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Strafanzeige im Fall des "verschwundenen" Münchner Studenten Klaus Zieschank wurde am 24. Jahrestag des Militärputsches in Argentinien im Münchner Justizministerium eingereicht

Presseinformation der Koalition gegen Straflosigkeit

 

24. März 2000

 

Strafanzeige im Fall des "verschwundenen" Münchner Studenten Klaus Zieschank wurde am 24. Jahrestag des Militärputsches in Argentinien im Münchner Justizministerium eingereicht


Wegen des Verdachts des Mordes, der Geiselnahme, der gefährlichen Körperverletzung und Freiheitsberaubung wurde am 24. März 2000 in München gegen den damaligen Putschistengeneral und Staatschef Jorge Videla und weitere Mitglieder der argentinischen Sicherheitskräfte Strafanzeige eingereicht. Es handelt sich dabei um die 11. Strafanzeige der "Koalition gegen Straflosigkeit", die seit Mai 1998 Strafanzeigen in Bonn, Berlin und jetzt in München eingereicht hat. Die Strafanzeige wird unterstützt vom Ökumenischen Büro für Frieden und Gerechtigkeit und der Initiative Bayerischer Strafverteidigerinnen und Strafverteidiger.

"Straflosigkeit ist die Fortsetzung der Folter mit anderen Mitteln und der Grund, auf dem neue Menschenrechtsverletzungen wachsen" erklärt Kuno Hauck vom Kirchlichen Entwicklungsdienst der Evang.-Luth. Kirche in Bayern in der Pressekonferenz. Er ist einer der Sprecher des bundesweiten Netzwerkes, dem 15 Organisationen aus den Bereichen Kirche, Menschenrechte und Solidaritätsbewegungen angehören. "Am Tag des Militärputsches vor 24 Jahren müssen wir auf der einen Seite feststellen, dass die Verantwortlichen für das "Verschwindenlassen" von 30.000 Personen, darunter rund 100 Deutsche und Deutschstämmige, bis heute immer noch nicht zur Verantwortung gezogen werden. Auf der anderen Seite ist das internationale Interesse an der Verfolgung von Menschenrechtsverletzungen noch nie so groß gewesen wie zur Zeit" so Hauck weiter, "was die Verfahren in ganz Europa zeigen".

"Am Beispiel Klaus Zieschank wird nicht nur die Brutalität der verantwortlichen Schergen in Argentinien deutlich, sondern auch das Versagen der bundesdeutschen Außenpolitik der damaligen Bundesregierung", so Rechtsanwalt Dr. Konstantin Thun, dessen Beschäftigung mit dem "Fall" Zieschank bis auf das Jahr 1976 zurückreicht und der wie kein anderer sowohl mit den Familienangehörigen als auch mit politischen Entscheidungsträgern Kontakt hatte.


Das Schicksal von Klaus Zieschank

Am 26. März 1976 wurde der 24-jährige Klaus Zieschank, ein Student der Münchner TU, in Buenos Aires von argentinischen Militärs entführt und galt als verschwunden. Er war der erste "verschwundene" deutsche Staatsbürger, der nur zwei Tage nach der Machtergreifung der Militärs das Opfer eines Menschenrechtsverbrechens wurde. 1983 wurde der mit Drähten gefesselte Leichnam von Klaus Zieschank (identifiziert 1985 durch einen dt. Wissenschaftler der Universität Ulm) im Flussbett des Rio de la Plata an Land gespült. Die schon damals vermutete Praxis der Militärs, Gefangene aus dem Flugzeug zu werfen, um jegliche Spur zu verwischen, wurde durch den Leichenfund bestätigt.

Die Mutter von Klaus Zieschank schildert die Entführung wie folgt:

"Am Freitag, den 26.03.1976 um 14.00 Uhr, als er mit einem jungen Mann, der ihn in die Arbeit einwies, die Firma verließ, warteten vier Autos vor der Fabrik. Wenigstens ein Auto davon war mit einem weißen Dreieck versehen, dem Zeichen für Heeres-Einheiten in Zivil. Diesen Autos entstiegen bewaffnete Zivilisten, stürzten sich auf die beiden, fesselten sie und stießen sie in die Autos. Etwa um 14.20 Uhr erreichten die Bewaffneten mein Haus und drangen in die Wohnung ein.

Die Tür ging auf, ich neigte mich vor, um den Besuch zu empfangen, als ich meinen Jungen wie eine Statue in der Tür stehen sah, umgeben von Waffen, die auf mich gerichtet waren. Mein Entsetzen war so groß, dass ich einen Schritt zurücktaumelte und einen Schrei ausstieß.

Die Männer durchsuchten die gesamte Wohnung. Sie packten Papiere und persönliche Wertsachen in zum Teil selbst mitgebrachte Koffer und Taschen und auf meine Bitte um Erklärung für den ganzen Vorfall antworteten sie lediglich: "Por algo será" (Einen Grund wird es haben). Schließlich verließen die Männer zusammen mit meinem Sohn die Wohnung und fuhren davon."

