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Solidaritätsarbeit zu Politischen Gefangenen in Chile:
Pedro Rosas Aravena nach 11 Jahren aus der Haft entlassen

 

Am Freitag, dem 7. Januar 2005, erreichte uns eine E-Mail aus Santiago mit der Nachricht, dass der politische Gefangene Pedro Rosas Aravena, inhaftiert im Hochsicherheitsgefängnis (CAS) in Santiago, um 18 Uhr aufgrund einer Begnadigung   durch die Regierung Chiles freigelassen werde. Aufgrund der Ungewissheit und Skepsis, die diese Nachricht bei denen auslöste, die über sechs Jahre für die Freiheit der politischen Gefangenen in Chile eingetreten waren, wurde beschlossen, direkt und spontan in Chile anzurufen, um den Wahrheitsgehalt dieser Nachricht zu überprüfen.
Zu unserer Überraschung war es Pedro selbst, der sich auf der anderen Seite der Leitung meldete und uns sagte: „Dies ist ein Sieg, der nicht nur mich betrifft, sondern alle, die für meine Freiheit gekämpft haben. Vielen Dank an die Genossinnen und Genossen in Berlin, die mich auf diesem langen und schwierigen Weg begleitet haben.”

Pedro Rosas, 39 Jahre alt, Vater von zwei Kindern, Lehrer für Geschichte und Geografie und im Widerstand gegen die chilenische Militärdiktatur aktiv in der Linken Revolutionären Bewegung (MIR), hatte bis zu seiner Haftentlassung fast 11 Jahre in politischer Gefangenschaft und Isolationshaft verbringen müssen. Dies teilweise unter den harten Bedingungen der Isolationshaft, die es in dieser Form nicht einmal unter der Militärdiktatur während der Ära Pinochet gegeben hatte.

Als Pedro im März 1994 festgenommen wurde, war er Student an der Universität Los Lagos. Im anschließenden Prozess wurde er wegen Gründung, Finanzierung von und Beteiligung an bewaffneten Gruppen zu acht Jahren Haft verurteilt. Nach zwei Jahren Haft im Gefängnis von Osorno/Südchile, wurde er in das kurz zuvor von der Regierung Aylwin eröffnete Hochsicherheitsgefängnis (CAS) in  Santiago verlegt. In Santiago erwartete ihn ein neuer Prozess: angeklagt wurde er vom Militärgericht im Jahr 2000 wegen Beteiligung an bewaffneten Aktionen und zu weiteren 20 Jahren Haft verurteilt, womit sich seine gesamte Haftstrafe auf 28 Jahre belief.

Nach mehreren Jahren in Haft, gelang es Pedro, dank der direkten Unterstützung von Solidaritätsgruppen und einer Genehmigung der Universität Los Lagos, trotz der erschwerten Haftbedingungen, sein Studium auch im Knast fortzusetzen. Im Jahr 2002 erhielt er den akademischen Grad und den Titel als staatlicher Lehrer in den Fächern Geschichte und Geografie mit höchster Aufzeichnung. Seine Abschlussarbeit und die entsprechenden Abschlussprüfungen wurden von zwei renommierten chilenischen Historikern betreut: Gabriel Zalazar und Sergio Gress. Weiterhin konnte er im Jahr 2004 zwei Bücher veröffentlichen, die von ihm selbst in der CAS geschrieben wurden: “Derechos Humanos en la transición. Tortura y Prisión Política, 1990-2004”? (Stiftung Ayún) und “Rebeldía, subversión y presión política. Crimen y Castigo en la transición chilena 1990-2004”? (Verlag LOM-Ediciones). Damit konnte er den Respekt und die Anerkennung von vielen chilenischen sowie internationalen Intellektuellen gewinnen, was auch eine wichtige Unterstützung der Kampagne für seine Freilassung bedeutete und letztendlich auch zu seiner Begnadigung durch den heutigen chilenischen Präsidenten, Ricardo Lagos, beitrug. Zur Zeit absolviert Pedro ein Master in Geschichte und Geistwissenschaften an der Universität Arcis in Santiago.

Auf nationaler Ebene wurde ab dem Jahr 2002 die juristische Initiative für ein Amnestiegesetz einerseits von der Katholischen Kirche durch Monsignore Baeza (Vikar der Arbeiterpastorale), durch einige Parlamentarier der Regierungsparteien, der sogenannten Concertación, andererseits aber auch von den Rechtsparteien, insbesondere von der Unabhängige Demokratische Einheit (UDI), angestoßen. Einerseits wurde diese Initiative mit dem Ziel verbunden, für die Freiheit der politischen Gefangenen einzutreten, die durch die willkürliche Anwendung vom Antiterrorgesetzen und durch unfaire Prozesse inhaftiert worden waren und deren Existenz als solche von der Regierung nicht mehr ignoriert werden konnte. Andererseits stellte sich im Verlaufe der Verhandlungen bald heraus, dass vor allem die bis dahin im Gewande humanistischer Rethorik agierende UDI als Bedingung für ihre Unterstützung der Initiative verlangte, diese direkt mit der Schaffung eines Schlusspunktgesetzes zu verbinden, welches zur endgültigen Schließung aller offenen und Verhinderung aller zukünftig möglichen Prozesse gegen chilenische Militärs, also zur Straffreiheit für diejenigen führen sollte, die unter der Pinochet-Diktatur für brutalste Menschenrechtsverletzungen verantwortlich waren.

Nach langen und zähen Verhandlungen, bei denen die Initiative mehrmals zu scheitern drohte, wurde letztendlich im August 2004 vom chilenischen Parlament als Kompromissformel ein eng zugeschnittenes Gesetz verabschiedet, das eine Freilassung der Politischen Gefangenen auf den Weg bringen sollte. Sechs Gefangene wurden daraufhin aus der Haft entlassen, weitere acht erreichten nur eine Erleichterung ihrer Haftbedingungen respektive eine Entlassung mit Auflagen (mit Bewährung, Freigänger im offenen Vollzug etc.), sechs andere politische Gefangene blieben ohne jedwede Erleichterungen im Knast, da das Gesetz letztlich diejenigen ausschloss, die unter Anwendung des Antiterrorgesetzes inhaftiert worden waren. Auch Pedro konnte durch dieses Gesetz keinerlei Vorteile erwirken.

Im Rahmen der Kampagne für die Freiheit der politischen Gefangenen in Chile hat die Chile-Solidaritätsgruppe in Berlin zahlreiche und vielfältige Aktivitäten durchgeführt: verschiedenen Kundgebungen wurden zu dem Thema organisiert, und jedes Mal, wenn chilenische Politiker Berlin besuchten, zum Beispiel Ricardo Lagos oder Michelle Bachelett, haben wir Teile der in Deutschland lebenden Chilenen sowie einige für unsere Anliegen und die jüngere Geschichte Chiles sensibilisierte Deutsche mobilisiert, um diese BesucherInnen mit unserer Transparenten, Plakaten und Flugblättern, auf denen das Motto „Freiheit für die Politischen Gefangenen in Chile”stand, zu begrüßen. Ferner wurden auf europäischer Ebene verschiedene Kampagnen für die Freiheit der Politischen Gefangenen organisiert. Eine der umfangreichsten war diejenige, die für die Freiheit von Marcela Rodríguez durchgeführt worden war.

Doch ist es nicht unser Ziel, an dieser Stelle von jeder politischen und kulturellen Aktivität, die in Berlin stattfand (Konzerte, Solipartys, Veranstaltungen, Pressearbeit etc.), zu berichten. Gleichwohl ist es unser Wunsch, mit euch diesen großen Erfolg, d.h. die Freilassung von Pedro Rosas als Ergebnis der weltweiten Solidaritätsarbeit, zu teilen. Insbesondere wollen wir allen MitstreiterInnen und den politischen, studentischen und menschenrechtlichen Organisationen danken, die - egal in welcher Form - für die Freilassung von Pedro Rosas und die anderen Politischen Gefangenen einen Beitrag geleistet haben.
Es ist uns bewusst, dass dieser Triumph leider nur ein Teilerfolg ist, weil in der CAS noch sechs Politische Gefangenen einsitzen: Julio Peña, Rene Salfate, Pablo Vergas, Claudio Melgarejo y Fédor Sánchez. Diese konnten weder die Vorteile des o.g. Gesetzes wahrnehmen, noch eine direkte Begnadigung durch den chilenischen Präsidenten Lagos erwirken. In den Fällen vom René Salfate und Julio Peña gibt es kein bürokratisch-juristisches Hindernis, dass die Begnadigung von Seiten der Exekutive ausschließen würde, benötigt wird dafür allerdings der politische Wille der Regierung. In den Fällen von Pablo Vargas, Hardy Peña, Claudio Melgarejo und Fédor Sanchez braucht man allerdings einen besonderen, neuen Gesetzentwurf, da sie über das Antiterrorgesetz angeklagt und verurteilt worden sind.

Die chilenische Regierung hatte sich bereits vor Monaten dazu verpflichtet, ein solches neues Gesetz zu verabschieden, mit dem auch diejenigen politischen Gefangenen, die noch immer im Knast sitzen, aus der Haft entlassen werden können. Bislang hat aber weder die Exekutive noch die Legislative etwas unternommen, um die Verabschiedung eines solchen Gesetzes voranzubringen. Diese offensichtliche Gleichgültigkeit ist unserer Meinung nach unverantwortlich und unmenschlich, wenn man bedenkt, dass diese Genossen/innen mittlerweile fast über 15 Jahre im Knast verbracht haben und andererseits in Betracht zieht, wie mühselig sich in Chile noch immer die Auseinandersetzung mit der Aufarbeitung der von Militärs begangenen Verbrechen unter der Pinochet-Diktatur gestaltet - waren es doch eben diese Verbrechen, wogegen sich der Widerstand der Politischen Gefangenen in Chile richtete. 

Unabhängig von dem zweifelhaften Willen der chilenischen Regierung, diese Ungerechtigkeit zu beendigen, sind wir überzeugt davon, dass solange das heute existierende ökonomische Modell und ein ausgrenzendes soziales und politisches System fortbestehen, es also weiterhin gravierende soziale Ungerechtigkeit gibt, es immer auch Menschen geben wird, die solche Zustände anklagen und dagegen Widerstand leisten werden. Ebenso ist es offensichtlich, dass soziale und politische Kämpfe immer wieder der Gefahr ausgesetzt sind, Opfer direkter staatlicher oder auch staatlich geduldeter Repression zu werden. Das Gefängnissystem ist dabei immer ein zentrales staatliches Repressionsinstrument. Deshalb bitten wir euch, weiterhin aufmerksam zu sein und diesen Menschen eure Unterstützung und Solidarität zukommen zu lassen. Aber vor allem und auf unmittelbarere Weise wollen wir euch aufrufen, weiter für die Freiheit aller noch in der CAS einsitzenden Politischen Gefangenen zu kämpfen, um im Sinne der Freiheit letztlich nicht nur einen partiellen, sondern einen vollständigen Erfolg zu erzielen.

Ehemalige Soli-Gruppe für die Freiheit der Politischen Gefangenen in Chile im FDCL in Berlin.

Berlin, den 05.04.2005

Für mehr Informationen siehe Anhang auf Spanisch.


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