Zeit:
Montag, den 2. Oktober 2006 um 19:00 Uhr
Ort:
Mehringhof (Versammlungsraum, 1.St. links überm Theater!),
Gneisenaustrasse 2a, 10961 Berlin-Kreuzberg (Mehringdamm U6, U7)
Casimira Rodriguez Romero ist Ministerin für Justiz und Menschenrechte, Bolivien
Hintergrund
Mit 54% gewann im Dezember vergangenen Jahres der ehemalige Anführer der Kokabauern, Evo Morales, mit der von ihm angeführten Bewegung zum Sozialismus (Movimiento al Socialismo, MAS) die Präsidentschaftswahlen in Bolivien. Seit der Wiedereinführung der Demokratie in Bolivien im Jahr 1982 hatte kein Kandidat einen so hohen Stimmenanteil erhalten. Im Januar 2006 trat er als erster indigener Regierungschef im ärmsten Land Südamerikas das Präsidentenamt an.
Die 60 Prozent indigene Bevölkerung in Bolivien waren es, die die Wahlen entschieden haben. Mit ihrem deutlichen Votum für Evo Morales haben gerade die Indigenas ihren Wunsch nach einem grundlegenden Wandel des politischen und wirtschaftlichen Systems in Bolivien, nach einer Abkehr von der neoliberalen Politik der vergangenen Jahre unterstrichen.
Die drei wesentlichen Momente der Wahl-Programmatik hat die neue Regierung unter Evo Morales in Angriff genommen:
1. die Wiedererlangung der staatlichen Verfügungsgewalt über die bolivianischen Erdgasvorkommen (die Nationalisierung der „hidrocarburos”);
2. die Bildung einer konstituierenden Versammlung, die eine neue Verfassung ausarbeiten soll;
3. die Einleitung einer Agrarreform, mit der insbesondere Ländereien aus privatem Besitz, die aus rein spekulativen Gründen nicht produktiv genutzt werden, zurückgegeben werden sollen.
Das Ausland ist skeptisch, was Morales angeht. Für die USA ist Morales auch deshalb ein rotes Tuch, weil er die Antithese der US-Drogenpolitik ist. Er unterstützt den freien Anbau der Koka-Pflanze. Dagegen steckte die Bush-Regierung viele Millionen US-Dollar in die Bekämpfung des Kokaanbaus.
Ist Evo Morales nun ein Populist, - oder ist er einfach populär? Und ist er es vielleicht nicht einmal so sehr wegen spektakulärer Entscheidungen, sondern deshalb, weil er das vorangetrieben hat, was Demokratie vom Wortursprung her bedeutet: Die Herrschaft des Volkes?
Die Besetzung einiger Ministerposten durch VertreterInnen sozialer Bewegungen und Organisationen, statt allein durch Fachleute oder Parteifunktionäre, ist symptomatisch. In der veröffentlichten Meinung Boliviens besonders umstritten: Casimira Rodriguez Romero. Als kleines Kind musste das Bauernmädchen auf den Feldern eines Großgrundbesitzers Erntedienste leisten. Mit 13 wurde sie in die Stadt geschickt, um fortan fünfzehn Jahre lang als Hausangestellte zu schuften, bis sie zur Vorsitzenden der bolivianischen Föderation der Hausangestellten, später der lateinamerikanischen Föderation der Hausangestellten gewählt wurde. Dort hat sich die Weltfriedenspreisträgerin der Methodistischen Kirche Verdienste insbesondere in Bezug auf die Erarbeitung und Verabschiedung eines Gesetzes zur Regelung der Arbeit in fremden Haushalten erworben.
Ein wichtiger Grund dafür, dass die bolivianischen Justizreformen der vergangenen Jahre trotz guter Absichten und durchaus überzeugender Gesetzestexte in der Praxis auf halbem Wege steckengeblieben sind, war die mangelnde Berücksichtigung der indianischen Bevölkerung und Kulturen.
Bei dem Bemühen um eine interkulturelle Justiz, die internationalen Standards ebenso Rechnung trägt wie dem gesellschaftlichen Wandel und den Herausforderungen einer multikulturellen Gesellschaft, steht Bolivien noch am Anfang. Die Erwartungen an die Ministerin, das Rechtswesen aus der Enge der juristischen Scholastik herauszuholen und zu einem Teil demokratischer Kultur zu machen, sind jedoch hoch. Ebenso wie in den Bereichen der Kinder-, Jugend- und Familienpolitik, die ebenfalls zum Aufgabenbereich der Ministerin für Justiz und Menschenrechte gehören, und in denen die Frage der sozialen Beteiligung eine zentrale Rolle spielt.
Am 2. Oktober wird Casimira Rodriguez Romero gemeinsam mit ihren MitarbeiterInnen Dr. Adela Ferreyra Balderrama und Edgar Arce Rudon auf Einladung von
terre des hommes-Deutschland und des Forschungs- und Dokumentationszentrums Chile-Lateinamerika (FDCL) zu Besuch in Berlin sein, um aus erster Hand über die politische Entwicklung in Bolivien, die Rolle sozialer Organisationen in der Regierung und die sozialpolitischen und juristischen Herausforderungen ihres Amtes zu berichten und zu diskutieren.
Veranstaltung in spanischer Sprache mit konsekutiver Übersetzung!