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Internationale Fachtagung der Heinrich Böll Stiftung und des Forschungs- und Dokumentationszentrums Chile-Lateinamerika (FDCL) vom 2.-3.Juni 2006 in Berlin

"Patented New World?"

"Geistiges Eigentum " versus Entwicklung und Menschenrechte im Nord-Süd-Konflikt

mit Maristela Basso (Instituto de Direito do Comércio Internacional e Desenvolvimento - IDCID), Eric Noehrenberg (International Federation of Pharmaceutical Manufactures and Associations - IFPMA), James Love (Consumer Project on Technology - CPTech), Jean-Pierre Leroy (Federação de Órgãos para Assistência Social e Educacional - FASE), Thomas Fritz (Berliner Landesarbeitsgemeinschaft Umwelt und Entwicklung – BLUE21), Cícero Gontijo (Fundação Getúlio Vargas - FGV), Pedro Velasco Martins (Directorate General for Trade der EU-Kommission – DG Trade), Veriano Terto Júnior (Associação Brasileira Interdisciplinar de AIDS - ABIA), Michael Stolpe (Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel – ifw)

 

Die internationale Fachtagung der Heinrich Böll Stiftung und des Forschungs- und Dokumentationszentrums Chile-Lateinamerika (FDCL) Patented New World? "Geistiges Eigentum" versus Entwicklung und Menschenrechte im Nord-Süd-Konflikt widmete sich vom 2.-3.Juni 2005 den Fragen, welchen Einfluß das internationale "Geistige Eigentumsrecht" auf die Gestaltung der Nord-Süd-Beziehungen ausübt, wer in den vielfältigen internationalen bilateralen und multilateralen Verhandlungen welche Interessen bei welcher Verhandlungsmacht in den verschiedenen Gremien, die sich weltweit mit "Geistigem Eigentum" beschäftigen, verfolgt und welche Herausforderungen aus dem bestehenden System internationalen "Geistigen Eigentumsrechts" sich nicht zuletzt für zivilgesellschaftliches Engagement ergeben?

 

 

Auf der Abendveranstaltung vom 2. Juni 2005 gab Frau Maristela Basso vom Instituto de Direito do Comércio Internacional e Desenvolvimento (IDCID) in São Paulo, Brasilien, zunächst einen ausführlichen Überblick über das internationale "Geistige Eigentumsrecht" in seinen multi- und bilateralen Facetten und deren Verschaltung mit der nationalen Gesetzgebung in Brasilien dar.

 

Mit der Gründung der Welthandelsorganisation WTO im Jahr 1995 aus dem seit 1947 bestehenden GATT (General Agreement on Tarriffs and Trade) - und der Aufnahme des Themas des "Geistigen Eigentums" neben der Themen "Güterhandel" und "Dienstleistungen" als dritten Schwerpunkt der welthandelspolitischen Liberalisierungsagenda der WTO - bekam die UN-Organisation Weltorganisation für Geistiges Eigentum (WIPO) ernsthafte Konkurrenz in Form eines ebenfalls multilateralen Gremiums, welches sich gleichwohl dem Thema "Geistigen Eigentums" aus der handelspolitischen Perspektive der Liberalisierung widmet und damit für die Länder des "Südens", die "Entwicklungsländer" ("países em desenvolvimento e menor desenvolvimento relativo"), den von den Industrieländern im Bereich "Geistigen Eigentums" schon in der WIPO aufgebauten Druck weiter verstärke: Während die WIPO, eingebettet in das UN-System, ihren normativen Ansatz aus den UN- Kernthemen von "Frieden und Sicherheit", "Menschenrechte", "Umwelt", "Völkerrecht" sowie "Wirtschaftliche und soziale Entwicklung" beziehe, speise sich der normative Ansatz der WTO aus handelspolitischer Liberalisierung, die – so nicht selten der Verdacht der Länder des "Südens" – im Interesse der Konsolidierung und Ausweitung der bestehenden Marktmacht der Länder des "Nordens" und ihrer Industrien stehe. Das TRIPS-Abkommen ("Abkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums") wurde seit Anbeginn von den Ländern des "Südens" als Maximalforderung der Industrieländer betrachtet, die ohnehin den Ländern des "Südens" viel abverlangen würden, und außerdem keine Studie bislang aufzuzeigen vermochte, daß seit Gründung der WTO bei einem der Länder des "Südens", die die TRIPS-Standards umgesetzt haben, in den entsprechenden Wirtschaftsbereichen Wirtschaftswachstum zu verzeichnen gewesen sei. - Erhöht und ergänzt werde dieser Druck allerdings durch die bilaterale Ebene verschiedener "TRIPS-PLUS"-Varianten.

 

Einerseits werde der bilaterale Druck in der Vielzahl der weltweit existierenden bilateralen Investitionsabkommen (BIT) erhöht, in denen "Geistiges Eigentum" - als ein Paragraph versteckt unter vielen – durch das Prinzip der Meistbegünstigungsklausel (Most Favoured Nation - MFN) sich qua Vertrag stets in der weitestgehenden Form ausbreite: Gestehe ein Land einem anderen weitergehende Rechte als anderen Ländern zu, so bewirke das Prinzip der Meistbegünstigungsklausel, daß jeweils die weitestgehende "Rechte" automatisch auch allen anderen Ländern zukommen, die mit dem jeweiligen Land ein bilaterales Investitionsabkommen ratifiziert haben. Das Prinzip der Inländergleichbehandlung ("national Treatment – NT") sowie die weite Auslegung der Definition des Begriffs "Investition" erschwere die nationalstaatlichen Rechte der Patent- und Lizenzaberkennung sowie die Möglichkeit der Erteiling von Zwangslizenzen durch die Empfängerländer, begrenze die Pflichten der Patentinhaber, indem staatliche Auflagen zu Technologietransfer und lokaler Produktion und Ausbeute untersagt werden, und erweitere somit einseitig die Rechte der Patentinhaber. Hinzu komme im System der bilateralen Investitionsabkommen die im Welthandelssystem der WTO nicht vorgesehene Möglichkeit des "investor-to-state"-Klagerechts: Bilaterale Investitionsabkommen geben Investoren die Möglichkeit, vor internationalen Schiedsstellen wie dem ICSID, UNCITRAL oder ICC gegen lokale, regionale oder nationalstaatliche Politik als anerkanntes Rechtssubjekt vor einem internationalen Tribunal Klage gegen "Diskriminierungen" und "Enteignungen" einzureichen. Mit diesem Rechtskonstrukt auf internationaler Ebene werde zum einen der völkerrechtlich anerkannte Grundsatz der vorrangigen Ausschöpfung des nationalen Rechtsweges abgeschafft und der Handlungsspielraum der jeweiligen Regierungen, – im Fall der "Geistigen Eigentumsrechte" – eine autonome Patent- und Lizenzpolitik durchzuführen, enorm beschnitten.