Frau Zieschank informierte sofort telefonisch die Deutsche Botschaft in Buenos Aires.

Der Erste Sekretär der Botschaft, Herr Klaus Bald, setzte sich ebenfalls telefonisch mit der Polizeistation Nr. 1, San Martin, Ruta 8, in Verbindung. Ein Leutnant Montel oder Montiel bestätigte dem deutschen Diplomaten, Klaus Zieschank sei dort in Haft und es gehe ihm gut.

Am 06.04.1976 gelang es Frau Zieschank, in telefonische Verbindung mit Leutnant Montiel zu treten. Dieser bestritt nun, dem Konsul der Deutschen Botschaft gegenüber je die Verhaftung von Klaus Zieschank bestätigt zu haben.


Tatenlosigkeit der deutschen Bundesregierung

Das "Verschwindenlassen" und die Ermordung von Klaus Zieschank hat international zu großen Protesten geführt und die damalige Bundesregierung stark in Bedrängnis gebracht, da es ihr nicht gelungen ist, Klaus Zieschank aus den Händen der argentinischen Folterknechte zu befreien. Die Bundesregierung hatte damals trotz der konkreten Beweise für die Verhaftung diese offiziell nie den argentinischen Behörden entgegengehalten. Bundeskanzler Helmut Schmidt hat die Lüge Videlas im Juli 1976, Klaus Zieschank sei bei einem Autounfall getötet worden, als "glaubwürdig" bezeichnet, obwohl seine Leiche damals längst gefunden worden war!

In mehreren Identifikationsgutachten hat Prof. Dr. Friedrich W. Rösing vom Institut für Humangenetik und Anthropologie des Universitätsklinikums Ulm bestätigt, dass die Skelettreste diejenigen des Klaus Zieschank sind. Das Grab von Klaus Zieschank ist 1983 nach der Grablegung geschändet und die Leiche stark beschädigt worden.

Falls das Motiv für diese Grabschändung die Verwischung von Spuren und die Verhinderung der Identifikation war, ist dies nicht gelungen.


Die Verantwortung der deutschen Justiz

Spätestens nach der Identifizierung der Leiche im Jahr 1985 wäre die deutsche Strafjustiz verpflichtet gewesen, ein Ermittlungsverfahren einzuleiten, was aber nie geschehen ist. Um so mehr ist jetzt eine schnelle und gründliche Ermittlung von Seiten der Staatsanwaltschaft geboten. "Die bisherigen Ermittlungen verlaufen eher schleppend." beklagt sich Rechtsanwältin Marianne Kunisch von der Initiative der Bayerischen Strafverteidigerinnen und Strafverteidiger e.V. auf der Pressekonferenz. "So wurden in den schon eingereichten Fällen die Familienangehörigen sowie überlebende Zeugen trotz ihrer Bereitschaft bisher nicht konsularisch vernommen. In vier Fällen plant die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth sogar die Verfahren einzustellen, ohne dass in diesen Fällen bisher irgendwelche Ermittlungen angestellt wurden. Bei den Opfern handelt es sich um Kinder jüdischer Deutscher, deren Eltern während des Faschismus Deutschland verlassen mussten und denen aufgrund einer nichtigen nationalsozialistischen Verordnung als sogenannte Auslandsjuden die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen worden war".

"Die juristischen Aufarbeitung muss von einer politischen Aufarbeitung der Menschenrechtsverletzungen, z.B. in Form von Wahrheits- und Expertenkommissionen begleitet sein, betont Rechtsanwältin Juliane Scheer vom Ökumenischen Büro für Frieden und Gerechtigkeit in München. Die öffentliche Anerkennung des geschehen Unrechts ist ebenso wichtig wie die strafrechtliche Verfolgung der Täter. Bleibt die Verfolgung der Täter aus, ist gesellschaftliche Versöhnung nicht möglich, unterstreicht Frau Scheer unter Verweis auf die Wahrheitskommission zur Untersuchung der Ermordung des salvadorianischen Erzbischofs Oscar Romero, der am 24. März 1980, also heute auf den Tag genau vor 20 Jahren erschossen wurde. Trotzdem die Täter bekannt sind, wurden sie 1993 amnestiert.


Weitere Informationen im Internet unter: www.menschenrechte.org


AnsprechpartnerInnen:

Kampagnenkoordinator: c/o Nürnberger Menschenrechtszentrum

Adlerstraße 40, 90403 Nürnberg

Esteban Cuya, Tel.: 0911 230 55 50 Fax: -51

Rechtsanwalt: Dr. Konstantin Thun Tel: 0761 202 770


Sprecher der Koalition:

Kuno Hauck, Tel: 0911 5408230, oder 0179 70 511 28

Kirchlicher Entwicklungsdienst der Evang.-Luth. Kirche in Bayern


ViSdP Koalition gegen Straflosigkeit: