommt eine weitere Ebene hinzu: Die nationalen Meta-Standards der Mitglieder der Europäischen Union dürfen nicht über den derzeit ebenfalls verhandelten EU-Meta-Standard hinausgehen. Die EU setzt in gewisser Weise den „Meta-Meta-Standard”für Agrosprit-Zertifikate, die in der Gemeinschaft anrechnungsfähig sein werden.
Die hohe strategische Bedeutung der pflanzlichen Energie stellt einen wesentlichen Unterschied zu traditionellen Produkten des fairen Handels dar. Zu keiner Zeit bestand für die Industriestaaten eine besondere Notwendigkeit, selbst „Nachhaltigkeitsstandards”etwa für Kaffee oder Bananen zu definieren. Dies sind für Industriestaaten keine strategisch bedeutsamen Produkte.
Die von Regierungen definierten Agrosprit-Standards sind insofern auch nicht einfach „potenzielle Handelshemmnisse”, so die irreführende Behauptung neoliberaler ÖkonomInnen. Vielmehr handelt es sich um staatlich regulierte Unbedenklichkeitsbescheinigungen für die Produktion von und den Handel mit Biomasse. Je nach Bedarf können die Standards stärker oder schwächer ausfallen. Sofern die Versorgung durch inländische Hersteller sichergestellt ist, können sie daher auch – ähnlich den Außenzöllen – einem protektionistischen Zweck dienen.

Kopplung an Wachstumsregime
Die Meta-Standards sind aber nur eines der Instrumente zur Regulierung des Biomasse-Nachschubs. Ein anderes, von den Zertifikaten untrennbares Instrument, sind die Beimischungsquoten. Die Quoten, so wie sie derzeit ausgestaltet sind, verknüpfen die Nachhaltigkeitszertifikate mit einem Wachstumsregime: Durchgängig steigen sie über lange Zeiträume und erzeugen damit eine wachsende Biomassenachfrage. So ist in der Europäischen Union geplant, das Beimischungsziel bis zum Jahr 2020 auf 10 Prozent steigen zu lassen. Dies ist ein bedeutsamer Unterschied etwa zum Klimaregime, das die Ausgabe von Zertifikaten an eine Verminderung von Treibhausgas-Emissionen koppelt.
Zudem ist die Beimischungsverpflichtung in der EU und in verschiedenen anderen Ländern als prozentuale Quote ausgestaltet. Selbst wenn der Prozentsatz über einen gewissen Zeitraum stabilisiert werden sollte, wie jüngst in Deutschland beschlossen,[3] würde die Beimischungsmenge steigen, solange sich der gesamte Treibstoffverbrauch erhöht. Hinzu kommt, dass auch jenseits der staatlichen Quoten Agrokraftstoffe eingesetzt werden können. Die Beimischungsziele garantieren insofern nur eine steigende Mindestnachfrage. Die Gesamtnachfrage kann ungeachtet der Beimischungsquoten de facto noch höher ausfallen.
Solange die „Nachhaltigkeits”-Zertifikate in dieses Wachstumsregime eingebunden sind, leisten auch sie eher einen Beitrag zur Verlängerung der Erdölabhängigkeit denn zum erforderlichen Ausstieg – völlig unabhängig davon, wie anspruchsvoll sie im Einzelnen ausgestaltet sein mögen.

Konflikt mit Ernährungssicherheit

Aufgrund der Kopplung an das Wachstumsregime erscheint es fragwürdig, den Begriff der „Nachhaltigkeit”auf Agrotreibstoff-Zertifikate anzuwenden. Die Ansprüche an die Land- und Forstwirtschaft steigen weltweit, während das Produktivitätswachstum vor allem in der Landwirtschaft schrumpft. Die konkurrierende und permanent steigende Nachfrage nach „food, feed, fiber and fuel”ist daher immer schwerer und kaum noch auf tragfähige Weise zu befriedigen.
Um die entstehenden Nutzungskonflikte, etwa um knappe Ressourcen wie Wasser und Land, zu entschärfen, müssten die Zertifikate in ein die Stoffströme reduzierendes Regulierungssystem integriert werden, mithin das genaue Gegenteil der jetzigen Situation. Es macht wenig Sinn, von „Nachhaltigkeitszertifikaten”zu sprechen, wenn damit ausschließlich Produktionskriterien gemeint sind und die steigende Nachfrage ausgeblendet bleibt.
Aufgrund dieser Kopplung mit einer wachsenden Biomasse-Nachfrage vermögen Agrotreibstoff-Zertifikate per se auch nicht die Preiseffekte zu dämpfen, die entscheidend waren bei der jüngsten Verschärfung der strukturellen Nahrungskrise. Ein großer Teil der Länder des Südens wandelte sich seit der Schuldenkrise der 80er Jahre und unter dem Druck der Strukturanpassungsprogramme zu Netto-Nahrungsmittelimporteuren. Seither sind sie extrem verwundbar gegenüber der zunehmenden Volatilität der Nahrungsmittelpreise.
Von der Preiswirksamkeit der steigenden Agroenergienachfrage sind dabei auch jene Nahrungsdefizit-Länder betroffen, die gar nicht selbst in den großflächigen Anbau agroenergetischer Cash Crops einsteigen. Aus diesem Grunde greift Zertifizierung, die sich ausschließlich auf die Produktionsseite bezieht, zu kurz. Sie könnte nur dann die Ernährungssicherheit effektiv verbessern, wenn sie zu einer Stabilisierung des Preisniveaus von Agrargütern beitragen oder die physische Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln in den Defizit-Ländern sicherstellen würde. Dies kann Zertifizierung aber solange nicht leisten, wie sie an das Regime der steigende Biomassenachfrage gekoppelt bleibt. Ihre potenzielle Wirksamkeit wird durch die steigende Nachfrage konterkariert.

Wettbewerb um schwächste Standards
Künftig werden Zertifizierungssysteme für Agrokraftstoffe den staatlichen Mindestanforderungen genügen müssen. Indes: Der Staat gibt mit seinen Meta-Standards nur den groben Rahmen vor. Wie dieser gefüllt wird, bleibt den verschiedenen Siegelinitiativen selbst überlassen. Private Gütesiegel und die mit der Prüfung von Energieplantagen beauftragten Auditoren beantragen bei staatlichen Stellen die Anerkennung. Erfüllen sie die Anforderungen der Meta-Standards, werden sie zugelassen und die von ihnen ausgegebenen Gütesiegel können auf die Erfüllung der Beimischungsquoten angerechnet werden.
Da die Meta-Standards aber überaus allgemein gehalten sind, eröffnen sie den Zertifizierungssystemen erhebliche Spielräume bei der Erfüllung der staatlichen Vorgaben. Insofern muss damit gerechnet werden, dass es konkurrierende Systeme für dieselben Energiepflanzen geben wird. Der Wettbewerb zwischen Siegeln mit unterschiedlichem Anspruchsniveau ist – nicht zuletzt wegen der stets geforderten „WTO-Kompatibilität”– zugelassen. Ein solcher Wettbewerb setzte etwa im Bereich der forstwirtschaftlichen Zertifizierung ein und führte beim vergleichsweise anspruchsvollen System des Forest Stewardship Council (FSC) zu einer Lockerung der ursprünglichen Standards.
Die Auditoren sind zumeist kommerzielle Unternehmen, die von den Plantagen, die die Zertifizierung wünschen, bezahlt werden. Auditoren und Plantagen haben folglich das gleiche wirtschaftliche Interesse an der Ausstellung eines Zertifikats, was die Unabhängigkeit der Kontrolle beeinträchtigt und in der Praxis immer wieder zu Missbrauch führt. Zudem gibt es auch unter den Auditoren einen Wettbewerb, sodass Energieplantagen mitunter die ihnen genehmen Zertifizierungsunternehmen auswählen können.
Die Zertifizierung stellt mithin selbst ein Geschäft dar. Für das Auditorengewerbe sind die Agrotreibstoffsiegel von großem wirtschaftlichen Interesse. Anders als beim fairen Handel handelt es sich wegen der nun anstehenden Zertifizierungspflicht nicht mehr um eine Marktnische, sondern um einen Massenmarkt. Mehr noch: Würde, wie vielfach gefordert, diese Zertifizierungspflicht nicht nur auf Agrotreibstoffe beschränkt, sondern auf sämtliche Biomasse ausgedehnt, könnte der Markt für die kommerziellen Auditoren noch einmal erheblich wachsen. Wer sich bei den Agrotreibstoffsiegeln Marktanteile sichert, erwirbt Wettbewerbsvorteile bei einer möglichen Ausdehnung der Zertifizierungspflicht auf andere Arten von Biomasse.
Da es sich um einen Massenmarkt handeln wird, ist zu bezweifeln, dass auf die anspruchsvollsten Siegel die größten Marktanteile entfallen werden. Diese Skepsis stützt sich auf die Erfahrungen mit der Waldzertifizierung. Auf den anspruchsvolleren FSC entfallen 2 Prozent der weltweiten Forstgebiete, auf das schwächere Siegel des PEFC (Program for Endorsement of Forest Certification) dagegen 4 Prozent.[4] Bei den großen Märkten, die nun mit der Agrosprit-Zertifizierung geschaffen werden, haben schwache Siegel, die sich auf wenige Kriterien beschränken, klare Vorteile gegenüber anspruchsvolleren Systemen.

Die Privatisierung des Rechts
Da die staatlichen Meta-Standards den Marktteilnehmern große Spielräume bei der Ausgestaltung der Zertifizierungssysteme einräumen, kommt hier einmal mehr das neoliberale Konzept eines „schlanken”Staates zum Tragen, der sich auf die Rolle des Moderators beschränkt. Der „Gewährleistungsstaat”zieht sich sowohl aus der Konkretisierung der Meta-Standards als auch aus ihrer Umsetzung und Kontrolle zurück. Dieses gesamte für die Rechtswirklichkeit relevante Feld überlässt er den Marktteilnehmern. Obgleich der Staat also aus strategischen Gründen in die Standardisierung der Agrotreibstoffproduktion eingreift, tut er dies in der Form einer Privatisierung des Rechts.
Die Privatisierung des Rechts beeinträchtigt jedoch in besondere Weise ökologische und soziale Anliegen sowie die Interessen marginalisierter gesellschaftlicher Gruppen. Der Roundtable on Sustainable Palm Oil (RSPO) etwa, der sich eine Anerkennung nach den staatlichen Meta-Systemen erhofft, wird sowohl in seiner Mitgliedschaft als auch in seinem Vorstand durch Industrievertreter dominiert.[5] Gewerkschaften hingegen sind nicht vertreten. Selbst nach konventionellen Maßstäben könnte ein solches System kaum demokratische Legitimität beanspruchen.
Die Privatisierung des Rechts ermöglicht es den von Unternehmen dominierten oder lancierten Siegelinitiativen, schwache Standards zu setzen und laxe Kontrollen durchzuführen. Gleichwohl existieren zahlreiche anspruchsvollere Siegel des ökologischen oder fairen Handels, die gerade marginalisierten Interessen ein weit höheres Gewicht einräumen. Zudem reagierten diese Systeme häufig auf das Faktum, dass der Staat seiner Pflicht nicht nachkommt. Wenn Regierungen nicht bereit sind, für soziale und ökologische Produktionsbedingungen zu sorgen, machen wir wenigstens einen Anfang mit einzelnen Produkten, so das völlig legitime Motiv vieler Initiativen des öko-fairen Handels.
Diese ursprünglich progressive Funktion der traditionellen Umwelt- und Sozialsiegel ändert sich aber, wenn der Staat im Zuge der neoliberalen Gegenreform entscheidet, sich grundsätzlich aus der Konkretisierung von Standards und ihrer Kontrolle herauszuhalten. Umwelt- und Sozialsiegel werden dann funktional für das Konzept des „schlanken”Staates, der nur noch einen groben Rechtsrahmen vorgibt und die Rechtswirklichkeit dem freien Spiel der gesellschaftlichen Kräfte überlässt – ein Spiel, bei dem die schwächeren Kräfte systematisch verlieren. Die Leidtragenden sind Landlose, Kleinbauern, LandarbeiterInnen und einkommensschwache VerbraucherInnen auf dem Land und in der Stadt.

Ungleiche Entwicklung begrenzt Wirksamkeit
Allein haben die Siegelinitiativen weder Mittel noch Möglichkeiten, um die Standards wirklich effektiv durchzusetzen. Was sie leisten können, hängt maßgeblich von der Regulierungskapazität der Staaten ab, in denen die Siegel vergeben werden. Auch die privaten Zertifizierungssysteme profitieren davon, wenn Umwelt- und Sozialgesetze von staatlichen Behörden effektiv kontrolliert werden können. Sie sind keinesfalls in der Lage, die Rolle eines intervenierenden und kontrollierenden Staates zu ersetzen. Dies gilt unabhängig vom Anspruchsniveau der einzelnen Siegel.
Das Konzept des „schlanken Staates”hat sich seit der Schuldenkrise und unter dem Druck der Strukturanpassungsprogramme globalisiert. Es ist zur dominanten Doktrin in Wirtschaft und Politik geworden. Gleichwohl fällt die Regulierungskapazität der Staaten extrem unterschiedlich aus. Sie ist bestimmt durch die ungleiche Entwicklung im Weltsystem. Während Industrieländer nach wie vor über die finanziellen und personellen Ressourcen für eine halbwegs effektive Regulierung verfügen, mangelt es daran in vielen Ländern des Südens. Die globale Ungleichheit trägt entscheidend dazu bei, dass Umwelt- und Sozialstandards im Norden erheblich leichter durchsetzbar sind.
So kann es kaum überraschen, wenn Nichtregierungsorganisationen dem Forest Stewardship Council in Deutschland eine höhere Effektivität bescheinigen als in Ländern des Südens. In einer Stellungnahme der Umweltorganisation Robin Wood heißt es beispielsweise: „In Ländern wie der Bundesrepublik funktioniert der FSC nach Ansicht der meisten Umweltverbände gut, denn Umweltschutz- und Sozialinteressen werden über die beteiligten NGOs gut in das FSC-Regelwerk eingebracht. In den Ländern des globalen Südens machen sich auch beim FSC grundlegende Systemfehler von Multi-Stakeholderprozessen bemerkbar. Die Partizipation der Menschen vor Ort ist aus vielen Gründen oftmals unzureichend. Dies führt auch beim FSC zu Zertifikaten, die sehr kontrovers sind.”[6]
Tatsächlich forderten bereits Umweltgruppen mehrerer Länder, darunter Brasilien, Kolumbien, Ecuador und Südafrika, der FSC solle einer Reihe von Firmen das ihnen verliehene Gütesiegel wieder aberkennen. Dabei handelte es sich um Monokulturen wie Eukalyptus- oder Pinien-Plantagen, die gegen die Grundsätze des FSC verstießen.[7] Diese Erfahrungen verdeutlichen, dass die globale Ungleichheit, mithin das Gefälle bei der staatlichen Regulierungskapazität, einen wichtigen Einfluss auf die Effektivität aller Zertifizierungen ausübt.

Fazit
Wenn die Zertifizierung von Agrotreibstoffen nicht bloß ein neues Geschäftsfeld für kommerzielle Auditoren, sondern ein wirksamer Beitrag zu einer „nachhaltigen”Entwicklung sein soll, müssten vor allem zwei Voraussetzungen erfüllt sein:
a)Die Siegelinitiativen müssten in dem Sinne demokratisch sein, dass sie die Rolle marginalisierter gesellschaftlicher Gruppen der Anbauländer gegenüber Staat und Unternehmen stärken. Diese Gruppen wären nicht nur bei der Formulierung von Standards einzubinden, sondern auch bei der Kontrolle ihrer Einhaltung. Ferner dürfte der Staat nicht aus der Verantwortung entlassen werden. Zertifizierungen müssten vielmehr dazu beitragen, dass sich staatliche Behörden konsequent für die Einhaltung von Umwelt- und Sozialstandards einsetzen.
b)Es wäre daneben notwendig, die Agrotreibstoff-Zertifizierung von dem derzeitigen Regime einer wachsenden Biomasse-Nachfrage zu entkoppeln. Dies ist grundsätzlich auch möglich. Die naheliegendsten Schritte in den Industrieländern wären ein Moratorium bei den Beimischungszielen und eine Verwendung ausschließlich von inländischen Rohstoffen, soweit Agroenergie als unverzichtbar für eine Energiewende betrachtet wird. Daneben bedürfte es selbstverständlich spürbarer Verbrauchssenkungen bei fossilen Energieträgern und bei Futtermitteln. Letztere belegen erhebliche Flächen im Ausland und stellen eine unnötige Konkurrenz zur Nahrungsmittelerzeugung dar.

Fußnoten:

[1] Für eine Übersicht siehe: Jinke van Dam et al: Overview of recent developments in sustainable biomass certification. IEA Bioenergy Task 40, Dezember 2006.

[2] Zitiert in: Christian Russau: Agro und Atom. Brasilien und Deutschland unterzeichnen Energieabkommen und verlängern den Atomvertrag. In: Lateinamerika Nachrichten, 408, Juni 2008.

[3] Die deutsche Bundesregierung setzte am 22.10.2008 die Beimischungsquote für 2009 auf 5,25% fest, in den Jahren 2010 bis 2014 soll die Quote vorerst 6,25% betragen. Für 2011 ist ein Überprüfung des Beimischungsziels vorgesehen.

[4] Vgl. Umweltbundesamt: Criteria for a Sustainable Use of Bioenergy on a Global Scale. UBA Texte, 30/08, August 2008.

[5]  Von den 16 Mitgliedern des RSPO-Executive Board gehören 4 Umwelt- und Entwicklungs-NGOs an, der Rest entfällt auf die Industrie. Von den zwölf Plätzen für die Industrie ist lediglich ein Platz für einen Vertreter des Kleinbauern-Sektors reserviert. In der RSPO-Mitgliedschaft ist das Missverhältnis noch ausgeprägter. Unter den 253 ordentlichen Mitgliedern finden sich 9 Entwicklungs- und 11 Umwelt-NGOs. Siehe: www.rspo.org

[6]  Stellungnahme von Peter Gerhardt, Robin Wood. Anhörung des Deutschen Bundestages: Biomasse – Chancen und Risiken. Berlin, 20.2.2008.

[7]  Organizations from eight countries demand the FSC to withdraw its ‘green label’ to several plantation companies. Pressemitteilung, World Rainforest Movement, 1.9.2006.


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