Frau Basso führte weiter aus, daß dieser bilaterale Druck durch die Länder des "Nordens" auf die des "Südens" ergänzt werde, sowohl in den regionalen Freihandelsverhandlungen ("Regional Trade Agreements – RTA"), die – als Sonderfall des Bilateralismus – beispielsweise in den Amerikas unter dem Stichwort "ALCA" ("FTAA") von 34 Staaten der amerikanischen Kontinente und zwischen der Europäischen Union (EU) und dem Gemeinsamen Markt des Südens (MERCOSUR) geführt werden, als auch durch die jeweiligen nationalen Länderberichte der Länder des "Nordens": die USA und die EU beobachten und überwachen in ihren jährlichen Berichten ("special 301" des US Trade Representaive – USTR, sowie die EU-Kommission über ihren Aktionsplan zur Überwachung der Einhaltung der Geistigen Eigentumsrechte in Drittländern, "action plan for the enforcement of intellectual property rights (IPR) in third countries") die Aktivitäten von Drittländern und behalten sich das Recht auf handelspolitische Maßnahmen oder andere Bestrafungen vor.

Die Länder des "Südens" stehen, so das Resümée Frau Bassos, somit vor dem Dilemma, daß sie einerseits in der WTO die multilaterale Verhandlungsagenda des TRIPS mittragen müssten, obwohl TRIPS für sie schon fast unerreichbare Maximalforderungen darstellen, daß sie andererseits unter bilateralem Druck der diversen TRIPS-PLUS-Varianten stehen, so daß die in der WTO als Maximalforderung gehandelten TRIPS-Vorschläge im Vergleich zum TRIPS-PLUS der bilateralen Ebene die Minimalvariante darstellen. Doch schon die Verhandlungsinhalte und ihnen impliziten Forderungen der Länder des "Nordens" in dieser "relativen Minimalvariante" des TRIPS der multilateralen WTO zeigen – spätestens im Hinblick auf die mit der 2001 in der WTO verabschiedeten Doha-Entwicklungs-Agenda (DDA) – daß das Versprechen der Industrieländer, sich im Rahmen der WTO für Prinzipien und Inhalte einzusetzen, die Entwicklung garantieren, bisher nicht eingehalten wurde ("promessa descumprida") und daß es stattdessen zu einer Neudefinition der Inhalte und Ziele internationalen Immaterialgüterrechts (IPR) kommen müsse, in welcher eine "kontext-sensitive" Auslegung "Geistigen Eigentumsrecht", vor allem im Hinblick auf den unterschiedlichen Entwicklungsstand der jeweiligen Länder, Priorität zu genießen habe.

 

Eric Noehrenberg von der Federation of Pharmaceutical Manufactures and Associations (IFPMA) aus Genf betonte in seinem Vortrag über Die internationale Verhandlungsagenda über Schutz geistiger Eigentumsrechte aus Sicht der IFPMA die Notwendigkeit von Dialog zwischen Regierungen und Pharmaindustrie, von Zivilgesellschaft und Institutionen, um dergestalt sicherzustellen, daß Lösungen für Krankheiten und Epidemien, daß medizinische und pharmazeutische Innovationen gemeinsam gefunden werden. Er verwies sowohl auf die Konflikte zwischen Pharma- und Generikaproduzenten im Bereich der Bioäquivalenz von Generika und der "Similares" in Brasilien, auf die teilweise langwierigen Prozesse der Patentanerkennung in verschiedenen Drittländern, auf die zunehmend fallenden Preise von patentierten Pharmaka im Wettbewerbsdruck als auch darauf, daß der zur Diskussion stehende und auch in der Presse stets bemühte Konflikt zwischen "Nord" und "Süd", der sich im Bereich von Gesundheitsversorgung, Medikamenten und Pharmaproduktion abspiele, angesichts der Tatsache, daß die IFPMA nicht nur Mitglieder in den Industrieländern, sondern auch Mitglieder in vielen Ländern des "Südens" habe, die über eine ganze Reihe von pharmazeutischen Patenten verfügten, und daß es deshalb ein fundamentales Mißverständnis sei zu glauben, für die Länder des "Südens" wären Patente auf pharmazeutische Produkte schlecht.

Eric Noehrenberg sprach sich gegen Zwangslizenzen und Parallelimporte aus und verwies auf das System der "Liste der Essenziellen Heilmittel" der WHO (Essential Medicines List), das Kranken in ausgewählten Ländern Zugang zu lebensnotwendigen Medikamenten zum Selbstkostenpreis zur Verfügung stellt. 96% der lebensnotwendigen Medikamente weltweit seien nicht patentiert, in Afrika näherten sich diese Zahlen an 99%. Eine Ausnahme stellten allerdings antiretrovirale Medikamente aus der AIDS-Forschung dar, doch in – beispielsweise im südlichen Afrika – seien diese Medikamente gleichfalls nicht patentiert. IFPMA ist an der Accelerating Access Initiative in Zusammenarbeit mit der UNO und nationalen Regierungen beteiligt, um AIDS-Medikamente unter Produktionskosten in betroffenen Ländern des "Südens" für 330.000 Patienten (Stand Dezember 2004) anbieten zu können. - Dem brasilianischen AIDS-Programm attestierte er eine eminent wichtige Rolle, sprach sich aber für Kooperation statt Konflikt aus, auch weil die Produktion von HIV-Medikamenten, die Bekämpfung von Krankheiten und Epidemien weltweit nur mithilfe und in Kooperation mit der Pharmaindustrie bewerkstelligt werden könne.

 

James Love vom Consumer Project on Technology (CPTech) aus Washington widersprach den vorigen Ausführungen, mit dem Hinweis darauf, daß das Problem des Zugangs zu lebensnotwendigen Medikamenten nicht auf AIDS-Medikamente beschränkt sei, sondern eine ganze Reihe von Krankheiten beträfe, für die es nur Medikamente gebe, deren Patentschutz sie für einen Großteil von Kranken, vor allem in den "Entwicklungsländern", unerschwinglich mache. Pharmakapreise für patentierte AIDS-Medikamente seien in den letzten Jahren sehr wohl gefallen – von ca. 10.000 US-$ 1999 auf ca. 350 US-$ 2001 für den Cocktail der anti-retroviralen Therapie - , aber dies nicht aufgrund sozialen Engagements der Pharma-Industrie, sondern weil es einerseits in den letzten Jahren eine Reihe von starken Kampagnen für Zwangslizenzierungen in vielen Ländern gegeben habe, zweitens das Preisniveau 1999 durch das Marktmonopol patentgeschützter Produkte bestimmt wurde und drittens das Patentsystem des Immaterialgüterrechts freien Wettbewerb behindere. Auf der Liste der Essentiellen Medikamente befinden sich laut der letzten CPTech-Erhebung neunzehn patentierte Medikamente, und diese neunzehn Medikamente sind HIV-Medikamente, so daß der Zugang zu essentiellen Medikamenten über die WHO-Liste im Bereich der patentgeschützten Medikamente ein beschränkter ist, der nicht alle Krankheiten und Epidemien beträfe, letztlich weil die Pharmaproduzenten enormen Druck aufbauten und die Aufnahme vieler patentierter, teurer Produkte in die WHO-Liste zu verhindern versuchen.

James Love lieferte dann einen kurzen Überblick über verschiedene welthandelspolitische Entwicklungen im Bereich "Geistigen Eigentums": Auf der IV.Ministerkonferenz der WTO in Doha wurde durch Zusammenarbeit von Regierungen des "Südens" mit NGOs die Doha-Entwicklungsagenda verabschiedet, während ab 2002 in der WIPO von Seiten der Industrieländer die Ausweitung internationalen Patentschutzes forciert wurde und gleichzeitig die technisch-beratende Unterstützung bei der WIPO auf TRIPS-PLUS, US-PLUS, und EU-PLUS hinzuwirken hatte: So hat u.a. das Standing Committee on Patents das neue "Substantive Patent Law Treaty" voranzutreiben versucht, während die Industrieländer zeitgleich versuchten, auch über bilaterale und multilaterale Verhandlungen TRIPS-PLUS, US-PLUS, und EU-PLUS im internationalen Immaterialgüterrecht durchzusetzen.

Andererseits haben NGOs - in Zusammenarbeit mit VertreterInnen der "Entwicklungsländer" bei der WIPO - Anfang 2003 versucht und erreicht, den WIPO-Vorschlag für die anstehende Beijing-Declaration on Intellectual Property and the Knowledge Economy zu modifizieren, aber aufgrund des Widerstands seitens der USA, der Europäischen Union und Patenteigner hat das WIPO-Sekretariat diese Konferenz abgesagt. - Ende 2003 wurde auf dem Treffen in Lissabon des Transatlantischen Verbraucherdialog (TACD), dem Forum der Verbraucherverbände der USA und der EU, das anstehende WIPO-Arbeitsprogramm debattiert, welches im Frühjahr 2004 auf dem nächsten TACD-Treffen in New York, auf Initiative von WIPO-Vertretern aus dem "Süden" und NGOs, in Form des WIPO-Programms über Access to Essential Learning Tools und der Gründung der Advocacy-Initiative "Access to Knowledge" ihre Weiterentwicklung fand.

Auf der Ebene der WIPO wurde zunächst im Sommer 2004 von der EU und den USA neue "fast-track"-Modalitäten für den Vorschlag des "Substantive Law Treaty" eingebracht, bevor im September 2004 von Brasilien, Argentinien und zwölf weiteren Staaten der Vorschlag für eine Entwicklungsagenda der WIPO (Tagungsagenda in A/40/1 Prov.4) eingereicht wurde. Dieser Antrag, "Proposal for Establishing a Development Agenda for WIPO" (WO/GA/31/11) stellt der Durchsetzung internationaler Patentrechte das "Recht auf Entwicklung" entgegen:

"Intellectual property protection is intended as an instrument to promote technological innovation, as well as the transfer and dissemination of technology. Intellectual property protection cannot be seen as an end in itself, nor can the harmonization of intellectual property laws leading to higher protection standards in all countries, irrespective of their levels of development." (WO/GA/31/11, Annex, im Folgenden gleiche Quelle)

 

Angesichts der "wachsenden Schere zwischen armen und reichen Nationen" dürften demnach "Geistige Eigentumsrechte" weder "als Zweck an sich" behandelt werden noch die internationale Durchsetzung dieser Rechte unhinterfragt bleiben, sondern bedürften vielmehr der kontext-sensitiven und mithin flexiblen Anwendung:

"The role of intellectual property and its impact on development must be carefully assessed on a case-by-case basis".

 

Die Arbeit der WIPO, beispielsweise die aktuellen Verhandlungen im "Standing Committee on the Law of Patents" (SCP) zu einem umfassenden Patentrechtsvertrag ("Substantive Patent Law Treaty" - SPLT), müsste "more responsive to public interest concerns and the specific development needs of developing countries" gestaltet werden; ein Gremium der WIPO für Technologietransfer sollte gegründet werden ("a new subsidiary body within WIPO could be established to look at what measures within the IP system could be undertaken to ensure an effective transfer of technology to developing countries"), gekoppelt mit einem "international regime that would promote access by the developing countries to the results of publicly funded research in the developed countries. Such a regime could take the form of a Treaty on Access to Knowledge and Technology". Ferner schlägt der Text eine stärkere Beteiligung der Zivilgesellschaft in der WIPO vor, bei gleichzeitiger strikterer Differenzierung zwischen NGOs und Interessengruppen, so daß dergestalt NGOs als VertreterInnen des öffentlichen Interesses mehr Gewicht erlangen könnten:

"Currently, in WIPO, the term NGO is used to describe both public interest NGOs and user organizations. This creates confusion and does not seem consistent with existing UN practice, as implemented in most of the UN specialized agencies. It is thus necessary, in WIPO, to take appropriate measures to distinguish between user organizations representing the interests of IP right holders and NGOs representing the public interest."

 

Der WIPO als Organisation der Vereinten Nationen obliege die Pflicht, die Erreichung der UN-Entwicklungziele prioritär zu behandeln:

"As a member of the United Nations system, it is incumbent upon the World Intellectual Property Organization (WIPO) to be fully guided by the broad development goals that the UN has set for itself, in particular in the Millennium Development Goals. Development concerns should be fully incorporated into all WIPO activities. WIPO’s role, therefore, is not to be limited to the promotion of intellectual property protection.

WIPO is accordingly already mandated to take into account the broader development-related commitments and resolutions of the UN system as a whole. However, one could also consider the possibility of amending the WIPO Convention (1967) to ensure that the "development dimension" is unequivocally determined to constitute an essential element of the Organization’s work program. We therefore call upon WIPO General Assembly to take immediate action in providing for the incorporation of a "Development Agenda" in the Organization’s work program."

 

Abschließend skizzierte James Love den Vorschlag für einen Vertrag über Access To Knowledge (A2K), der auf eine Idee von John Barton von Anfang 2004 zurückgeht und in seiner Präambel "Seeking to enhance participation in cultural, civic and educational affairs, and sharing of the benefits of scientific advancement" sowie in Article 1-1 - Objectives die Ziele wie folgt umreisst: "The Objectives of this treaty are to protect and enhance [expand] access to knowledge, and to facilitate the transfer of technology to developing countries." [http://www.cptech.org/a2k/consolidatedtext-may9.pdf]

 

Jean-Pierre Leroy von der Federação de Órgãos para Assistência Social e Educacional (FASE) aus Rio de Janeiro bezog sich vor allem auf das Thema "Geistiges Eigentum", wie es sich aus Sicht traditioneller Völker, Kleinbauern und indigener Bevölkerung darstellt. "Geistiges Eigentum" ist Teil der breit angelegten Marktöffnungs- und Liberalisierungagenda nicht zuletzt im Interesse der Länder des "Nordens" und ihrer transnationalen Konzerne. Im Falle Brasiliens geht diese Agenda mit den Interessen der Agroindustrie einher, die sich von einem potentiellen "trade off" zwischen Marktzugang für brasilianische Agrarprodukte im "Norden" und brasilianischen Zugeständnissen im Bereich "geistiges Eigentum", Dienstleistungen, Investitionen und öffentliches Beschaffungswesen enorme Gewinnsteigerungen für ihre Produkte versprechen. Darüberhinaus scheine es, als ob die Fragen von Marktöffnung, Liberalisierung und Privatisierung nicht mehr gestellt werden dürften, da der politische Konsens der Regierungen diese Entwicklung schon als gegeben anerkennen würde: Welche Spielräume in solch einem Rahmen für demokratische Diskussions- und Entscheidungsprozesse noch übrigblieben, sei sehr fraglich.

Diesen Privatisierungs- und Liberalisierungsprozessen des Marktes stehe in Brasilien schon historisch eine ausgeprägte Tradition der Subsistenzwirtschaft entgegen, die die Produkte ihrer Arbeit eben nicht vermarkten, sondern zum eigenen Überleben anbauen und kultivieren. Die Privatisierung von Samen beispielsweise in Form von Patentierungen gefährde und erodiere die kleinbäuerliche Landwirtschaft in Brasilien in nie dagewesenen historischen Formen, wobei die expandierende Rechtsform der Nachbaugebühren diametral der Substanz kleinbäuerlicher Produktion entgegenstehe und diese in ihrer Existenz bedrohe.

Jean-Pierre Leroy führte weiter aus, inwieweit Bioprospektion und Biopiraterie als weitere reale Gefahr der expansierenden Marginalsierung für die kleinbäuerliche Landwirtschaft und traditionelle Gemeinschaften in Brasilien darstellt, wenn diese im Fall von Patentierungen privatisiert werden, ohne daß die Betroffenen die Möglichkeit hätten, auf diese Prozesse Einfluß nehmen zu können.

 

Am Morgen des zweiten Tages gab Thomas Fritz von der Berliner Landesarbeitsgemeinschaft Umwelt und Entwicklung (BLUE 21) aus Berlin zunächst einen kurzen Überblick darüber, warum NGOs sich mit dem Thema "Geistiger Eigentumsschutzes" beschäftigen, jenseits der gleichsam "klassischen" NGO-Themen wie "Geistiges Eigentum und lebensnotwendige Patente" oder der Fragen von Saatgut und Artenvielfalt. Das FDCL versucht als entwicklungspolitisch orientierte Organisation sich mit dieser Veranstaltung, als Teil eines breiter angelegten Projektes, dem Thema "Geistiges Eigentum" als Aspekt der größeren Fragestellung "Freihandel und industrielle Entwicklung" zu widmen:

Das Thema "Freihandel und industrielle Entwicklung" werde ein zunehmend an Bedeutung gewinnendes Thema, vor allem unter der Fragestellung, wie die verschiedenen ineinandergreifenden und sich ergänzenden internationalen Freihandelsverträge als Teil eines umfassenden Freihandelsregime die industrielle Entwicklung in den so genannten Ländern des "Südens" zu beeinflussen vermögen und letzteres zu beschränken versuchen.

Im Fall des Bereiches "Investitionen", d.h. Schutz und Rechtssicherheit für Investoren und ihre Investitionen, untergraben sowohl Regionale Freihandelsabkommen (RTA) als auch die bilateralen Investitionsabkommen (BIT) – vor allem über das Prinzip der Inländergleichbehandlung - staatliche Steuerungsmöglichkeiten, entwicklungspolitische und industriepolitische Maßnahmen zu iniitieren und umzusetzen.

Im Fall des Bereiches "Zölle" betreffen in der Welthandelsorganisation WTO die NAMA-Verhandlungen den Marktzugang aller Nicht-Agrargüter (d.h. Industrie- und verarbeitete Güter) und zielen auf den Abbau der betroffenen Zölle. Entwicklungsländer fordern in den aktuell hochbrisanten Verhandlungen der WTO zu NAMA Schutz ihrer "infant industries", während die Industrieländer auf den größtmöglichen Abbau der Industriegüterzölle verlangen.

Im Fall des Bereiches "Geistiges Eigentum" zeige sich der dritte Aspekt von "Freihandel und industrieller Entwicklung", wie bespielsweise in der WIPO, wo Brasilien und Argentinien den Vorschlag der "development Agenda" eingebracht haben, um über eine flexible Auslegung internationaler Patentregime die Monopolisierung von Produktionswissen aufzubrechen und vielmehr letztlich Technologietransfer und Aufbau und Schutz eigener Industrien zu schützen und befördern zu können.

Auch in der Vielzahl der bilateralen Verhandlungen gehe es, so Thomas Fritz, um die gleiche Agenda, allerdings bestehe auf der bilateralen Ebene die Gefahr eines WTO-plus, da in den multilateralen Gremien der WTO die Entwicklungsländer eine ausgeprägtere Verhandlungsmacht als in bilateralen Verhandlungen haben. Jedoch dürfe dabei nicht übersehen werden, daß es auch in der WTO um die Errichtung internationaler Handelsregime neoliberaler Prägung, um Normierung, geht, die darauf abziele, staatliche Interventionsmöglichkeiten per se zu untergraben und zunehmende Monopolisierung internationaler Produktionsnetzwerk- und Marktmachtstrukturen zu stabilisieren.

Dahinter stehe die Analyse, transnationale Konzerne betreiben und kontrollieren über ihre internationalen Produktionsnetzwerke die Wertschöpfungsketten als bestimmendes Merkmal internationaler Arbeitsteilung. Gängige entwicklungspolitische Theorieansätze (auch von der europäischen Entwicklungszusammenarbeit befördert und getragen) verlangt Integration der Länder des Südens und deren Unternehmen in diese internationalen Produktionsnetzwerke, um dergestalt zumindest ihren Teil an der Wertschöpfung zu erheischen. Dieser Ansatz, der ursprünglich aus dem Weltsystemansatz Immanuel Wallersteins, der aus historischer Perspektive der Frage nachgegangen war, warum sich Reproduktion von Abhängigkeit zwischen Industrie- und Entwicklungsländern immer wiederholt, wurde in der gängigen Mainstream-Entwicklungspolitiktheorie komplett auf den Kopf gestellt und als "Wertschöpfungskettenansatz" abgeleitet: beispielsweise habe das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik (DIE) eine Studie vorgelegt, nach welcher die Entwicklungszusammenarbeit in den Ländern des Südens darauf hinzuwirken habe, Zulieferer in den Ländern des Südens an die Produktionsnetzwerke transnationaler Konzerne des Nordens anzubinden, um dergestalt an der Wertschöpfung integrativ beteiligt zu werden. Dies solle auch mit staatlichen Geldern, dann in Form von Public-Private-Partnerships (PPP), gefördert werden.

Handelspolitik und Handelsregime böten, so Thjomas Fritz, dafür den Rahmen, der die Regeln und Kontrollmöglichkeiten festlege, damit dieser Wertschöpfungskettenansatz auch interessenkonform funktioniert und garantiert werde.

Darüberhinaus verlangt die nach wie vor anhängige Verhandlungsagenda zwischen der Europäischen Union und dem MERCOSUR besondere Aufmerksamkeit, da dort zum einen alle auch in der WTO geführten Verhandlungen geführt werden und zum anderen die Frage berechtigt sei, inwiefern die Regierungen - beispielsweise Brasiliens - nicht in den internationalen Verhandlungen sehr stark unter Druck des exportorientierten Agrobusiness steht, Marktzugang für die Agrarprodukte Brasiliens zu fordern, und diese makroökonomischen Vorteile für das brasilianische Agrobussiness im Austausch ("trade off") gegen Investitionsbestimmungen, Nama und Geistiges Eigentum zu erlangen. Es scheine, daß die verhandlungsführungen Brasiliens (und auch Argentiniens) sich einem doppelten Phänomen gegenübersehen, einerseits in multilateralen Gremien das "Recht auf Entwicklung" zu forden und zu schützen, bilateral aber – nicht zuletzt unter Druck des Agrobusiness - offensichtlich bereit ist, industriepolitische Spielräume zur Disposition zu stellen. Interessant zu bemerken sei hierbei, daß bisher in den verschiedenen Verhandlungen innerhalb Brasiliens ein Konflikt unterschiedlicher Kapitalfraktionen existiert: das Agrobusiness will Marktöffnung für eigene Produkte, während vor allem die verarbeitende Industrie sich dagegen wehrt, den Preis für Vorteile für die Agroindustrie letztlich zahlen zu müssen.

 

Cícero Gontijo von der Fundação Getúlio Vargas (FGV) aus Brasilia legte in seinem Vortrag über Brasilien in verschiedenen internationalen Verhandlungen über Geistiges Eigentum dar, wie sich im Verlauf der historischen Entwicklung des internationalen Immaterialgüterrechts die enorme Spannung zwischen Rechten und Pflichten zunehmend verschärft hat.

Basierte seit Ende des 19.Jahrhunderts das internationalen Immaterialgüterrechts auf den drei Pfeilern, Erfindungen zu entschädigen, Technologietransfer zu gewährleisten sowie lokale Produktion zu schützen und zu fördern, so hat sich im Verlauf der verschiedenen Änderungen der Pariser Konvention über die Entwicklung der Weltorganisation geistigen Eigentums (WIPO) bis zur Gründung der Welthandelsorganisation WTO und der Aufnahme des TRIPS-Abkommens und der darüber andauernden Verhandlungen ein zunehmender Ausbau der Rechte der Patenteinhaber und ein diametral entgegengesetzter Abbau der Pflichten herausgebildet. Folge davon sei, so Cícero Gontijo, daß eine zunehmde Monopolisierung "geistigen Eigentums" stattfinde, und die ehedem selbstverständlichen Prämissen des internationalen Immaterialgüterrechts wie Aberkennung des Erfindungsschutzs zugunsten lokaler produktion im lokalen Interesse, Technologietransfer und Bedingung von lokaler Produktion und Ausbeute nicht nur in realitas nicht stattfinden, sondern obendrein qua internationale Verträge zum "Schutz geistigen Eigentums" erschwert, wenn nicht sogar verboten werden, - unter dem Hinweis auf den Schutz der patentierten Erfindungen.

Darüberhinaus sah der erste internationale Vertrag, die Pariser Konvention von 1883, nicht vor, nationale Rechte und Gesetze zu reglementieren, sondern es sollten nur die zwei Grundprinzipien der Ausländer- bzw. Inländergleichbehandlung sowie das Prioritätenprinzip gelten.

Das TRIPS-Abkommen der WTO stehe insofern konträr zur Pariser Konvention von 1883, weil in ihr die Harmonisierung internationaler Patentregelungen durch automatische Übernahme des Patentrechts in allen nationalen Gesetzgebungen angestrebt werde.

Das alte Prinzip der Bedingung von Technologietransfer finde zwar Erwähnung in TRIPS-Artikel 7, in welchem von einem erstrebenswerten Gleichgewicht zwischen Rechten und Pflichten die Rede sei, aber sonst in ganzen TRIPS-Vertrag keine weitere Erwähnung mehr erfährt. Da auch die Bedingung lokaler Produktion sowie die strukturellen Unterschiede wzischen mehr und weniger entwickelten Ländern keine explizite Erwähnung im TRIPS-Abkommen finden - und es auch in den anderen internationalen Verhandlungen, in den Brasilien u.a. über den "Schutz Geistigen Eigentums" involviert ist, wie ALCA, WTO, EU-MERCOSUR und WIPO, schwer ist, die juristischen Bedingungen für das Recht auf Entwicklung zu verankern -, so verhindere dieses Zusammenspiel letztlich industrielle Entwicklung in den Ländern des "Südens", die nur noch als Konsummarkt für die vom "Norden" patentierten Erfindungen dienen, tendiere zu zunehmenden Monopolisierung und darüberhinaus zu einer Angleichung an einheitliche Monopolpreise.

 

Pedro Velasco-Martins vom Directorate General Handel (DG Trade) der Europäischen Kommssion in Brüssel wies in seinem Vortrag über die Rolle der EU in den internationalen Verhandlungen über den Schutz Geistiger Eigentumsrechte darauf hin, daß der Bereich "Geistiges Eigentum" weit mehr als die Bereiche Pharmazie, gesundheit und Patente beträfe, sondern eben auch für Dinge stehe wie Wissen, Innovation, Erfindung, Qualität, kleine und mittlere Unternehmen (SME), Arbeitsplätze vor allem auch in der EU, Schutz von Künstlern und Autorenrechten sowie den für Europa wichtigen Bereich geographischer Herkunftsregeln wie z.B. im Fall von Wein oder Käse. Für die Europäische Union als knowledgebased society sei da Thema des "Schutzes Geistigen Eigentums" von fundamentaler Bedeutung.

Bei dem "Schutz Geistigen Eigentums" gehe es in erster Linie um die Balance zwischen Produzenten und Konsumenten, Erfinder und Erfindungsentschädigung, Innovation und Zugang.

In Bezug auf die aktuellen Verhandlungen in der WIPO wies Herr Pedro velasco martins darauf hin, daß es in der EU bislang kein harmosiertes und vereinheitlichtes Immaterialgüterrecht gebe, sondern in die nationale Jurisdiktion falle und deswegen die EU in der WIPO nur einen observer status innehabe. So verfolge die EU in der WIPO die Diskussionen um beispielseise das Substantive Patent Law Treaty ohne Stimmöglichkeit, aber nach Einschätzung der EU stelle die internationale Harmonisierung des Immaterialgütterrechts - entgegen der landläufigen Meinung, es handele sich dabei um die Ausweitung der Rechte der großen transnationalen Konzerne – vielmehr eine Ausweitung der Rechte von kleineren und mittleren Unternehmen (SME) dar, weil sich vor allem letztere enormen Schwierigkeiten, ihre Ideen, Innovationen und Rechte international durchzusetzen, gegenübersehen würden.

In Bezug auf die Development Agenda der WTO betrachte die EU dieses als Priorität der eigenen Politik, und die von den Vorrednern angesprochenen Themen wie Technologietransfer sowie die Stimulierung lokaler Produktion und Entwicklung vor allem für "Entwicklungsländer" und Least Developed Countries (LDC) sei ein fundamentales Anliegen der EU, - ein Umstand, der sich auch an den Zahlen, mit der die EU die Entwicklungszusammenarbeit und Kooperation fördere, belegen lasse. Dabei sei es stete Politik der EU, den angestrebten Technologietransfer den Ländern des "Südens" nicht aufzudrängen, sondern auf explizite Wünsche der Südpartner nachfrageorientiert zu reagieren.

In Bezug auf die Einhaltung und Überwachung des "Schutzes Geistigen Eigentums" sei es zu bedauern und nicht hinzunehmen, daß es weltweit noch immer ein dergestalt entwickeltes System von illegaler Produktkopie und Produktpiraterie gebe. Dies, so Pedro Velasco Martins, sei eine Bedrohung der Konsumenten auch in Europa, die im Vertrauen auf die Qualität der Originalprodukte Kopien erwerben würden, die eben nicht nur den "harmlosen" Bereich von CD oder T-Shirt, sondern auch weitaus sensible Produkte (Ernährung, Arzneien, Flugzeugersatzteile, etc) beträfen. Deswegen sei der Dialog zwischen allen beteiligten sowie das Einwirken im internationalen Maßstab auf die Einhaltung und Anwendung des sich dem "Schutz Geistigen Eigentums" widmenden Immaterailgüterrechts letztlich im Interesse aller Länder und Konsumenten.

 

Im letzten Seminarblock über Research Plus statt TRIPS-plus. Wissenspolitik für die Pharmaforschung erinnerte Andreas Poltermann von der Heinrich Böll Stiftung (hbs) in Berlin daran, daß in Brasilien diese Woche die Câmara dos Deputados den Patentschutz für Aidsmedikamente aufgehoben hat, un daß auch in Deutschland der Patentschutz dahingehend gebrochen wurde, daß auf Druck der Finanzlage der Krankenkassen festgestellt wurde, daß eine Reihe von Patenten auf Medikamente sog. "mee too-"Patente sind, die keine eigene Erfindungshöhe haben und somit keinen medizinischen Fortschritt darstellen, weswegen sie an den marktüblichen Preis der entsprechenden Generika gebunden werden sollten. In bezug auf Krankheiten von weltweit endemischen Krankheiten wie beispielswise Malaria habe die britische Regierung festgesetzte Preise bestimmt, so daß diejenigen Medikamentenhersteller, die als erste ein entsprechendes Medikament entwicklen, vom Staat einen festgelegten Preis erhalten und darüber die vertragliche Zusage einer 200 Mio. Dosen garantierten Abnahme des Impfstoffes erhalten.

 

Veriano Terto Júnior von der Asociação Brasileira Interdisciplinar de AIDS (ABIA) gab in seinem Vortrag über IPRs and health: HIV-Programmes and generic drugs in Brazil einen Überblick über die Herausbildung des Sistema Única de Saúde (SUS) in Brasilien, wie sich im verfassungsgebenden Prozeß der Constituinte die Gesundheitsversorgung als kollektives Recht entwickelt hat, wie die beiden Verfassungsartikel, die Gesundheit als kollektives Recht und das Recht auf Leben als Verpflichtung seitens des Staates begreift und welche Bedeutung dies für die Versorgung und den Zugang zu lebensnotwendigen Medikamenten in Brasilien innehat. Diese in der Verfassung gegebenen Voraussetzungen waren für den zivilgesellschaftlichen Kampf um Rechte im Bereich der Gesundheit zentraler und fundamentaler Ansatzpunkt, um diese Rechte auch einzufordern.

 

Das Prinzip der Universalität des SUS bilde die Basis, um zu verstehen, daß es im Fall von AIDS in Brasilien nicht darum gehe zu fragen, wer von den betroffenen Kranken welchen Sozialstandard habe und ob es gerecht wäre, dem Kranken unabhängig von seiner sozialen Situation im Rahmen des SUS zu behandeln. Im Fall von Epidemien müsse das SUS-Prinzip der Universalität gelten, sonst werde es nicht möglich, Epidemien adäquat zu bekämpfen.

 

Das brasilianische AIDS-Programm fand seinen Anfang im Jahr 1991 mit der kostenlosen Verteilung von Medikamenten, ab 1993 begann Brasilien die Produktion antiretroviraler Produkte, die zu dieser Zeit in Brasilien keinem Patentschutz unterfielen.

Ab 1995 ergab sich das Phänomen zweier konträrer Entwicklungen, einerseits der Neoliberalisierung der brasilianischen Wirtschaft und des Inkraftretens des brasilianischen Patentschutzgesetzes 9279/96, andererseits 1996 das Inkraftretens des gesetzes 9313/96, das den Zugang zu antiretroviralen Medikamenten im Rahmen des SUS ermöglichte.

 

1999 wurden in Brasilien das Generikagesetz 9787/99 sowie der Präsidentielle Erlaß 2301/99 verabschiedet, wähernd auf internationaler Ebene in der Weltgesundheitsorganisation WHO vorgeschlagen wurde, Regionale Freihandelsabkommen im Hinblick auf den Schutz des Zugangs zu lebensnotwendigen Medikamenten zu überarbeiten:

 

Ab 2001 begann der so genannte Patentekampf ("batalha dos patentes"), in welchem die USA Brasilien bei der WTO wegen der Generikaprogramme verklagten. Das Streitschlichtunggericht der WTO entschied letztlich zugunsten Brasiliens, doch auch die internationale Zusammenarbeit mit NGOs sowie die zivilgesellschaftliche Mobilisierung hatten ihren Anteil an diesem Kampf um den freien Zugang zu lebensnotwendigen Medikamenten. Zeitgleich hatte die UN-Menschenrechtskommission den Zugang zu lebensnotwendigen Medikamenten als Menschenrecht definiert, und auf der IV. Ministerkonferenz der WTO in Doha, Katar, wurde festgelegt, daß öffentliche Gesundheit über kommerzielle Interessen Vorrang genieße.

2003-2004 waren die Lösungen dieser Kämpfe noch immer offen: Brasilien kämpft nach wie vor für Preisreduzierung der antiretroviralen Medikamente der zweiten Generation, die Erteilung von Zwangslizenzen wird mit immer neuen Hindernissen belegt, doch zuimindest der Präsidentielle Erlaß 4830 definiert die Kriterien für Zwangslizenzen, während wegen der nach wie vor hohen Kosten für AIDS-Medikamente das Gesundheitssystem Ende 2004 in eine schwere Krise stürzte:

 

Das gegenwärtige Szenario sieht wie folgt aus, wobei noch Erwähnung zu finden habe, daß am 31.Mai die brasilianische Câmara dos Deputados das Gesetz N°22 von 2002, das die Patentierung von AIDS-Medikamenten in Brasilien verbietet - und somit mit den TRIPS-Bestimmungen konfligiert und deswegen harsche Auseinandersetzungen auf internationaler Ebene zu befürchten sind -, ratifiziert hat.

Veriano Terto Júnior beschloss seinen Vortrag mit dem dringenden Appell, daß AIDS-Medikamente nirgendwo patentierbar sein dürften, doch daß das noch ein langer Kampf sein werde, der vor allem auch auf internationale Unterstützung und Zusammenarbeit angewisen sei.

 

 

James Love vom Consumer Project on Technology (CPTech) aus Washington referierte in seinem Vortrag zum Thema From TRIPS plus to research plus: a new trade framework for global healthcare research & development über zwei grundlegende Ideen im Bereich Medizin: (1) erstens die Idee, daß es möglich und dringend notwendig sei, den Markt für das Produkt vom Markt für Innovationen zu trennen, (2) zweitens die Notwendigkeit eines neuen Marktkonzepts durch das R&D Plus Treaty.

(1) Den Markt für das Produkt vom Markt für Innovationen zu trennen, sei Anliegen und Ziel der Idee des HR 417 ("Medical Innovation Prize Fund Approach"): danach würden der Markt für die Innovationen aus einem Fond bezahlt, und das Produkt nicht mehr preisabhängig vom monopolisierten, patentgeschützten Markt sein. Damit bliebe im Kern das Patentsystem intakt, da weiterhin die Entschädigung für das entwickelte Produkt durch ein System der marktgestützten Nachfrage taxiert werde, aber Bedingung dafür wäre auch, daß es keine Marktexklusivität mehr geben würde, so daß generikaproduzenten als freie Wettbewerber um den nachfragegestützten Markt konkurrieren könnten. Gleichzeitig solle über den Medical Innovation Prize Fund provides die Entschädigung für die Entwicklung der Innovationen finanziert werden.

(2) Die Notwendigkeit eines neuen Marktkonzepts durch das R&D Plus Treaty, nach welchem jedes Land zur Beteiligung nach einem festzulegenden Prozentsatz des Bruttoinlandsprodukt verpflichtet wäre, der jeweilige Prozentsatz wäre angepaßt an das Entwicklungsgrad des betroffenen Landes und die Länder besäßen Flexibilität bezüglich des Managments und Finanzierung des R&D Plus Treaty. Der Kauf und Verkauf von Patenten, das Maß an öffentlicher Forschung, Preisunterstützungen etc. wären im Rahmen dessen erlaubt, daß sie die Forschung und Entwicklung (Research & Development, R&D) zu stimulieren vermöchten. Gleichzeitig müßte sichergestellt werden, daß herausragende Forschungs- und Entwicklungsleistungen in essentiell wichtigen Bereichen und bisher in der Forschung vernachlässigten Krankheiten ("neglected deseases"), analog der Karbonemissionshandelidee, mit credits bedacht werden, die zwischen den Staaten frei handelbar sein würden.

 

 

Michael Stolpe vom Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel sprach in seinem Vortrag über Alternativen zum weltweiten Patentschutz für pharmazeutische Innovationen zunächst einleitend über Bedeutung und Krise der globalen Pharmaforschung: Pharmazeutische Innovationen seien ein Motor wirtschaftlichen Wachstums weltweit, längere Lebenserwartung und verbesserte Gesundheit seien verantwortlich für die Hälfte der Wohlfahrtsgewinne pro Kopf der amerikanischen Bevölkerung im 20. Jahrhundert, während die private Rendite pharmazeutischer Innovationen unter einem Drittel der sozialen Rendite liege.

Vor diesem Szenario seien die wichtigsten Fragen an die Politik, wie sich die Anreize für pharmazeutische Innovationen verbessern und wie sich gleichzeitig die Diffusion pharmazeutischer Technologie in der Weltwirtschaft beschleunigen lasse? Ob der Patentschutz einfach abgeschafft werden und durch andere Anreizmechanismen ersetzt werden müsse? Oder müsse der Patentschutz lediglich in Einzelfällen gelockert und seine Auswirkungen durch ergänzende Regulierungen gemildert werden?

In Bezug auf die Frage, warum pharmazeutische Innovationen so teuer geworden sind, warum die gesamten inflationsbereinigten Entwicklungskosten eines neuartigen Medikaments sich in den 90er Jahren auf ca. $800 Mio. mehr als verdoppelt, seit Ende der 70er Jahre sogar fast versechsfacht haben, warum sich die Kosten klinischer Tests in den 90er Jahren fast verfünffacht haben, stehen zwei Erklärungsansätze im Raume:

Als systemische Gründe für hohe Kosten gelte die besondere Kostenstruktur als Rechtfertigung für besonders ausgedehnten Patentschutz (20 Jahre plus), wobei man das Dilemma zwischen statischer und dynamischer Effizienz berücksichtigen müsse: es ist das Dilemma, daß einerseits die Medikamente, die es gibt, möglichst vielen Menschen zugänglich gemacht werden sollten (statische Effizienz), daß aber andererseits dafür gesorgt werden müsse, daß regelmäßig neue Medikamente und immer wirksamere Medikamente entwickelt werden (dynamische Effizienz).

Neben den Tatbeständen der Ressourcenverschwendung in Patentrennen, gebe es auch strukturelle Gründe für den Kostenanstieg, so z.B. in der zunehmenden Regulierung zum Schutz der Patienten, oder z.B. die These des Mining-out, nach welcher die heute noch nicht heilbaren Krankheiten die Forschung vor immer größere Probleme stellen.

Letztlich müßten die Ziele öffentlicher Innovationsförderung für Pharmaka drei Faktoren erfüllen: 1. Den erwarteten Nutzen der Patienten maximieren, die Kosten der Obsoleszenz existierender Produkte minimieren, 2. Unnötige parallele Forschungsanstrengungen vermeiden, 3. Dezentrale Informationen über die Erfolgschancen, die Kosten und den erwarteten Wert einzelner Forschungsrichtungen effizient nutzen.

Dazu könnte ein Portefolio diverser Anreizmechanismen dienen.

 

In der Schlußdiskussion der Fachtagung blieben doch erhebliche Zweifel, inwiefern - entlang des offensichtlich gegebenen Spannungsfelds von Menschenrechten und "Geistigem Eigentum" - das gegenwärtige System, das über Patente Forschung und Innovation refinanzieren und zu neuen Medikamenten kommen soll, dem eigentlichen Zweck - Wohlfahrtsgewinne zu zeitigen - zu dienen vermöge.

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