de en es pt

Den kompletten Download (inklusive Graphiken und Fußnoten)

finden Sie hier als pdf-Dokument

 

PRÄFERENTIELLE HANDELSABKOMMEN

UND

EXPORTHYBRIS –

 

MULTI- UND BILATERALISMUS IN DER POLITISCHEN FREIHANDELSAGENDA ZWISCHEN EU UND BRASILIEN

 

 

Christian Russau

Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika gemeinnütziger e.V. (FDCL)

 

 

EU - MERCOSUR Bulletin N°2, 3. September 2004

 

©opyleft FDCL e.V., Christian Russau. Keine Rechte vorbehalten. Jeder Teil dieses Dokuments darf in jedweder Form ohne schriftliche Genehmigung des FDCL e.V. reproduziert und/oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt und/oder in Umlauf gebracht werden.

 

 

MULTI- UND BILATERALISMUS

Nach dem "Scheitern von Cancún" wurde dem Multilateralismus der Welthandelsorganisation (WTO) der Bilateralismus von Freihandelsabkommen ("Free Trade Agreements" - FTA) und Präferentiellen Handelsabkommen ("Preferential Trade Agreements" – PTA) als zwangsläufige Alternative gegenübergestellt: So sind mittlerweile (Stand April 2004) weltweit 282 Präferentielle Handelsabkommen in Kraft, von denen 255 gegenseitige Handelsabkommen ("Reciprocal Trade Agreements") und 27 unilaterale Handelsabkommen ("Non-Reciprocal Trade Agreements"), d.h. einseitig gewährte Handelsvergünstigungen, darstellen. 192 der gegenseitigen Handelsabkommen sind intra-regional, 63 sind inter-regional geschlossen worden.

Dabei definiert WTO Artikel I GATT 1947 die Meistbegünstigungsklausel ("Most Favoured Nation- Principle", MFN), nach welcher alle Handelspräferenzen, die ein WTO-Mitgliedsstaat einem anderem gewährt, diese auch allen anderen WTO-Mitgliedsstaaten zu gewähren habe. Nun gilt aber nach Artikel XXIV GATT 1947 insofern eine Ausnahme, daß Regionale Freihandelsabkommen unter WTO-Recht grundsätzlich erlaubt sind, sie den WTO-Grundsätzen aber nicht zuwiderlaufen dürfen. Die Meistbegünstigungsklausel greift in Regionalen oder Bilateralen Freihandelszonen nicht (sonst hätte es beispielsweise nie eine Zollunion EG oder einen Gemeinsamen Markt EU gegeben), die handelsbezogenen Präferenzen des Bilateralismus sind demnach WTO-konform. Insofern ist der vermeintlich ausschliessliche Gegensatz von "Multi- versus Bilateralismus" in der Freihandelsagenda vielmehr ein sich ergänzendes Modell: So trat auch im bilateralen EU-MERCOSUR-Verhandlungsprozess stets der explizite Verweis auf die multilaterale Ebene der WTO wenn schon nicht als formales, so doch aber als politisches Junktim zu Tage.

Die Freihandelsagenda zwischen Multi- und Bilateralismus wird durch die Bemühungen ergänzt, den Süd-Südhandel zu stärken und diesen politisch zu flankieren, indem multilaterale Regeln wie die seit 1988 bestehenden Präferentiellen Handelsbestrebungen des Global System of Trade Preferences (GSTP) im so genannten São Paulo Consensus auf der XI.UNCTAD-Konferenz im Juni 2004 neu vereinbart wurden. Diese neue welthandelspolitische Dynamik, in welcher vor allem Brasilien eine maßgebliche Rolle spielt, zeigte sich auch im ersten Halbjahr 2004 an der Gruppe der Fünf (Australien, Brasilien, EU, Indien, USA), die, in der brasilianischen Presse als NG5 ("Non-Group 5"), in englischsprachiger Presse als FIPs ("Five Interested Parties") bezeichnet, sich dem Agrarthema in der WTO widmete. Der von den FIPs ausgehandelte Agrarteil des "July 31 WTO framework agreement", das von den 147 WTO-Mitgliedern Ende Juli 2004 akzeptiert wurde, ist auch Ausdruck einer neuen punktuellen Welthandelsallianz in Agrar-Exportfragen, die sich in anderen punktuellen Agrarthemen wie Zucker und Baumwolle beispielsweise nach wie vor alles andere als einig ist. Brasilien, das nach Cancún noch als führende Kraft der G20 von der freihandelskritischen Zivilgesellschaft gefeiert wurde, hat sich mit der WTO-Einigung vom 31.Juli 2004 harscher Kritik ausgesetzt (vor allem Walden Bello und Aileen Kwa sowie Devinder Sharma), daß der geschlossene Kompromiß letztlich nicht strukturell die bestehende Agrarsubventionspraktiken von EU und USA beende, sondern fortschreibe.

