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NAFTA - CAFTA - FTAA?
Der Freihandel erobert Mittelamerika

 

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Nach einem zwölfmonatigen Verhandlungsmarathon hat Costa Rica am 25. Januar als letztes Land das mittelamerikanische Freihandelsabkommen CAFTA (Central American Free Trade Agreement) zwischen den USA, Honduras, El Salvador, Guatemala, Nicaragua und eben Costa Rica unterzeichnet. Endgültig in Kraft treten soll der Vertrag - nach der Zustimmung der nationalen Parlamente - Anfang 2005. Verhandlungen über einen Beitritt der Dominikanischen Republik laufen bereits.
Seit 1998 die Verhandlungen zu einem multilateralen Investitionsabkommen weitgehend scheiterten, haben sich die Verfechter der Freihandelsdoktrin in Amerika und Europa darauf verlegt, die weltweite Durchsetzung ihrer Theorien mittels verschiedener bilateraler und regionaler Abkommen voranzutreiben. Vorbild ist das 1994 abgeschlossene nordamerikanische Freihandelsabkommen NAFTA zwischen USA, Kanada und Mexiko. Eine wichtige Rolle vor allem für die US-Regierung spielt dabei die Schaffung einer ganz Amerika umfassenden Freihandelszone (FTAA - Free Trade Area of the Americas oder ALCA - Area de Libre Comercio de las Américas). Diesem Ziel sind die Wirtschaftsplaner aus Washington jetzt wieder ein Stück näher gerückt.
Von seinen Fürsprechern wurde das neue Abkommen schon im Voraus als Garant für mehr Arbeitsplätze, höhere Löhne, bessere Arbeitsbedingungen, Umweltschutz, transparentere Politik, Demokratie, Frieden und nachhaltiges Wachstum gefeiert. Die Entwicklung in der Region werde ganz neue Impulse erhalten. Kritiker hingegen sehen genau diese Ziele gefährdet und behindert und weisen auf die Entwicklungen der letzten zehn Jahre im NAFTA-Gültigkeitsbereich hin.
Was steckt wirklich in dem schon ohne Anhänge und Zeitpläne über 500 Seiten umfassenden Vertragswerk und in wie weit erfüllen sich Versprechungen oder Befürchtungen?

 

Geheimniskrämerei statt Offenheit

Zumindest in einem Punkt ist das Abkommen von Beginn an hinter den Versprechungen zurückgeblieben: Im ersten "Faktenpapier" aus dem Weißen Haus, das im Januar 2002 die Aufnahme von Verhandlungen ankündigte, wurde noch von der Förderung von Offenheit und Transparenz in der Region geredet. Eine der ersten Maßnahmen, auf die sich die sechs beteiligten Regierungen beim Verhandlungsstart ein Jahr später einigten, war jedoch der Ausschluss der Öffentlichkeit von den Verhandlungen und die Erklärung der Verhandlungstexte zum Staatsgeheimnis. Erst seit der Unterzeichnung sind die Texte frei zugänglich.. Bei einer Umfrage der Universidad de Costa Rica in diesem Land kurz vor Verhandlungsschluss im Dezember 2003 waren 40 Prozent der Befragten über kein einziges der Verhandlungsthemen informiert. Weitere 20 Prozent konnten nur eines der Themen von Öffnung der Waren- und Dienstleistungsmärkte über Investorenschutz bis zu intellektuellen Eigentumsrechten nennen. Gleichzeitig sagten 90 Prozent der Befragten aus, sie fühlten sich von der Regierung wenig oder überhaupt nicht informiert. Eine fundierte Meinungsbildung und -äußerung in der Gesellschaft wird unter diesen Umständen von den Forschern als unmöglich eingestuft.

 

Einseitige Vorteile

Zudem eklärungsbedürftig erscheint der Vorteil, den die im Vergleich zu den USA verschwindend kleinen mittelamerikanischen Volkswirtschaften - mit 9,9 Billionen Dollar ist das Bruttosozialprodukt der USA ca. 176-mal so hoch wie das der anderen Länder zusammen - aus dem Abkommen ziehen können, schon. Vor allem in der Landwirtschaft ist die Konkurrenzfähigkeit der mittelamerikanischen Landwirte gegenüber der US-Agrarindustrie fraglich. Gerade die meist ohnehin schon zur ärmsten Bevölkerungsschicht gehörenden Kleinbauern sehen sich in ihrer Existenz bedroht. Zwar wurden für einige "sensible" Produkte wie Reis, Fleisch und Milchprodukte Übergangszeiten von bis zu 20 Jahren vereinbart, auch in dieser Zeit werden Zölle aber oft erst nach Überschreitung eines bestimmten Kontingentes erhoben.

 

Tabuthema Agrarsubventionen

Im Gegensatz dazu wurden die hohen US-amerikanischen Agrarsubventionen von Beginn an zum Tabuthema erklärt. Gewerkschaften, Verbände und Nichtregierungsorganisationen äußern den Verdacht, dass die Gewinne für einige wenige Großexporteure auf Kosten der kleineren Produzenten erhöht werden sollen. Die in Mittelamerika oft immer noch engen Verflechtungen zwischen Politik und Wirtschaft tragen nicht gerade dazu bei, diese Befürchtungen zu entkräften. Und auch auf US-amerikanischer Seite sehen sich kleinere Farmer zum Vorteil einiger weniger Agrarriesen übergangen.
Ein weiterer Stein des Anstoßes ist die kommerzielle Öffnung des öffentlichen Dienstleistungssektors. In Costa Rica, das über das mit Abstand beste und vollständigste Strom- und Telefonnetz Mittelamerikas verfügt, sind noch im Jahr 2000 die Privatisierung des Instituto Costarricense de Electricidad (ICE) und die Öffnung des Strom- und Telekommunikationsmarktes am massiven Widerstand der Bevölkerung gescheitert. Zwar lehnte die costaricanische Regierung die vollständige Liberalisierung weiterhin ab, die hochlukrativen Bereiche Internet, Mobilfunk und private Netzwerke sollen aber für Privatunternehmen geöffnet werden. Mit den Gewinnen aus genau diesen Sparten konnte das ICE allerdings bisher die im lateinamerikanischen Vergleich hervorstechende Stromversorgungsquote von 90 Prozent der Haushalte und den Anschluss aller außer der abgelegensten Gemeinden ans Telefonnetz finanzieren. Die Nachbarländer haben zudem fast durchweg schlechte Erfahrungen gemacht. So stiegen beispielsweise in Nicaragua, Panama und El Salvador die Mobilfunktarife nach der Marktöffnung um 400, 500 und 1300 Prozent. Gleichzeitig ist ein Einstieg mittelamerikanischer Unternehmen auf dem US-Telekommunikationsmarkt eher unwahrscheinlich.

 

Handel vor Arbeitsrechten und Umweltschutz

Neben der grundsätzlichen Frage danach, wem das Abkommen eigentlich wieviel nützt oder schadet, sorgen auch die Bereiche Arbeitsrecht, Umweltschutz und Konfliktlösungsmechanismen für Zündstoff.
In Bezug auf Arbeitsrechte und Umweltschutz wird den Ländern im Vertrag nur nahegelegt, die Achtung und Verbesserung bzw. Angleichung der entsprechenden nationalen Gesetzgebung an internationale Abkommen "anzustreben". Sanktionen nach Vorgabe der im Vertrag vorgesehenen Konfliktlösungsmechanismen im Falle mangelnder Durchsetzung dieser Gesetze sind nur möglich, wenn dadurch "der Handel zwischen den Mitgliedern beeinträchtigt wird". Eine Verpflichtung oder ein konkreter Zeitplan für die Ratifizierung internationaler Protokolle fehlen ebenfalls. Demgegenüber stehen wiederholte Klagen von Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch über den mangelnden politischen Willen zentralamerikanischer Regierungen grundlegende Arbeitsrechtsbestimmungen wie Bildung von Gewerkschaften oder Kündigungsschutz einzuführen beziehungsweise durchzusetzen. In Fragen des Umweltschutzes ist die Lage ähnlich prekär. So werden zum Beispiel in Guatemala noch häufig arsenhaltige Möbelbeizen verwendet, die ihren Weg auch immer wieder in zur Trinkwasserversorgung genutzte Flüsse finden. Die jeweiligen nationalen Bestimmungen in Mittelamerika unterscheiden sich deutlich.
Im Gegenzug können auch private Investoren die Mitgliedsstaaten mit dem Argument, die Regelung stelle "eine verdeckte Restriktion gegen Handel oder internationale Investitionen" dar, für jedwede gewinnreduzierende Maßnahme verklagen. Und das wahlweise beim der Weltbank angegliederten Internationalen Zentrum für die Regelung von Investitionsstreitigkeiten oder bei der Kommission der Vereinten Nationen für internationales Handelsrecht. Diesen Mechanismus haben Investoren und Unternehmen unter NAFTA wiederholt benutzt, um nationale Gerichtsentscheidungen, Umwelt- und Gesundheitsbestimmungen unter Berufung auf angebliche Verstöße gegen den Freihandel zu untergraben.

 

Zehntausende auf den Straßen

Große Besorgnis erregt auch das Kapitel über intellektuelle Eigentumsrechte. Verbraucherschutzorganisationen vermuten hier die Einschränkung von Herstellung und Vertrieb generischer Medikamente und damit einhergehende steigende Gesundheitskosten. Außerdem wird eine Ausschlachtung und Patentierung des mittelamerikanischen Artenreichtums durch US-amerikanische Pharmakonzerne befürchtet.
Aus all diesen Gründen kam es seit Beginn der Verhandlungen immer wieder zu massiven Protesten gegen das Freihandelsabkommen. Allein in Costa Ricas Hauptstadt San José demonstrierten am 24. November des letzten Jahres beim regionalen Aktionstag knapp 10 000 Menschen, in El Salvador kamen einige Märsche auf bis zu 100 000 Teilnehmer. Die Unterzeichnung des Vertrages durch die Regierungen konnten die Aktivisten dennoch nicht verhindern. Ob sie bei den Abgeordneten der Parlamente, die jetzt über Annahme oder Ablehnung des Abkommens abstimmen müssen, mehr Gehör finden, bleibt abzuwarten.

 

von Jonas Rüger
veröffentlicht in leicht gekürzter Version in Lateinamerika Nachrichten Nr. 357, März 2004