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[mehr zu den Lateinamerika-Tagen von FDCL und LN]

FDCL: Vorwort des Programmheftes der Lateinamerika Tage `87:

 

Lateinamerika Tage ´87

 

Zum vierten Mal bereits finden in Berlin Lateinamerika Tage und Lateinamerika Filmtage statt. Auch 1987 werden sie von der Lateinamerika Koordination organisiert, einem Zusammenschluß des Großteils der Solidaritätsgruppen und Exilparteien, die sich mit den Problemen Lateinamerikas auseinandersetzen. Neu ist an der diesjährigen Veranstaltungsreihe, daß wir diesmal ein zentrales Motto gewählt haben, um das sich schwerpunktmäßig die einzelnen Veranstaltungen gruppieren:

VERSCHULDUNG - VERELENDUNG - WIDERSTAND

Das Thema drängte sich uns geradezu auf: Über nichts wurde in den letzten Jahren soviel geredet, geschrieben, diskuitiert, spekuliert, prophezeit, geirrt wie über die große Schuldenkrise der sog. Dritten Welt. Die Analysen schwanken zwischen der Voraussage des Zusammenbruchs des bestehenden Wirtschaftssystems mit noch weitaus schlimmeren Folgen als die Weltwirtschaftskrise von 1929 und der Überzeugung, daß "der Kapitalismus" auch diesmal wieder seine verblüffenden Anpassungsfähigkeiten zeigen wird.

Wichtiger jedoch als die Aufregung der veröffentlichten Meinung und der wissenschaftlichen Diskussion ist die brutale Realität dieser Verschuldungskrise. Egal, welche Szenarien sich nun bewahrheiten werden: Unter den Folgen der Verschuldung leiden Millionen von Menschen, deren Arbeitsplätze und deren Subsistenzmöglichkeiten vernichtet werden. Die Millionen von Dollars, die ständig als Zinszahlungen an die transnationalen Banken zu leisten sind, töten Menschen in der "Dritten Welt".

Die Länder Lateinamerikas gehören zu den höchstverschuldeten der Welt - und sind gleichzeitig Experimentierfeld für die diversen "Lösungsstrategien", die von Banken, Internationalem Währungsfonds, Weltbank und den Regierungen der Gläubigerstaaten ausgearbeitet werden. Gleichzeitig aber sind lateinamerikanische Regierungen auf der einen Seite Vorreiter einer immer stärkeren Opposition gegen das Schuldendiktat, die ideologisch wirkungsvoll (wenn auch mit oft nur geringen praktischen Konsequenzen) Stimmung gegen den IWF machen, so vor allem Peru und Kuba (das allerdings keine nennenswerten Schulden gegenüber westlichen Finanzorganisationen hat). Andererseits gehören gerade die sog. Schwellenländer des Kontinents zu den "guten" Zahlern. Trotz aller Drohungen, kurzfristig einseitig verhängten Moratorien und rethorischen Angriffen auf den IWF beugen sich gerade die wirtschaftlich noch besser gestellten Länder wie Mexico, Argentinien und Brasilien letztlich doch immer wieder den Forderungen der Gläubiger.

Die Folgen der Wirtschaftspolitik, deren Hauptziel die garantierung der Zinszahlungen ist, sind bekannt: Senkung der Löhne, Massenentlassungen, Kürzungen der Sozialausgaben des Staates - mit einem Wort: eine wahre Verelendung.

Damit ist die Opposition gegen die Zahlung der Zinsen und Schulden zu einem der wichtigsten innenpolitischen Themen in Lateinamerika geworden. Auf allen Ebenen regt sich Widerstand. Allerdings sieht es gegenwärtig so aus, daß diese Opposition nur auf langfristige Erfolge hoffen kann; kurzfristig bestehen wenig Aussichten, daß ein breites Bündnis zustandekommt, das auch tatsächlich die Macht hätte, dem Schuldendiktat eine realistische Alternative entgegenzusetzen.