Unzweifelhaft existiert ein brasilianisches Eigeninteresse an makroökonomischer Entwicklung über das neoliberale Modell der Exportsteigerung, um dergestalt Devisen über Exportüberschüsse zu erzielen, die Gefahr von Zahlungsbilanzrisiken zu mindern und den von der Regierung FHC eingeschlagenen und der Regierung Lula fortgesetzten Weg einer exportgestützten Entwicklung umzusetzen. Offensichtlich weiß Brasilien einerseits um Sachzwang und Zusammenhang internationaler Handels- und Schuldenregime, andererseits auch als neuer "Global Player" um seine Bedeutung und setzt seine zwar begrenzte, aber dennoch existente Verhandlungsmacht bewußt sowohl multilateral und als auch bilateral ein.

Auf der bilateralen Ebene trat Brasilien sowohl in den FTAA-Verhandlungen als auch in den EU-MERCOSUR-Verhandlungen als bedeutendster Akteur hervor, auch dank der verbesserten Zusammenarbeit Brasiliens mit Argentinien, die in der institutionellen Stärkung des MERCOSUR ihren Ausdruck findet und in Jahresfrist es geschafft hat, eine Erweiterung des MERCOSUR über die jetzigen vier Mitgliedsstaaten mit neben Chile, Bolivien, Peru und Venezuela weitere assoziierte Mitgliedern wie voraussichtlich Mexiko, Kolumbien und Ekuador zu erreichen. Gleichzeitig bemüht sich vor allem Brasilien um verstärkte Süd-Südkooperation in bilateralen Freihandelsverhandlungen mit Indien, China und Südafrika. Allein an den brasilianischen Gesamtexporten, die sich von 48 Mrd.US-$ 1999 auf 73 Mrd.US-$ 2003 erhöht haben, hat sich der Anteil Chinas von 1999 mit 1,4% der Gesamtausfuhren auf 6,2% im Jahr 2003 mehr als vervierfacht. Erklärtes Ziel des diese Prozesse vorrangig anschiebenden "Neuen Global Players auf der Welthandelskarte", der brasilianischen Regierung, ist die Errichtung einer "Neuen Welthandelsgeographie".

Diese Entwicklungen können aber nicht über die Bedeutung hinwegtäuschen, die dem Inter-Regionalen Assoziationsabkommen zwischen dem MERCOSUR und der EU beikommt: Die EU-25 ist für den MERCOSUR nach wie vor sowohl der größte Aussenhandelspartner: 64,5 Mrd.€ entsprechen 24,12% der MERCOSUR-Importe und 95,7 Mrd.€ entsprechen 26,99% der MERCOSUR-Exporte in 2003, mit rund 60% war die EU 2003 größter ausländischer Direktinvestor im MERCOSUR, sowie auch (ohne die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit der EU-25-Mitgliedsstaaten) größter Geber öffentlicher bi-regionaler Entwicklungszusammenarbeit. Handelsüberschüsse erzielt der MERCOSUR vorrangig mit Primärgütern und erreichte so in 2003 einen Anteil von 17,99% der EU-Agrarimporte, was gegenüber 1995 einem Anstieg um 63% entspricht, wobei allein Brasilien mit einem 13%-Anteil an allen EU-Agrarimporten den ersten Platz innehält. - Handelsbilanzdefizite verzeichnet der MERCOSUR vor allem in seinem Handel mit Dienstleistungen mit der EU-25.

Nachdem im Jahr 2003 zunächst die multilaterale Freihandelsagenda der WTO in Cancún einerseits an der defensiven Haltung der G90 in Fragen der "Singapur-Themen", Investitionen, Öffentliches Beschaffungswesen, Handelserleichterungen und Wettbewerb, andererseits an der offensiven Haltung der G20, unter Führung Brasiliens, in Fragen der Agrarzugänge und Abschaffung der "Agrarexportkreditpraxis des Nordens" gescheitert war, und außerdem die regionalen ALCA-Verhandlungen nach dem VIII. ALCA-Ministertreffen, November 2003 in Miami, der zeitlichen wie inhaltlichen Agenda nicht mehr planmäßig zu folgen vermochten, schien der bilaterale Optimismus der Verhandlungsführungen aus EU und MERCOSUR einen Schub zu erhalten.

 

EU-MERCOSUR-VERHANDLUNGEN

Nachdem der Mercosur und die Europäische Gemeinschaft im Mai 1992 ein Abkommen über die Interinstitutionelle Kooperation abgeschlossen hatten, wurde 1995 ein Rahmenvertrag über die Aufnahme von Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen zwischen Mercosur und Europäischer Union geschlossen. Ein ähnliches Abkommen der sog. "4. Generation" hat die EU mit Mexiko 1997 unterzeichnet, das im Oktober 2000 in Kraft trat (auch "Global Agreement", "Acuerdo Global", genannt), das Assoziationsabkommen mit Chile wurde im November 2002 unterzeichnet und trat Februar 2003 in Kraft.

Auf dem Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs von EU, Karibik und Lateinamerika im Juni 1999 in Rio de Janeiro hatten EU und Mercosur die Verhandlungsmodalitäten beschlossen, so daß seit Ende 1999 die EU und der Mercosur in den Sitzungsrunden des "Bi-regional Negotiations Committee", BNC, über ein "Inter-Regionales Assoziationsabkommen" verhandeln. Dabei folgen die Verhandlungen formal dem Prinzip des sogenannten "single undertaking": "nichts wird beschlossen, solange nicht alles beschlossen ist", und basieren formal auf den drei Bestandteilen "Kooperation", "Politischer Dialog" und "Handelsfragen".

Nachdem die Bestandteile "Kooperation" und "Politischer Dialog" sich zwischen EU-Kommission und den vier MERCOSUR-Regierungen als verhältnismäßig konsensfähig erwiesen, besteht dieses Einvernehmen im Bereich "Handel" offenkundig nicht: Der MERCOSUR besteht explizit auf verbesserten Zugang zu den europäischen Agrarmärkten, wohingegen die Europäer vor allem in den Bereichen Investitionen "Marktzugang", "Investitionssicherheit" und rechtliche Bindung an "Inländergleichbehandlung" ("National Treatment", NT), im Bereich Dienstleistungen durchgängige Analogie zu den vier Modes des GATS (Mode 1 cross-border supply, Mode 2 consumption abroad, Mode 3 commercial presence, Mode 4 presence of natural persons), im Bereich Geistiges Eigentum die Durchsetzung von Patenten und Geographischen Herkunftsbezeichnungen ("Geographic Indications", GI), für beispielsweise Wein ("Rioja"), und im Bereich Öffentliches Beschaffungswesen rechtlich verankerten Zugang zum Auschreibungsmarkt des MERCOSUR fordern. Dabei wird die EU nicht müde, stets zu betonen, "the EC is not seeking the dismantling of public services nor the privatisation of state owned companies", und in den aktuellen Freihandelsverhandlungen zwischen EU und MERCOSUR um eine biregionale Freihandelszone gehe es allein um die nachträgliche Konsolidierung bereits autonom von den Staaten vorgenommenen Marktliberalisierungs- und Privatiserungsprozessen. Zum einen verschleiert diese Argumentation der "Konsolidierung" beschönigend den Tatbestand der faktischen, da unbezahlbaren Unumkehrbarkeit und außerdem geht es in den Verhandlungen zwischen EU und MERCOSUR nicht um die Abschaffung der Bereitstellung öffentlicher Güter, sondern eben um die rechtliche Absicherung der Kommerzialisierung dieser Bereiche, die auch ausländischen, und nicht zuletzt europäischen Konzernen geöffnet werden sollen. Dafür würde das GATS mit seinen umfassendem Regelwerk zur Liberalisierung Sorge tragen. Und die Privatisierung staatlicher Unternehmen muss Brasilien nicht zuletzt auf Druck internationaler Gläubiger wie dem IWF und den sich aus der Schuldenfalle ergebenden Sachzwängen ohnehin weiterführen.