Von Seiten der Industrieländer, deren Banken und internationalen Finanzorganisationen billige Kredite an die brutalsten und korruptesten Militärdiktaturen vergaben und das Geld in Prestigeprojekte steckten, die den ökologischen Raubbau vorantreiben, aber nicht zu einer wirtschaftlichen Entwicklung beitragen, kommen keine Vorschläge, die eine strukturelle Lösung der Krise erlauben würden. Die Streichung von Schulden und die notwendige Änderung der Wirtschaftspolitik der Vereinigten Staaten werden nicht ernsthaft zur Diskussion gestellt.

Gerade am Verhältnis zwischen den USA und Lateinamerika zeigt sich die groteske Seite der Verschuldungskrise. Infolge der hohen Zinslasten und Tilgungsraten sind die armen lateinamerikanischen Länder gegenüber der reichen Hegemonialmacht zu Nettokapitalexporteuren geworden. Die hohen internationalen Zinsen sind vor allem die Folge der Hochzinspolitik der USA, die (um ihre Rüstungsproduktion zu finanzieren und ihr Haushalts- und Handelsbilanzdefizit zu decken) Kapital anlockt. Die Folgen der eigenen Verschuldung kann die USA jedoch auf die anderen Länder abwälzen, indem sie die Vorteile der tatsache ausnutzt, daß der Dollar die Währung ist, in der alle wichtigen internationalen Finanzoperationen getätigt werden.

Die Schuldenkrise gehört zu den Rahmenbedingungen jeglicher Politik in Lateinamerika. Egal worüber man redet: über Gewerkschaften, Wirtschaftspolitik, ökologische Probleme, Widerstand in den Elendsvierteln - es bedarf keiner intellektuellen Verrenkungen, um Zusammenhänge herzustellen.

Und genau das wollen die Lateinamerika Tage in einer Vielzahl von Veranstaltungen versuchen. Es geht dabei sowohl um allgemeine, grundsätzliche Fragen wie um die Darstellung von einzelnen Problemen, Aktionen und Widerstandsformen. Und es geht nicht zuletzt um die Frage, was die Verschuldungskrise mit uns zu tun hat, was Gegenstrategien gegen die "große Politik" der Ausbeutung und Unterdrückung sein können.

Somit ordnen sich die Lateinamerika Tage in die Kampagne gegen die Tagung von IWF und Weltbank 1988 in Berlin. Eine große Anzahl von Gruppen (Bundeskongreß entwicklungspolitischer Aktionsgruppen, Alternative Liste, autonome Gruppen, kirchliche Organisationen) wollen versuchen, aus Anlaß dieser Tagung eine breite Öffentlichkeit über das problem der Verschuldung herzustellen. Die politischen Positionen und Aktionsformen gehen weit auseinander - auch das zeigen die Veranstaltungen der Lateinamerika Tage und die inhaltlichen Artikel und Positionspapiere in diesem Programmheft.

Die Lateinamerika Tage haben ein gemeinsames Motto, aber sie bieten nicht nur eine Meinung. Wir hoffen, daß gerade die Vielfalt der angebotenen Positionen und Analysen zu einer verstärkten Diskussion auch zwischen den beteiligten Gruppen beiträgt. Die Erfahrung hat gezeigt, daß allzu oft in geschlossenen Zirkeln aneinander vorbeigeredet wird. Die gemeinsame Auseinandersetzung ist aber notwendig, wenn die Kapagne politisch wirkungsvoll sein soll.

Einen wichtigen Beitrag zur Verdeutlichung des gesamten Problems, das mit dem Kürzel "Verschuldungskrise" umschrieben wird, liefern die LATEINAMERIKA FILMTAGE in der Filmbühne am Steinplatz. Erwähnt sei hier die Berliner Premiere des neuen Films von Peter Krieg "Die Seele des Geldes", der sich explizit mit diesem Problem beschäftigt. Aber die Filmtage bleiben nicht bei einer verkürzten Sicht der Dinge stehen. Spiel- und Dokumentarfilme, die auf lebendige und trotz der Problemtaik auch spannende und unterhaltsame Weise die aktuelle Situation des Kontinents reflektieren, sollen dazu beitragen, Lateinamerika, seine Kultur, die Probleme, Widerstand und Unterdrückung sicht-bar zu machen.

Kultur ist eine Form auch von Widerstand. In der Kultur kann sich das Selbstbewußtsein der Völker ausdrücken. Kultur ist subversiv und verändernd auch da, wo direkte politische Aktionsformen allzu schnell unterdrückt werden. Theaterstücke lateinamerikanischer Gruppen, Konzerte und Ausstellungen sollen einen kleinen Einblick in die vielen Facetten lateinamerikanischer Kultur bieten.

Zur Unterstützung der Lateinamerika Tage haben folgende Gruppen und Organisationen die Schirmherrschaft übernommen:
Evangelisches Bildungswerk Berlin
Evangelische Studentengemeinde / Ausländerzentrum
Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Berlin
Katholische Studentinnen- und Studentengemeinde
KOB
radio 100
zitty

Wir danken dem Ausschuß für entwicklungspolitische Bildungsarbeit (ABP) für die finanzielle Unterstützung der Lateinamerika Tage `87.

FDCL, im November 1987


Das Programm der Lateinamerika Tage 1987 auf einen Blick


Die VerSCHULDung der USA

 

Veranstaltung des FDCL im Rahmen der Lateinamerika Tage `87:

mit André Gunder Frank und Kurt Hübner

Moderation: Urs Müller-Plantenberg

Zeit: Dienstag, den 17.11.87 um 19 Uhr
Ort: Haus der Kirche, Goethestr. 27, 1 Berlin 12

 

Schulden sind nicht gleich Schulden: Die Nachrichten über die dramatische Verschuldungskrise der sog. Dritten Welt sind mittlerweile wohl selbst in das abgelegenste Frensehzimmer gedrungen. Dagegen ist es schon nötig, den Wirtschaftsteil der Zeitungen ziemlich genau zu lesen, um zu erfahren, daß die USA die bei weitem höchstverschuldete Nation sind. "Die Schuldenkrise der Länder der Dritten Welt ist eine Kleinigkeit im Vergleich zum Pumpkapitalismus, den die USA im großen Stil seit Beginn der achtziger Jahre unter der Regie der Schauspieler im Weißen Haus inszeniert haben. " (Elmar Altvater)

Was haben die Schulden der einen mit den Schulden der anderen zu tun? Wie konnte es zu dem historisch beispiellosen Handels- und Leistungsbilanzdefizit der USA kommen? Zur Debatte stehen soll also die veränderte wirtschaftliche Position der USA auf dem Weltmarkt und die sich daraus ergebenden Konsequenzen und Gefahren. Unser Hauptaugenmerk wollen wir dabei - am Beispiel Lateinamerikas - auf diejenigen richten, die Hochrüstung, Hochzinspolitik, Defizite und wachsende Verschuldung der USA am meisten treffen. Da die Rolle der USA als Superschuldner auch für Westeuropa erhebliche Folgen mit sich bringt, sollten wir auch über die politischen Perspektiven in den Metropolen reden, die sioch aus der Analyse der US-Wirtschaftspolitik ergheben.

Um diese Fragen und Probleme zu diskutieren, haben wir André Gunder Frank und Kurt Hübner eingeladen.
Die Moderation macht Urs Müller-Plantenberg

Zeit: Dienstag, den 17.11.87 um 19 Uhr
Ort: Haus der Kirche, Goethestr. 27, 1 Berlin 12
Veranstalter: FDCL


Die Lateinamerika Filmtage 1987 auf einen Blick