 

Agrarhandel zwischen EU und MERCOSUR

In den Verhandlungen zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur gilt den vier MERCOSUR-Staaten der Agrarbereich als zentraler Verhandlungspunkt. Denn der Agrarhandel ist der einzige Handelsbereich, in dem die vier Mercosur-Staaten eine positive Handelsbilanz gegenüber der Europäischen Union erreichen und dementsprechend von einer Zugangsöffnung europäischer Agrarmärkte in Folge eines zu schließenden Freihandelsabkommens weiteres ökonomisches Potential erwarten:

 

 

EU Merchandise Trade with Mercosur by product (2002):

siehe: Quelle DG Trade: trade-info.cec.eu.int/doclib/html/111832.htm

Paraguay erzielte dabei im Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen mit den fünfzehn EU-Staaten im Jahr 2002 einen Handelsüberschuß von 78,7 Millionen Euro, bei Exporten nach Europa von 98,9 Millionen Euro und Importen aus Europa von 20,2 Millionen Euro, Argentinien einen Überschuß von 4,6 Milliarden Euro, bei Exporten von 4,7 Mrd.€ und Importen von 0,1 Mrd.€, Uruguay einen Überschuß von 0,3 Mrd.€ bei Exporten von 0,4 Mrd.€ und Importen von 0,1 Mrd.€, Brasilien einen Überschuß von 7,4 Mrd.€ bei Exporten von 7,9 Mrd.€ und Importen von 0,5 Mrd.€.

Entgegen dem noch vor Jahresfrist zur Schau getragenen Optimismus und der scheinbaren bilateralen "Option MERCOSUR-EU", um dergestalt den multilateralen Widrigkeiten der WTO zu entkommen, auch wenn dies der EU-Taktik "divide and rule", die G20 zu sprengen und die G90 wieder auf Linie zu bringen, entsprach, wie die Financial Times süffisant im April 2004 bemerkte, war es dann schon im April 2004 nach mehrmaliger Verzögerung des lang geplanten Austauschs der bilateralen Verhandlungsangebote zwischen EU und MERCOSUR zum ersten diplomatischen Eklat gekommen, als die EU-Verhandlungsführung um Karl Falkenberg dem MERCOSUR das Agrarangebot in verhandlungstaktischer Form eines "Non-Paper" überreichte, um zunächst abzuwarten, was die andere Seite in Bereich Investitionen, Dienstleistungen und öffentliches Beschaffungswesen vorzulegen habe, - ein Umstand, der bei der MERCOSUR-Verhandlungsseite auf komplettes Unverständnis stiess. Im Mai 2004 hatten sich EU und MERCOSUR zum nunmehr dreizehnten BNC zusammengefunden und die EU bot dem MERCOSUR keine weiteren Zollsenkungen im Agrarbereich, sondern Quoten und Kontingente für die "sensiblen Produkte" wie u.a. Rind-, Schweine- und Geflügelfleisch, Mais, Weizen, und Ethanol an, mit dem Argument, die EU hätte "nur eine Tasche" ("single pocket"), aus welcher sie etwas anzubieten sich in der Lage sähe, so müsse die EU 50% der Angebote für die im Hauptinteresse des MERCOSUR liegenden Agrarprodukte, als auch für verarbeitete Agrarprodukte, bilateral im Rahmen von EU-MERCOSUR, und 50% multilateral im Rahmen der WTO anbieten.

So hatte die EU-Verhandlungsführung im Mai 2004 Extra-Quoten von 100.000 Tonnen Rindfleisch, 75.000 Tonnen für Geflügel, 11.000 Tonnen für Schweinefleisch und 700.000 Tonnen für Mais angeboten, - graduelle Staffelung auf 10 Jahre. Für Zucker hatte die EU, mit dem Verweis auf die Fischler-Änderung der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU, bilateral kein Angebot vorgelegt (z.Zt. gelten noch über die über die zugestandene Einfuhrquote hinausgehende Mengen erhöhte Zollsätze zwischen 138,3% bis zu 198,8%), allerdings für 1 Million Tonnen Ethanol (1 Mrd.Liter), - ein konfliktbeladener Umstand, der sich im Spannungsfeld der Ausweitung des Anbaus nachwachsender Rohstoffe diesseits und jenseits des Atlantiks abspielt und nun in der Konkurrenz zwischen europäischen Rübenbauern und brasilianischer Agroindustrie, seit Cancún in konfliktgeladenen gegenseitigen Presseerklärungen, seinen Ausdruck findet. - Zur Zeit gelten für Agrarprodukte, die die aktuell von den Europäern zugestandenen Quoten überschreiten, ad valorem-Zollsätze von 255% für Geflügel, Rind- und Schweinefleisch und für Milch- und Molkereiprodukte ein ad valorem-Tarif von 200%. - Der MERCOSUR hatte Extra-Quoten für mindestens 350.000 Tonnen Rindfleisch, 250.000 Tonnen Geflügel, 40.000 Tonnen Schweinefleisch, 4.000.000 Tonnen Mais sowie 1.800.000 Tonnen Zucker gefordert.

Dem neoliberalen Entwicklungsmodell sowie den Sachzwängen des Schuldendienstes folgend, makroökonomische Erfolge ausschließlich über erhöhten Export zu erzielen, strebt Brasilien vor allem im Bereich des Handels mit Agrargütern nach Expansion. Während die sich daraus für Kleinbauern ergebenden Vorteile äußerst fragwürdig sind, wenn über Exportexpansion die Marktmacht der Agroindustrie, mit allen ihren Folgen von weiter erhöhter Landkonzentration und Verdrängung kleinbäuerlicher Familienbetriebe, gestärkt wird, ist es vor allem demnach die sogenannte "Agroindustrie", die sich von dem Abschluß des Freihandelsabkommens zwischen EU und Mercosur, als Folge der angestrebten Zollsenkungen und gleichzeitigem Abbau der europäischen Agrarsubventionen, eine Verbesserung ihrer Exportchancen verspricht. So waren beispielsweise Vertreter der Confederação Nacional da Agricultura e Pecuária do Brasil (CNA) während der beiden letzten BNC, auch auf expliziten Wunsch der Europäer, die sich "um einen direkten Austausch mit dem brasilianischen Privatsektor bemühen" wollten, eigens angereist, um eigenständig der EU-Verhandlungsführung zu versichern, daß Brasilien sich um verbesserte Angebote bemühen würde, - ein Umstand, der selbst die Vertreter der Confederação Nacional da Indústria (CNI) und das brasilianische Aussenministerium Itamaraty in Rage brachte, weil das Angebot der Europäer nicht in den offiziellen Verhandlungen, sondern auf einer Veranstaltung der CNA vorgestellt wurde. Im CNI gab es heftige Proteste gegen die CNA, vor allem von Vertreter des Bereichs Haushaltsgeräte und Softwareindustrie, die schon früh vor einem reziproken Freihandelsabkommen ohne besondere Behandlung diverser Marktbereiche gewarnt hatten. Auch in der Coalização Empresarial Brasileira (CEB) gewann seit Mai dieses Jahres der Eindruck Überhand, die brasilianische Industrie würde letztlich den Preis für Vorteile des Agrobusiness bezahlen.

In den folgenden BNC vom 21.Juli und 12.Aug.2004, die zwar unter dem politischen Erfolgsdruck des vorangegangenen EU-Lateinamerika-Karibik-Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs standen, erhöhte die EU ihr Angebot auf das Verhältnis, 60% der Agrarangebote dem MERCOSUR bilateral und 40% multilateral im Rahmen der Doha-Agenda der WTO einzuräumen, wonach sich bilateral beispielsweise für Rindfleisch eine Extraquote von 116.000 Tonnen ergeben würde. Wegen der Staffelung über zehn Jahre und der Aufteilung auf die vier MERCOSUR-Statten würde dies für Brasilien in absoluten Zahlen einen Export von 2300 Tonnen Fleisch jährlich zu einem Zollsatz von 10% bedeuten, und das bei einem derzeitigen Gesamtexportvolumen von jährlich 290000 Tonnen. - Die BNC-Treffen vom 21.Juli und 12.Aug.2004 wurden jeweils vom MERCOSUR vorzeitig abgebrochen und auf zwei weitere Sitzungen, 13.-17. September in Brüssel und 20.-25.Septmber in Brasilia, vertagt. Trotz der nach wie vor vehementen Bekundungensowohl von MERCOSUR- wie von EU-Seite, den anvisierten Zeitplan für den Abschluß der Verhandlungen noch vor dem Wechsel der EU-Kommission bis Oktober dieses Jahres einzuhalten, scheinen die bilateralen Verhandlungszüge zu entgleisen.

 

EU-RHETORIK – BEIM WORTE NEHMEN!

Während vor allem die ALCA-Verhandlungen Zielscheibe der Kritik von Bewegungen und Nichtregierungsorganisationen sind, fällt die weitestgehende Abwesenheit von Kritik und Organisation gegen EU-MERCOSUR beiderseits des Atlantiks auf, und das obwohl die EU-MERCOSUR-Verhandlungen qualitativ wie quantitativ der gleichen Freihandelsagenda neoliberaler Verwertungsinteressen entspringt. Dies ist nicht zuletzt der wohlfeilen Entwicklungs-, Dialogs- und Kooperationsrhetorik der EU zuzuschreiben, die es immer wieder versteht, ihre Inter-regionalen Assoziationsverhandlungen im Gegensatz zur us-amerikanischen "reinen" Freihandelsagenda als auf den drei Pfeiler "Handel", "Kooperation" und "Dialog" basierend werbeträchtig zu verkaufen:

Die drei Bestandteile des Inter-Regionalen Assoziationsabkommens zwischen EU und MERCOSUR, "Dialog", "Kooperation" und "Handel", erfüllen sich in realiter in den Politikbereichen Aussenpolitik, Entwicklungszusammenarbeit und Aussenhandel. Seit 1992 hat die Europäische Kommission in alle bilateralen Handels – und Kooperationsabkommen mit Drittstaaten Klauseln aufgenommen, nach der die gegenseitigen Beziehungen auf der Achtung und Förderung der Menschenrechte und demokratischer Prinzipien beruhen und nachhaltige wirtschaftliche und soziale Entwicklung Priorität genießen. Dies gilt auch für die Inter-Regionalen Assoziationsabkommen mit Mexiko (2000), Chile (2002) und MERCOSUR (voraussichtlich Okt.2004).

Schon Artikel 177 EG-Vertrag definiert als Entwicklungsziele die "nachhaltige wirtschaftliche und soziale Entwicklung der Entwicklungsländer", die "harmonische, schrittweise Eingliederung der Entwicklungsländer in die Weltwirtschaft", die "Bekämpfung der Armut in den Entwicklungsländern", die "Fortentwicklung und Festigung der Demokratie und des Rechtsstaats sowie das Ziel der Wahrung der Menschenrechte und Grundfreiheiten zu verfolgen" und verpflichtet sich "den im Rahmen der Vereinten Nationen und anderer zuständiger internationaler Organisationen gegebenen Zusagen nach[zukommen] und [...] die in diesem Rahmen gebilligten Zielsetzungen" zu berücksichtigen. Mit dem Amsterdamer Vertrag (Mai 1999) und der Verabschiedung der Grundrechtecharta der EU auf dem Gipfel von Nizza im Dezember 2000 wurde nochmals unterstrichen, daß die Menschenrechte normative Grundlage der europäischen Politik sind. Dabei stehen für die EU spätestens seit dem Jahresbericht 2003 der EU-Kommission als normatives Leitmotiv ihrer Politik die "drei K" im Vordergrund: Kohärenz, Koordinierung und Komplementarität: "Koordinierung ist von entscheidender Bedeutung, wenn man Überschneidungen oder ein inkohärentes Vorgehen vermeiden will, die gemeinsame Ziele anstreben. Komplementarität beginnt mit Koordinierung, geht aber darüber hinaus und bedeutet, dass jeder Akteur seine Hilfe dort bereitstellt, wo sie verglichen mit den Leistungen anderer den größten Mehrwert bewirkt, wodurch sich Synergieeffekte maximieren lassen" (COM 2003-0527). Kohärenz bedeutet laut Artikel 3 des Vertrages "Über die Europäische Union" vom 7. Februar 1992 zu Maastricht, inkraftgetreten 1. Januar 1993, daß die Union "insbesondere auf die Kohärenz aller von ihr ergriffenen außenpolitischen Maßnahmen im Rahmen ihrer Außen-, Sicherheits-, Wirtschafts- und Entwicklungspolitik" achtet. Dabei gilt laut Artikel 178, EG-Vertrag, daß die Gemeinschaft "die Ziele des Artikels 177 bei den von ihr verfolgten Politiken, welche die Entwicklungsländer berühren können", stets berücksichtigt: Die entwicklungspolitischen Ziele gelten somit über die Entwicklungskooperation hinaus als normativer Bezugspunkt auch für die Bereiche EU-Aussenpolitik und EU-Aussenhandelspolitik.

Von der EU erklärtes Ziel des Inter-Regionalen Assoziationsabkommens zwischen der EU und dem MERCOSUR sei die Erreichung Nachhaltiger Entwicklung beiderseits des Atlantiks. Nachhaltige Entwicklung basiert laut Agenda 21, Monterrey Gipfel, Doha Development Agenda, Nachhaltigkeitsgipfel Johannesburg (WSSD) und den UN-Millenium-Zielen auf den drei Bausteinen Soziale Entwicklung, wirtschaftliches Wachstum und Umweltschutz: Dabei sind die im Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 19.Dez.1966 ("Sozialpakt" der UNO) verabschiedeten WSK-Rechte wie Arbeit (Art.6), Arbeitsbedingungen (Art.7), Vereinigungsfreiheit (Art.8), Soziale Sicherheit (Art.9), Schutz von Familie und Verbot von Kinderarbeit (Art.10), Nahrung, Kleidung, Wohnung (Art.11), Gesundheit (Art.12), Bildung (Art.13 und Art.14) und kulturelle Rechte (Art.15) als von allen Unterzeichnerstaaten zu schützende, zu respektierende und zu gewährleistende Rechte normative Leitlinie.

Wenn also Menschenrechte, genauso wie Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Nachhaltige Entwicklung, den globalen Rahmen für die entwicklungspolitischen Richtlinien und Ziele der Europäischen Union abgeben, dann ist es durchaus berechtigt zu fragen, wie denn die Triade der EU-Kommission von Außenhandel, Außenpolitik und Entwicklungspolitik miteinander in Einklang gebracht werden kann, genauso wie es im Rahmen eines Freihandelsabkommens zwischen EU und Mercosur zu fragen geboten ist, wie solch normative Bekundungen wie die der sogenannten Menschenrechtsklausel auf beiden Seiten umgesetzt und überwacht werden könnten: Es ist durchaus fragwürdig, wie denn in einem Freihandelsabkommen, das in seiner Grundausrichtung auf die Liberalisierung von Handel, Investitionen und Kapitalverkehr, auf die Öffnung von Märkten und Marktzugängen, auf die Liberalisierung der Dienstleistungsmärkte öffentlicher Güter genauso wie auf den Bereich öffentlichen Beschaffungswesens abzielt, und durch dessen daraus folgender Anwendung, auf dem realen Parkett konkurrenzbeflügelten Weltmarktes, die hehren Ansprüche der Menschenrechte in ihrer ganzen Breite gewährleistet werden könnten? –

Unabhängig von der zur Zeit nicht absehbaren mittelfristigen Entwicklung über Ratifikation, Verschiebung oder Abbruch der Inter-Regionalen Freihandelsverhandlungen zwischen der Europäischen Union und dem MERCOSUR bedürfen die Ebenen von Handel und Investitionen in den Beziehungen zwischen beiden Blöcken der kontinuierlichen Beobachtung durch die Zivilgesellschaft. Dies um so mehr, als sich die Verhandlungen durch völlige Intransparenz auszeichnen und es für zivilgesellschaftliche Akteure nahezu ausgeschlossen ist, an Informationen aus erster Hand zu gelangen. Der Informations- und Stellenwert der von der EU-Kommission bevorzugten zivilgesellschaftlichen Partizipation im Rahmen des eher schütteren "Civil Socitey Dialogs", wie z.B. auf dem "Ad hoc Meeting EU-Mercosur negotiations: update", vom 28. Juni 2004 in Brüssel, wo sich die Vertreter von DG Trade der EU-Kommission mit der "Zivilgesellschaft" trafen, und sich in der Mehrzahl Vertreter von europäischer Agrarlobby und Transnationaler Konzerne bundesdeutscher Provenienz sowie kaum eine Handvoll NGOs zusammenfanden, tendiert gegen ephemere Bedeutungslosigkeit, weshalb den noch spärlichen Zusammenschlüssen mehrerer freihandelskritischer Organisationen, wie beispielsweise auf dem zivilgesellschaftlichen Gegengipfel "Enlazando Alternativas" von Guadalajara vom 25.-29.Mai 2004, weitere Aktionen und vor allem das stete Einfordern der Umsetzung und Überprüfung der wohlfeilen EU-Rhetorik folgen müssen und werden.

0

 

Weitere Aktivitäten des FDCL finden Sie hier...

 

0

FDCL
Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika e.V.
Centro de Investigación y Documentación Chile-América Latina
Centro de Pesquisa y Documentação Chile-América Latina
Gneisenaustraße 2a
10961 Berlin, Alemania, Alemanha
Fon: 49-(0)30-693 40 29; -69 81 89 35
Fax: 49-(0)30-692 65 90
email:
fdcl-berlin@t-online.de
http://www.fdcl.org

 

Das FDCL ist ein gemeinnütziger Verein, der 1974 gegründet wurde. Mit seinen Aktivitäten will das FDCL den inhaltlichen Austausch von Politik und Wissenschaft, Kultur und Bildung zu lateinamerikabezogenen Themen fördern und damit einen Beitrag zur Völkerverständigung leisten. Es versteht sich als Teil der bundesdeutschen Solidaritätsbewegung und dient weit über die Grenzen Berlins hinaus als Informations- und Kommunikationszentrum für Menschen und Gruppen, die sich über Lateinamerika informieren oder sich zu bestimmten Themen engagieren wollen.

Die Arbeit des FDCL - vornehmlich die Archivarbeit - wird vom Ausschuss für Entwicklungsbezogene Bildung und Publizistik (ABP) des Evangelischen Entwicklungsdienstes (EED) finanziell unterstützt und wird in weiten Teilen von ehrenamtlichen MitarbeiterInnen getragen. Auch finanziell ist der Verein existentiell auf Beiträge von Mitgliedern und FördererInnen angewiesen. Spenden an das sind steuerlich absetzbar. Der Förderkreis des Vereins wird mindestens einmal im Jahr über die laufende Arbeit informiert. Unterstützung und Mitarbeit sind herzlich willkommen !

 

FDCL-Spendenkonto: Postbank Berlin, Kontonummer: 17 69 66-104, Bankleitzahl: 100 100 10

Im Mehringhof, 3. Aufgang, 5.Stock

Gneisenaustr. 2a

10961 Berlin

Tel: (+49) 030-693 40 29

Fax: (+49) 030-692 65 90